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Kommentar Miete und WohneigentumDie deutsche Schockstrategie

Kommentar von Martin Reeh

Nachdem die Immobilienlobby die Mieten nach oben getrieben hat, fordert sie nun Subventionen, damit sie auch Ärmeren Wohnungen verkaufen kann.

Warum nicht nach Cottbus? Hier gibt es noch Wohnungen für alle, denen Berlin zu teuer ist Foto: reuters

N aomi Klein hat für ihr Buch „Die Schock-Strategie“ viel Kritik einstecken müssen. Die Kanadierin vertritt darin die These, dass der neoliberale Kapitalismus Krisen geradezu herbeiführt, um weitere wirtschaftsliberale Reformen als Ausweg verkaufen und durchsetzen zu können. Sicher muss man darüber streiten, ob ihr Buch zu verschwörungstheoretisch angelegt ist, ob sie also Absicht hinter Krisen vermutet, die durch Unvermögen entstanden sind.

Die Pressekonferenz mehrerer Lobbyverbände am Mittwoch bewies aber, wie auch die deutsche Wohnungskrise von der Bauwirtschaft dazu genutzt wird, weitere Reformen in ihrem Sinne zu fordern – und plausibel erscheinen zu lassen. Seit Langem klagt die Immobilienlobby darüber, dass die Eigentumsquote im Mieterland Deutschland zu niedrig sei. Denn die Errichtung von Eigentumswohnungen bietet im Vergleich zu Mietwohnungen für Immobilienfirmen zwei Vorteile: Erstens ist die Rendite schneller drin, zweitens wird das Risiko auf den Käufer verlagert.

Für viele Mieter sind Mietwohnungen attraktiver als Eigentum, solange die Miete in einem vernünftigen Verhältnis zum eigenen Einkommen steht. Erst die Kombination aus Rentenkürzungen, Niedriglöhnen und hohen Mietsteigerungen in den letzten 15 Jahren lassen viele Mieter jetzt über den Erwerb von Eigentum vor allem als Sicherheit für das Alter nachdenken. Das Problem: Aufgrund ebenjener niedrigen Löhne und Renten reicht das Geld auch für das Kaufen nicht.

Deshalb fordert nun ein Teil der Immobilienlobby mehr staatliche Subventionen für Wohnungskauf durch Niedrigverdiener. Weil selbst dann das Geld nur für eine Wohnung in Städten wie Gelsenkirchen reichte, würde die Wohnungswirtschaft damit auch gleich ihr Leerstandsproblem in solchen Regionen lösen. Dabei kann sie auf die Zeit spielen: Je länger die Union vernünftige Lösungen in der Wohnungsfrage blockiert, desto attraktiver wird es, der Immobilienlobby noch mehr Geld hinterherzuwerfen.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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7 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ich habe mir mal den Luxus einer kleinen Recherche in Sachen Wohnungsleerstände geleistet. Mit zuverlässigen Daten sieht es da sehr mau aus.

     

    Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumfragen (BBSR) untersucht Vorkommen und Verteilung von Wohnungsleerständen. Dabei ist zu berücksichtigen:

     

    * Es gibt keine kontinuierliche amtliche Datenerfassung,

    * Was Leerstand ist, wird nicht einheitlich definiert (das geltende Prinzip: Äpfel und Birnen werden verglichen),

    * Die veröffentlichten Zahlen beruhen auf Schätzungen,

    * Wohnungsleerstände waren 2015 (neuere Zahlen habe ich keine gefunden) wieder rückläufig,

    * Wohnungsleerstände waren regional sehr ungleich verteilt.

    (Quelle: Veröffentlichungen des BBSR)

     

    Was ich nicht nachvollziehen kann: wieso werden in einem Land, das a l l e s messen, erfassen, kontrollieren will, hier keine strapazierfähigen Daten erhoben?

  • Zitat: 'Je länger die Union vernünftige Lösungen in der Wohnungsfrage blockiert, desto attraktiver wird es, der Immobilienlobby noch mehr Geld hinterherzuwerfen.'

     

    Vielleicht habe ich irgendwann mal nicht aufgepasst, aber wo blockiert die Union vernünftige Lösungen in der Wohnungsfrage?

     

    Was ist solch eine vernünftige Lösung, wo ja noch nicht mal die Wohnungsfrage ein generelles anerkanntes und überall auftretendes Problem ist, solange es deutliche Wohnungsleerstände in 'Städten wie Gelsenkirchen' gibt.

  • Und staatliche Subventionen sind nun wirtschaftsliberal? Wohl eher nicht. Was will uns also der Autor sagen?

    • @Rudolf Fissner:

      Wer denn Sinn der marktradikalen (Sie sagen "wirtschaftsliberalen") Ideologie in den letzten Jahrzehnten kennengelernt hat, weiß doch, dass ein wichtiges Grundprinzip heißt : Gelder aus öffentlichen Haushalten müssen fließen zum Wohl der cleveren Lobby, die sich gerade wieder mal ein neues Gesetz ausgedacht hat.

       

      Die für jedermann scheinbar logische Beifang all dieser neoliberalen Staatsausplünderungen ist der angebliche Zwang, öffentliche Aufgaben an die Privatwirtschaft zu übertragen, die mit überteurten Krediten und geheimen (weil privat!) Konditionen den Steuerzahler weiter aussaugt.

      • @unSinn:

        Staatliche Programme sind also auch nur marktradikal? Dann war die DDÖR des ja auch schon. Cool

    • @Rudolf Fissner:

      Das sind sie eben nicht. Die Immobilienlobby ist nur dann wirtschaftsliberal, wenn es ihr in den Kram passt. Gewinne einfahren und die Verluste vergesellschaften, das alte Spiel halt.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Konrad Ohneland:

        Das trifft im Übrigen nicht allein auf die Immobilienbranche zu. Die Geschichte der BRD, später Gesamtdeutschlands ist eine Geschichte der Subventionen (=Eingriffe in Märkte). Und der gleichzeitigen Diskreditierung von allem, was nur ein wenig nach Sozialismus riecht.

         

        Das nenne ich 'reine Lehre'. Logik wäre, sie nicht anzuerkennen (Helmut Qualtinger).