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Kommentar Nachweis der ElternschaftEin Leben im Ungewissen

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Jede und jeder sollte das Recht haben, zu wissen, wer die leiblichen Eltern sind. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts fällt anders aus.

Nicht die eigenen Eltern zu kennen, kann Menschen ein Leben lang belasten Foto: dpa

S ie wollte wohl keinen Unterhalt, und es ging ihr offensichtlich auch nicht ums Erbe. Trotzdem wollte eine heute 66-jährige Frau aus Nordrhein-Westfalen wissen, wer ihr biologischer Vater ist. Sie hatte einen ganz bestimmten Mann im Blick, von dem auch ihre Mutter behauptete, er sei ihr Erzeuger.

Aber jetzt wird die Frau nie erfahren, ob ihre Vermutung stimmt. Zumindest nicht auf dem Rechtsweg, ebenso wenig per Gentest. Das Bundesverfassungsgericht, über das sie einen Gentest einklagen wollte, hat jetzt bestimmt, dass eine Vaterschaftsüberprüfung in diesem Fall nicht angebracht sei.

Man kann sich die Enttäuschung der Frau vorstellen. Jeder will doch wissen, wer seine Mutter und wer sein Vater ist. Begeben sich ältere Menschen auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern – so wie die Klägerin – geht es ihnen in der Regel nicht um finanzielle Ansprüche oder um ein unbekanntes Erbe.

Sie wollen schlicht wissen, wie der vermeintliche Vater aussieht. Wie die Mutter riecht. Ob der Vater einen Bart trägt und die Mutter wild mit den Händen gestikuliert. Ein ganz normales Bedürfnis. Um Ähnlichkeiten zu entdecken – und zu verstehen, warum man so tickt, wie man tickt.

Kein Gentest-Zwang

Eine Frau, die den Mann, den sie für ihren Vater hält, zum Gentest zwingen wollte, ist mit ihrer Verfassungsklage gescheitert. Das Recht, die eigene Abstammung zu kennen, sei nicht absolut, urteilten die Karlsruher Richter am Dienstag. Es müsse insbesondere mit den widerstreitenden Grundrechten der von einer Klärung Betroffenen in Ausgleich gebracht werden. (Az. 1 BvR 3309/13)

Lebenslange Unruhe

Menschen, denen diese Erkenntnis verwehrt bleibt, leiden ihr Leben lang unter einer Unruhe und einer Zerrissenheit, die sie selbst nur schwer beschreiben können. Sie fühlen sich getrieben und haben häufig wenig Vertrauen in andere Menschen. Das haben Adoptionsforscherinnen und -forscher hinlänglich bewiesen. Und das bestätigen Frauen und Männer, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie die Klägerin.

Nicht umsonst ist daher das deutsche Recht in dieser Hinsicht mehrfach nachgebessert worden. Kinder können heute in jedem Fall klären lassen, wer ihr rechtlicher Vater ist, verbunden mit allen Rechten und Pflichten. Eine solche Klärung ist heute ohne Vaterschaftstest nicht mehr vorstellbar, sogenannte Kuckuckseltern und Kuckuckskinder fliegen also sowieso irgendwann auf.

Trotzdem kann es zahlreiche Gründe geben, dem Kind die wahre Elternschaft zu verschweigen. Einerseits um das Kind zu schützen. So zumindest stellen es betroffene Eltern gern dar. Andererseits aber auch, um selbst mit heiler Haut davon zu kommen und keine unangenehmen Fragen beantworten zu müssen: Was ist damals passiert? Ein Fehltritt mit unübersehbaren Folgen? Eine Affäre, die anders endete, als sie anfing?

Das Bundesverfassungsgericht hat sachlich geurteilt, es hat persönliche Befindlichkeiten einer Einzelperson gegen das allgemeine Grundgesetz abgewogen. Und unter anderem die Familie des vermeintlichen Vaters ins Spiel gebracht. Könnte die beschädigt werden, wenn jetzt heraus käme, dass es da noch ein weiteres, ein fremdes Kind gibt?

Ja, natürlich würde diese Familie belastet. Aber das ist sie sowieso. Eine Familiengeheimnis, wie auch immer es aussieht, legt sich wie ein dunkler Schatten auf Eltern, Kinder und Enkelkinder. In allen betroffenen Familien. Auch wenn sie davon offiziell gar nichts wissen.

Das kann auch kein Gericht ändern.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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12 Kommentare

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  • Die Frau ist sich doch sicher, dass dieser Mann ihr Vater ist und hat dem Gericht auch entsprechend klare Hinweise vorgelegt. Wozu dann ein Gentest? Welche Ungewissheit plagt Sie noch? Welche Rolle kann ein "Vater" für jemanden spielen, der als "Vater" praktisch nicht in Erscheinung getreten ist und auch nicht bereit ist, seine Vaterschaft anzuerkennen? Für mich wäre der Typ Luft - und fertig.

