Kommentar Mindestlohn: Heikle Praktika
Die Wirtschaftsverbände möchten Ausnahmen vom Mindestlohn. Bei den Praktika für Berufseinsteiger wäre das überlegenswert.
E s geht in die Endrunde beim Mindestlohn. Bis Ostern will Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) den Gesetzentwurf fürs Kabinett fertig haben. Nahles will nur Auszubildende und Praktikanten während einer Ausbildung von der Lohnuntergrenze von 8,50 Euro ausnehmen. Ansonsten sollen die 8,50 Euro brutto als Mindestlohn in tariflosen Bereichen bereits ab 2015, flächendeckend dann ab 2017 kommen. Es ist ein Experiment, dessen Nebenwirkungen nicht vorhersehbar sind. Die Debatte um Ausnahmen dient jetzt auch dazu, diese Unsicherheit einzuhegen.
In Großbritannien etwa gilt für junge Leute ein niedrigerer Mindestlohn. So etwas fordern auch hiesige Wirtschaftsverbände. Aber das wäre Altersdiskriminierung und europarechtlich nicht haltbar. Man stelle sich nur vor, 21-jährige, die ihr Studium mit Nebenjobs finanzieren, würden mit geringeren „Jugendlöhnen“ abgespeist. Das funktioniert nicht.
Etwas anders sieht es bei den Regelungen für Praktikanten aus. Für Praktika nach einer Berufsausbildung oder nach Studienabschluss soll in Deutschland ab 2015 der Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde gelten. Ein Praktikant in Vollzeit müsste damit fast 1 400 Euro brutto bekommen. In der Kreativbranche ist das zu viel. Praktika in diesen Bereichen würden dann möglicherweise nur noch als unbezahlte „Freiwilligenarbeit“ angeboten. Dafür gilt kein Mindestlohn. Der Schuss ginge nach hinten los.
In Großbritannien darf man Berufseinsteiger nach Studienabschluss für eine gewisse Zeit unterhalb der Lohngrenze beschäftigen. Sowas wäre auch für Deutschland realistisch. Ein paar Ausnahmen muss es also geben dürfen – und Regelungen, die Ausnahmen nach einer Beobachtungszeit auch wieder revidierbar machen. Wie das zu jedem Experiment gehört.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen