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Kommentar NSU-ProzessDen Mythos selbst beerdigt

Konrad Litschko
Kommentar von Konrad Litschko

Dass Zschäpe NSU-Helfer benennt, ist der letzte Versuch, einer Höchststrafe zu entkommen. Rechtsextreme werden ihr das aber nicht vergessen.

Hoffen auf ein paar Jahre weniger im Knast: Beate Zschäpe und ihr Anwalt Mathias Grasel. Foto: Reuters

E s ist der Donnerstagnachmittag, der das Ende der rechten Szene-Ikone Beate Zschäpe einläutet. Der Tag, an dem sich die Hauptangeklagte im Münchner NSU-Prozess zum zweiten Mal zu Wort meldet. Und in der sie sich abwendet von ihren einstigen Szene-Gefährten.

54 Fragen hatte Richter Manfred Götzl nach Zschäpes erster Einlassung im Dezember gestellt. Und 54 Antworten liefert nun Zschäpe, schriftlich, vorgetragen von ihrem Anwalt. Im Kern bleibt sie bei ihrer Unschuldsrolle: die der verzweifelten, unterwürfigen Unbeteiligten. Die Morde und Anschläge waren alleiniges Werk ihrer Untergrundkumpanen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Sie sei für die Planung „nicht gebraucht“, von den beiden Männern oft alleingelassen, von Böhnhardt gar geschlagen worden. Und doch habe sie es nicht gewagt, sich zu stellen, ihren Kummer stattdessen in Sekt ertränkt. Es ist das Bild einer tragischen Gefangenschaft, das die Angeklagte hier kreieren will.

Nur passt es weiterhin nicht. Zeugen beschrieben Zschäpe als umtriebige Rechtsextremistin, die sich nicht unterordnete, die Straftaten beging – und gerade im Untergrund war sie nur noch die brave Hausfrau? Das Trio lebte auf engstem Raum – und von den akribischen Tatvorbereitungen ihrer Mitbewohner, von deren Bombenbau, bekam Zschäpe nichts mit?

Angeblich wollte sie sich jahrelang der Polizei stellen – aber nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt zündet sie trotzdem die letzte Wohnung an und verschickt Bekenner-DVDs? Und warum präsentiert Zschäpe ihre Unschuldsversion erst jetzt, nach fast drei Jahren Prozess?

Mitangeklagter André E. belastet

Auf all diese Widersprüche ging Zschäpe auch in ihrer zweiten Einlassung kaum ein, sie haben Bestand – und machen die Aussage weitgehend zur Makulatur.

Und dennoch gibt es einen gewichtigen Unterschied zur ersten Wortmeldung. Denn Zschäpe eröffnet dem Gericht diesmal, was sie damals tunlichst verschwieg: die Namen früherer Helfer aus der Szene. Es sind einstige Kameradschaftler oder Aktivisten des inzwischen verbotenen Blood&Honour-Netzwerks, einige bis heute in der rechten Szene aktiv.

Zschäpe versenkt ihre Ideologie für die Hoffnung auf ein paar Jahre Freiheit. Es ist ein aus ihrer Sicht nachvollziehbares Manöver

Sie sollen dem Trio Wohnungen verschafft, ihnen Dokumente überlassen oder Konten für sie eröffnet haben. So fanden es auch schon die Ermittler heraus. Nun aber bestätigt es Zschäpe – und nennt noch zwei neue Waffenlieferanten.

Mehr noch: Auch den Mitangeklagten André E. beschuldigt sie. Dieser habe das Trio ebenso tatkräftig unterstützt, noch auf der Flucht habe er Wechselwäsche seiner Frau überbracht. Die Attacke überrascht: Denn André E. und seine Frau Susann gehörten zu den engsten Freunden des Trios im Untergrund, zu den letzten Vertrauten. Die Treffen mit der Familie und ihren zwei Söhnen hätten ihr gutgetan, sagte Zschäpe noch am Donnerstag, auch weil sie selbst keine Kinder bekommen kann. Und dann vollzieht sie auch hier den Bruch.

Kodex des Schweigens

Auf die von Zschäpe Beschuldigten dürfte nun juristisches Ungemach zukommen. In der rechten Szene wird man ihr das nicht vergessen. Dort gilt bis heute der Kodex: Vor Gericht wird geschwiegen. Schon gar nicht werden Kameraden verpfiffen. André E., bis heute Neonazi, trug selbst im NSU-Gerichtssaal noch einen Pullover mit der Aufschrift „Brüder schweigen“, bis heute verweigert er eisern die Aussage.

Viele Zeugen aus der rechten Szene mauerten im Prozess. Und nicht umsonst kündigte der Angeklagte Ralf Wohlleben, ebenfalls weiter unter Neonazis vernetzt, seine Einlassung als „Akt der Notwehr“ an. Mit dem eilfertigen Verweis, seinen „Idealen“ treu zu sein.

Zschäpe nun verlässt diesen Kodex. Für sie ist es der letzte, verzweifelte Rettungsversuch, um vielleicht doch noch einer Höchststrafe zu entkommen: lebenslänglicher Haft, womöglich mit Sicherungsverwahrung. Wie taktisch Zschäpe vorgeht, zeigt auch, dass sie von ihren Beschuldigungen ausgerechnet den als wichtigsten NSU-Waffenbeschaffer angeklagten Wohlleben verschont – der sie zuvor in seiner Aussage auffällig wohlwollend beschrieb.