  • Die Wahrheit ist in dem Fall doch das Beste. Ein Mensch muss in dem Bewusstsein leben, seinen Vater nie kennenlernen zu dürfen, weil das Glück einer anderen Familie evtl. gefährdet wäre. Das ist zweimal bitter. Es gibt vll. Halbgeschwister und evtl. einen Vater, der sich über ein Kind auf der Wildbahn freuen würde.

    Was für ein unmenschliches Urteil, das Gemeinwohl mit Verdeckung untermauert.

    • @lions:

      Ich denke auch, dass Wahrheit oft "das Beste" ist. Simone Schmollack hat ja recht: Ungewissheit kann sehr quälend sein. Sie schränkt nämlich nicht nur die Fähigkeit ein, zu vertrauen, sondern auch die Fähigkeit, zu entscheiden.

       

      So weit ich weiß, gibt es kein Grundgesetzlich garantiertes Recht auf ungetrübtes Glück. Auch und gerade nicht für besonders exponierte Personen. Es gibt nur ein Recht darauf, nicht gequält zu werden. Der Staat (auch und gerade nicht in Gestalt seiner Richter) hat weder den Auftrag, selbst eine Heile Welt vorzugaukeln, noch soll er andere Gaukler unterstützen in ihrem Tun. Er hat vielmehr den Auftrag, den inneren Zusammenhalt des gesellschaft zu stärken, in diesem Fall durch Rechtsprechung. Wenn er erkennen ließe, dass er unbegründete Ausnahme macht von der allgemeingültigen Regel (Anspruch des Kindes auf Klärung der Abstammung inklusive aller damit verbundenen Rechte und Pflichten), täte er das genaue Gegenteil davon. Er würde das Vertrauen in die Gleichheit und die Unabhängigkeit der Justiz untergraben und Minderwertigkeitsgefühlen Vorschub leisten.

       

      Da Simone Schmollack nicht erklärt, was sich der Richter gedacht hat bei seinem Urteil, kann ich als Leserin nicht entscheiden: Verhält sich der Richter ähnlich verantwortungsscheu wie der Vater, dem er zu seinem vermeintlichen Recht verholfen hat auf Kosten seiner potentiellen Tochter, oder tut er es nicht. Schade, eigentlich. Ich wäre gern ein mündiger taz-Leser. Weil ich glaube, dass ich der taz auch als solcher die Treue halten würde. Und zwar noch sehr viel lieber, als wenn ich unterstellen müsste, dass sie versucht, mich durch gewisse Psycho-Tricks dazu zu zwingen.

      • @mowgli:

        zu ihrer Info. Das Verfahren bezog sich nur auf die "Zustimmung zum Vaterschaftstest". Und zwar deshalb, weil es bereits früher ein "Vaterschaftsfeststellungsverfahren" gab, das erfolglos blieb. Dieses neue Verfahren war also der Versuch, ein bereits rechtskräftig beendetes Verfahren - wonach der angebliche nicht der Vater war - noch einmal aufzurollen. Vielleicht war man früher ungenauer, vielleicht war das alte Urteil aber auch richtig. Im Endeffekt ist die Begründung des Gerichts: nicht nur die Tochter hat Rechte, auch der vermeintliche Vater. Er kann nicht gezwungen werden, einem solchen Test zuzustimmen. In einem "Verfahren auf Vaterschaftsfestellung" müsste er dagegen mitwirken. Nur war dieses eben schon 1 x durchgeführt. Ich finde das Urteil daher richtig.

      • @mowgli:

        Ja doch, ein Recht auf Glück gibt es nicht, aber eine moralische Bewertung ist dringlich und hat sehr oft zur Veränderung der Rechtsprechung geführt.

        In dem Fall hat die Tochter einen entscheidenden Fehler gemacht, in dem sie die Vaterschaftsklärung benutzen wollte, um ihren vermeintlichen Vater für das erlittene Schicksal (sie wurde vom Stiefvater missbraucht), moralisch durch seine Abwesenheit verantwortlich zu machen. Das hat den Richter offenbar dazu bewegt, das Urteil zum Schutz des dann festgestellten Vaters zu fällen. Das hätte Frau Schmollack nicht unerwähnt lassen dürfen; Ja, es ist Suggestion im Spiel. Trotz alledem wäre mein Urteil ein anderes gewesen, da der vermeintliche Vater keine rechtlichen Konsequenzen hätte befürchten müssen, wäre der Tochter Klage stattgegeben worden.

