Kommentar Nachfolge für Theresa May: Der Teufel an der Wand
Boris Johnson kommt der Macht in Großbritannien immer näher. Und das europäische Trommelfeuer der Vorurteile gegen ihn wird immer stärker.
D ie konservative Parlamentsfraktion in Großbritannien hat entschieden. Der aktuelle Außenminister und sein Vorgänger, Jeremy Hunt und Boris Johnson, ziehen gegeneinander in die Urwahl, die den nächsten Parteichef und damit den nächsten britischen Premierminister bestimmt. Sollte nicht etwas völlig Unerwartetes dazwischenkommen, ist Johnsons Weg in 10 Downing Street in wenigen Wochen jetzt frei. Er genießt schon seit Jahren die größten Sympathien an der Parteibasis, und die Parlamentarier haben ihm 160 von 313 Stimmen gegeben, seinem Rivalen Hunt aber nur 77. Viel deutlicher kann ein Mandat nicht ausfallen.
Die Positionen der beiden zum Brexit liegen nicht besonders weit auseinander. Keiner schließt einen No-Deal-Brexit aus, beide wollen am liebsten einen geregelten Austritt zum 31. Oktober. Wie sie vorgehen wollen, sagen sie nicht, aber es wäre auch selbstmörderisch, so etwas jetzt zu sagen. Die Parteibasis wird ihr Urteil danach fällen, wem sie am ehesten zutraut, das von Theresa May in den Sand gesetzte Unterfangen namens Brexit wieder flottzukriegen. Dabei spielen nicht Details der Brexit-Strategie die entscheidende Rolle, sondern Durchsetzungsfähigkeit und Führungskraft.
Aber je näher Boris Johnsons wahrscheinlicher Sieg rückt, desto mehr gilt er quer durch den pro-europäischen Mainstream als die ultimative Katastrophe. Frankreichs führendes Meinungsblatt Le Monde unterstellt dem Favoriten auf die Nachfolge Theresa Mays als britischer Premierminister „Chauvinismus“, „Demagogie“, „Populismus“, „Prinzpienlosigkeit“ und „Lügen“ und erklärt ein von ihm regiertes Großbritannien in bizzarer Mittelalterlichkeit zu einem „feindlichen Fürstentum“.
Deutschlands führende öffentlich-rechtliche Nachrichtensendung tagesschau kommt in kaum einem Johnson-Bericht ohne das hochnäsige Urteil „realitätsfern“ aus, so als sei die ARD die Hüterin der britischen Realität, und sie weiß auch ganz gewiss, dass ein Premierminister Johnson Großbritanniens Probleme vergrößern werde. Schlichtere Gemüter ziehen Schlüsse daraus, dass Boris Johnsons Haarfarbe an die Donald Trumps erinnert, und auch seinem Hang zum spontanen Wort.
Neue Verhandlungsführer
Ein Trump am Ärmelkanal – der linksliberale Konsens, der die EU grundsätzlich für die Quelle alles Guten in Europa erklärt und jeden Zweifler daran zur Verkörperung des Bösen, hat sein Urteil längst gefällt, und da kann Johnson nichts machen. Man baut ein Zerrbild von ihm auf, und wenn er dem Klischee nicht entspricht, weil es nicht stimmt, nennt man ihn einen Opportunisten.
Man muss Boris Johnson nicht für den bestmöglichen Premierminister Großbritanniens halten, um diese Art von Oberflächlichkeit und Vorurteil als Bankrotterklärung der europäischen Öffentlichkeit zu erkennen. Es wird in wenigen Wochen einen neuen Premierminister in Großbritannien geben. Es wird in wenigen Monaten auch eine neue EU-Kommission in Brüssel geben. In dieser Situation kann der gescheiterte May-Barnier-Deal nicht das letzte Wort zum Brexit gewesen sein.
Natürlich wird es unter neuer Führung neue Überlegungen geben. Vorurteile und Verteufelungen verhindern lediglich die nötige Verständigung. Und eine Verständigung von Dauer wird es nur mit einer selbstbewussten und handlungsfähigen britischen Regierung geben.
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