Die Taktiererei aber hat eine Konsequenz: Zschäpe versenkt ihre Ideologie für die Hoffnung auf ein paar Jahre Freiheit. Es ist ein aus ihrer Sicht nachvollziehbares Manöver. In der rechtsextremen Szene aber dürfte Zschäpe nach diesem Auftritt jeden Kredit verspielt haben.

Wo sich der NSU in seiner Bekenner-Botschaft noch im Dienste der Szene sah, als „Netzwerk von Kameraden“, bleiben für diese Szene nun nur noch zwei tote Mörder und eine Nestbeschmutzerin“. Ohne Frage ist die Gefahr rechtsextremer Gewalt, auch terroristischer, weiter gegeben, heute wieder mehr denn je. Aber wenn der Prozess in München die Dekonstruktion des Mythos NSU in der rechten Szene erreicht hat, dann ist das schon mal nicht das Schlechteste.

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Konrad Litschko
Redaktion Inland
Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).
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9 Kommentare

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  • "Zschäpe versenkt ihre Ideologie für die Hoffnung auf ein paar Jahre Freiheit." Sie wissen also schon, daß Frau Zschäpe schuldig ist? Das ist wirklich beeindruckend.

    • @Jürgen Matoni:

      Beeindruckend ist das nicht, nur logisch.

    • @Jürgen Matoni:

      Wenn nicht ein Wunder passiert, wird die Indizienlage auch ohne Geständnisse für ein nicht allzu niedriges (ggf. aber auch nicht wirklich hartes) Urteil wohl reichen.

      Merkwürdig ist das alles trotzdem.

      Denkbar sind alle möglichen Deals zwischen Angeklagten und der Staatsanwaltschaft zwecks Stützung der "NSU-Kleingruppe" (ganz nach der verbissen verteidigten "Einzeltätertheorie" vom Oktoberfest) um damit gleichzeitig die Verstrickung und das (evtl. politisch gewollte) Versagen der Geheimdienste weiter im Dunkeln zu halten, was bislang immer gern als Verschwörungstheorie abgetan wird. Ich hatte eigentlich gedacht, daß Frau Zschäpe in dieser Richtung irgendeine "Bombe" hätte platzen lassen wollen, überdrüssig dieses von mir bislang immer angenommenen Deals "nix sagen, einen Indizienprozeß mit politisch motiviert selektiver Beweiswürdigung überstehen und mit einem halbwegs milden Urteil wegkommen".

      Wenn sie nicht wirklich so ein naives Hascherl ist, wie sie sich jetzt darstellt, spricht das alles nur noch mehr für so einen dreckigen Deal...

  • "Zeugen beschrieben Zschäpe als umtriebige Rechtsextremistin"

     

    Wie sollte sie auch sonst beschrieben werden. Ich denke, dass ihre Kooperation taktisch motiviert ist und das ist eben keine bedingungslose Kooperation mit dem Gericht. Das Leid der vielen Opfer bleibt auch von dieser Aussage vollkommen unberührt. Zschäpe sucht nach Ausflüchten und muss am Ende drei Dinge aufklären: Die Legung des Brands in der Absicht, die Wohnung in die Luft zu jagen, vorher brachte sie ja ihre katze in Sicherheit, die Menschen im Gebäude waren ihr egal. Das Versenden des NSU-Videos, was sie zum Teil der NSU macht (siehe auch Vorgeschichte). Und ds jahrelange Leben von Raubgeld ohne Arbeit und im Untergrund. Das spricht dafür, dass sie zu diesem Trio in dieser Zelle gehörte. Anderenfalls hätten Mundlos und Böhnhard ihr wohl auch nicht vertraut. Ich hoffe, dass ihre Gefährlichkeit und ihre mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung führt. Es wäre ein hartes, aber letztlich auch konsequentes Urteil, betrachtet man Zschäpes Unwillen, überhaupt diese Kriminalität auch als ihr Vergehen anzuerkennen.

  • Ideol Beate Zschäpe? Wo? Bei wem?

     

    Sorry, aber selbst Nazis wäre es zu blöde mit einem T-Shirt rum zu laufen, auf dem ein Zschäpe, Mundlos oder Böhnhardt Bild drauf ist.

     

    Und denen ist bekanntlich viel dummes Zeug zuzutrauen.

  • Wenn nun Frau Zschäpe in der Haftanstalt etwas zustößt, könnte es der Rechten Szene zugeordnet werden.

    Es könnte auch sein das sich Frau Zschäpe damals gestellt hat, um nicht von wem auch immer, liquitiert zu werden.

  • Solange Zschäpe nicht die wahren Hintermänner aus den Nachrichtendiensten nennt, die ihre schützende Hand über das Trio und die dazugehörigen Kumpanen gehalten habe, wird ihr schon nichts passieren !

  • Irrtum, Herr Litschko! Rechtsextreme sind Weltmeister im Vergessen. Schon kurz nach dem 2. Weltkrieg hatten sie ja bereits wieder vergessen, was ihr völkischer Ideologie-Stuss und ihre notorische Gewaltverherrlichung in Europa angerichtet hatte. Feigheit ist von Anfang bis Ende ihr Leitmotiv im Leben, dem sie sich nur allzu gern unterordnen.

  • ein Fall von Prisoner's Dilemma?