        • @lions:

          Als drittes gibt es neu das Verfahren auf Zustimmung zum Gentest. Dies ist Folge von 2, weil früher viele Väter heimlich Probem ihrer Kinder namen und ein Gutachten in Auftrag gaben, wenn sie glaubten, nicht der Vater zu sein. Diese Gutachten wurden als rechtswidrig eingestuft und damit unverwertbar. Andererseits sollen Väter bei konkretem Verdacht aber die Möglichkeit auf Rechtsschutz haben, daher wurde das Verfahren auf Zustimmung zum Test eingeführt. Es geht also um eine völlig andere Ausganglage als hier, eine Vorstufe zur Anfechtung. Dagegen kann man die "Feststellung" der Vaterschaft ohnehin beantragen, wenn man konkrete Anhaltspunkte nennt, dass jemand der Vater sein könnte. Dieses Verfahren wurde ja auch geführt, nur nicht mit dem gewünschten Ergebnis.

        • @lions:

          zum Hintergrund. Es gibt 3 Verfahren, eines schon immer auf "Feststellung der Vaterschaft", dafür braucht man aber Gründe, etwa dass die Mutter sagt, der x sei der Vater. Dann muss er mitwirken. Problem hier: so ein Verfahren war schon erfolglos für die Klägerin vor vielen Jahren durchgeführt worden. Dort hätte der vermeintliche Vater mitwirken müssen bzw. hat es. Warum er nicht als Vater festgestellt wurde, weiß ich nicht. Vermutlich ist er es einfach nicht oder die Methoden waren damals zu ungenau.

          Das zweite Verfahren ist die Anfechtung, die der vermeintliche Vater betreiben kann, auch der braucht aber konkrete Gründe für seine Vermutung, nicht der Vater zu sein. Darum geht es hier zwar nicht, aber es ist die Basis für 3.

  • Man müsste dann festlegen, welche Verdachtsmomente notwendig sind, um einen derartigen Test zu fordern.

     

    Sonst könnte jeder von x-beliebigen Menschen einen Abstammungstest verlangen.

     

    So nach dem Motto: Ich lasse einfach mal alle Milliardäre durchtesten, vielleicht ist einer mein Papi.

    • @Stechfliege:

      Sie haben den Text aber schon gelesen, oder? Ich meine: Welche Mutter würde ihrem Kind gegenüber behaupten, "alle Milliardäre" dieser Welt kämen als Vater in Frage? Und welches Gericht würde so etwas glauben?

      • @mowgli:

        Nicht jede Mutter wird sich äußern wollen oder können, nicht jede Äußerung ist glaubhaft.

         

        Wo also ziehen Sie die Grenze zwischen einem Videobeweis und "Meine Mutter hat in der Nähe vom Hotel gearbeitet, wo Sie übernachtet haben?" Das ist Sache des Gesetzgebers, das klar zu regeln, nicht die Aufgabe einzelner Richter.

  • Es geht nicht nur um die jetzt konkrete Familie, die ohnehin gelitten hat, sondern um jede Familie, wo ein Kind die Vater- oder z.B. bei Klappenkindern die Mutterschaft vermutet. Wenn kein Recht auf einen Vaterschaftstest besteht, bleiben unzählige Familien auch von derartigen Ansinnen unbelastet. Manche zu unrecht auf Kosten des suchenden Kindes, viel mehr jedoch zurecht.

     

    Diese Abwägung ist es, was ein Verfassungsgericht von einem normalen Zivilgericht unterscheidet. Letzteres kann sich im Bedarfsfall auf den konkreten Fall beziehen und anders abwägen.

    • @Bodo Eggert:

      So weit ich weiß, haben Sie völlig recht in Bezug auf die Funktion des BVG. An genau der Stelle muss sich Simone Schmollack den Vorwurf gefallen lassen, sie wäre ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen. Was nämlich diesen speziellen Fall von anderen unterscheidet, sagt sie ihren Lesern nicht. Sie gibt ihnen vielmehr ein Rätsel auf, in dem sie sagt, das BVG hätte "jetzt bestimmt, dass eine Vaterschaftsüberprüfung IN DIESEM FALL nicht angebracht" sei. Dann stachelt sie sie an, indem Sie ihre LeserInnen wissen lässt, die 66-Jährige Klägerin hätte: "WOHL keinen Unterhalt" gewollt und es sei ihr "offensichtlich auch nicht ums Erbe" gegangen. Diese beiden Antworten sind Frau Schmollack offensichtlich zuerst eingefallen auf die Frage, wieso sich jemand den "Weg durch die Instanzen" antut auf der Suche nach dem sogenannten "Erzeuger". Alle anderen Gründe kommer offenbar erst dann zum tragen ihrer Ansicht nach, wenn die zwei gründe weg fallen.

       

      Vielleicht hatte Frau Schmollack ja das dringende Bedürfnis, möglichst viele Menschen zu interessieren für das Thema. Vielleicht ist sie auch nur auf ihre eigene Prägung hereingefallen. Mit ihrem Text jedenfalls hat sie mehr Emotionen generiert als Wissen oder wenigstens Informiertheit. Nun frage ich mich, als was die taz sich eher begreift – als politische Tageszeitung oder als Lyrik-Zirkel. Dass sie das Erbe von Mama Bild-Zeitung antreten will, wenn sie mal selber 66 ist, hoffe ich nicht.