Kommentar Musterfeststellungsklage: Bloß nicht zu freundlich
Verbraucherschutzimpulse kommen meist aus den Ländern oder der EU. Die Regierung lahmt, daran ändert auch die Musterfeststellungsklage wenig.
A llein schon dieses Wort: Musterfeststellungsklage. Es steht im Raum wie ein sperriger Gegenstand, der nur dann bewegt wird, wenn es gar nicht anders geht. Und genauso ist auch die Verbraucherpolitik der Bundesregierung: Sie kommt nur in Bewegung, wenn es unbedingt notwendig ist. Im Abgas-Skandal haben Verbraucherschützer in der Nacht zu Donnerstag die bundesweit erste Klage dieser Art auf den Weg gebracht.
Ob es um eine schnell zu erkennende Kennzeichnung von Lebensmitteln mittels Ampelfarben geht, um Vorgaben für den Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes, die im Ergebnis ländliche Gegenden benachteiligen, oder eben darum, Verbrauchern ganz grundsätzlich das Sich-Wehren gegen Unternehmen ein kleines bisschen zu erleichtern: Die Angst davor, es für die Wirtschaft unbequem zu machen, scheint riesig zu sein.
Wenn es wirksame verbraucherschützende Impulse gibt, kommen die derzeit meist nicht von der Bundesebene. Sondern aus den Bundesländern, wie etwa das Veröffentlichen der Namen von Restaurants, die bei Hygienekontrollen durchgefallen waren.
Oder von der EU: Die Datenschutzgrundverordnung beispielsweise gehörte dazu, und im besten Fall wird das auch die E-Privacy-Verordnung, die im nächsten Jahr kommen soll. Und was macht Deutschland in den Verhandlungen? Bremst. Bloß nicht zu viel Verbraucherschutz, auch hier.
Dabei macht die Koalition einen Denkfehler: Es funktioniert nicht, auf der einen Seite den mündigen Verbraucher zu beschwören, der schon selbst entscheiden könne, ob seine Fertigpizza zu viel Salz und sein Bankkonto zu hohe Dispo-Gebühren hat – und ihm gleichzeitig nicht die Möglichkeit zu geben, sich so einfach wie möglich zu informieren. Und darüber hinaus keinen niedrigschwelligen Weg zu bieten, gegen Verstöße vorzugehen.
In dieses Bild passt auch die Musterfeststellungsklage. Sie sollte kommen, dann doch nicht, nach ein paarmal Hin und Her dann doch. Nun können nur Verbraucherverbände klagen – und auch die nur unter bestimmten Bedingungen. Bloß nicht zu verbraucherfreundlich. Der sperrige Gegenstand, er wurde verschoben. Um etwa einen Zentimeter.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip