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Kommentar Merkels FlüchtlingspolitikKanzlerin der Abschottung

Anna Lehmann
Christian Rath
Kommentar von Anna Lehmann und Christian Rath

Wie gerecht kann Abweisung sein? In der ARD-Sendung „Farbe bekennen“ zeigt die Kanzlerin, wie gründlich sie nach rechts gedriftet ist.

„Wir müssen schauen wie wir gerechte Mechanismen finden“, sagt Merkel, „wie wir legal Flüchtlinge aufnehmen, aber nicht diejenigen, die illegal auf den ägäischen Inseln ankommen“ Foto: ap

W as denn dieser brutale Asylstreit, was die letzten Tage mit ihr gemacht hätten, fragen die beiden Moderatoren Angela Merkel am Ende. Merkel antwortet glatt: Sie habe oft darüber nachgedacht, wie sie eine Lösung finde. Doch tatsächlich zeigen die 15 Minuten am Mittwochabend in der Sendung „Farbe bekennen“ wie gründlich und unwiederbringlich die Kanzlerin und mit ihr die gesamte Bundesregierung in diesen Tagen des Asylstreits nach rechts gedriftet sind.

Angela Merkel hat so gar nichts mehr gemein mit der Frau, die vor fast drei Jahren spontan bekannte: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Ein freundliches Gesicht für Menschen in Notsituationen, das ist klar, wird sie künftig nicht mehr zeigen.

Merkel spricht über die Transitzentren, in denen Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen wollen und bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, unter polizeilicher Aufsicht festgehalten werden sollen. Insgesamt waren das in den ersten vier Monaten diesen Jahres 18.000 Menschen, die einen entsprechenden Eintrag in der europäischen Datenbank Eurodac hatten. Merkel sagt, dass die Verfahren maximal 48 Stunden dauern sollen, danach müsse die Überstellung in ein anderes Land erfolgt sein. Denn länger als 48 Stunden dürfe niemanden die Freiheit entzogen werden.

Diese Begründung ist so hanebüchen wie falsch. Das Grundgesetz fordert zwar die Entscheidung über eine Freiheitsentziehung bis zum Ende des nächsten Tages (Art. 104 Grundgesetz). Die Freiheitsentziehung selbst kann dann natürlich länger dauern. Dementsprechend muss auch die Entscheidung über eine Rücküberstellung nicht zwingend binnen 48 Stunden getroffen werden.

Interessant ist jedoch der Vergleich zum Flughafenverfahren, dort muss eine Entscheidung binnen 19 Tagen getroffen sein (inklusive Gerichtsentscheidung). Wenn dies nicht gelingt, kann der Antragsteller nach Deutschland einreisen und das Verfahren normal weiterführen. Eine richterliche Entscheidung über den Aufenthalt in der Flughafen-Transferzone ist erst nach 30 Tagen erforderlich. Das zeigt: der Aufenthalt in einer Transferzone mit Ausreisemöglichkeit ist keine Freiheitsentziehung, sonst müsste darüber binnen 48 Stunden entschieden werden. Wenn Merkel von Freiheitsentziehung spricht, dann zeigt das also, was die Regierung mit Transitzentren wirklich meint: Massengefängnisse für zigtausende, die im Eilverfahren abgeschoben werden sollen.

Türkei-Abkommen

Interessant ist auch ihr Verweis auf besseren Außengrenzenschutz und dazu erforderliche Absprachen mit Drittländern ähnlich dem Türkei-Abkommen. In der Türkei leben über 3 Millionen syrische Flüchtlinge, viele unter erbärmlichen Umständen. Die Türkei nimmt jene zurück, deren Asylantrag in Griechenland abgelehnt wurde, im Gegenzug darf ein Asylbewerber aus der Türkei direkt in die EU einreisen. Im Dezember vergangenen Jahres erklärte die Bundesregierung noch: „Seitens der Bundesregierung gibt es gegenwärtig keine Vorbereitungen oder Vorüberlegungen zu einer Übertragung der EU-Türkei-Erklärung auf andere Länder. Dies gilt insbesondere für Libyen, da die politischen und rechtlichen Voraussetzungen für eine derartige Vereinbarung dort nicht gegeben sind.“ Und nun macht die Kanzlerin das Türkei-Abkommen plötzlich zum Prototyp für weitere solcher Deals.

Und nicht nur das: nunmehr sind all jene, die nicht im Rahmen eines solchen Abkommens einreisen, per se illegal und ihre Abweisung stilisiert die Kanzlerin zu einer Frage der Gerechtigkeit. „Wir müssen schauen wie wir gerechte Mechanismen finden“, sagt Merkel in der ARD. „Wie wir legal Flüchtlinge aufnehmen, aber nicht diejenigen, die illegal auf den ägäischen Inseln ankommen, den Vorteil haben, weil sie mehr Geld hatten, stärker sind oder bessere Beziehungen.“

Noch im März verteidigte Merkel in ihrer Regierungserklärung das Abkommen, „weil es allemal besser ist, als dem Sterben in der Ägäis und den Taten der Schlepper und Schleuser tatenlos zuzusehen.“ Doch nun sind nicht mehr die Schlepper die Bösen, sondern die Menschen die sich dank „besserer Beziehungen“ auf Schlauchbooten einschiffen. Ob sie nun endgültig zur Abschottungskanzlerin geworden sei, wollen die Journalisten auch wissen. „Klares Nein“, sagt Merkel. Lügnerin!

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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13 Kommentare

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  • „Wenn Merkel von Freiheitsentziehung spricht, dann zeigt das also, was die Regierung mit Transitzentren wirklich meint: Massengefängnisse für zigtausende, die im Eilverfahren abgeschoben werden sollen.“

    Diese Aussage verstehe ich nicht ganz. In mehreren Artikeln, auch hier in der TAZ, wurde mir immer wieder gesagt, die Transfer-, Transit- Transwasauchimmer-Zentren, würden wenn sie eingerichtet werden, würde es gerade einmal 5 Personen am Tag treffen für die diese zuständig wären.



    Und jetzt wird hier von Zigtausenden geredet? Nun stellt sich mir die Frage: Linke Panikmache in diesem Artikel?

  • das kann von den Autoren doch wohl nicht ernst gemeint sein: Deutschland nimmt laufend mehr als doppelt so viele Flüchtlinge auf wie alle anderen EU-Staaten zusammen, in den letzten Jahren über 2 Mio., immer noch kommen jeden Monat mehr als 12.000 neue Asylanträge dazu - und die Kanzlerin wird Abschottung unterstellt? Ich werfe ihr das Gegenteil vor, kein Land macht das, was Deutschland getan hat, und das wird so auch nicht gut gehen - wir laufen sehenden Auges in die Katastrophe, und um die Zukunft meiner Kinder mache ich mir echt Angst

    • @Sedesmaterie:

      Ich glaube eher das die Gefahr besteht, dass sie ihre Ängste und ihre Xenophobie auf ihre Kinder übertragen. In meiner Nachbarschaft sind seit 2015 zwei Unterkünfte für Flüchtlinge und es ist noch nie etwas vorgefallen. Locker bleiben und die Leute mal kennenlernen. Die meisten sind nette und freundliche Menschen.

    • @Sedesmaterie:

      Mit Recht, Flüchtlinge fressen am liebsten Kinder!

  • Danke! Solche Kommentare werden in den Medien seltener. Schön, dass die taz auf Kurs bleibt und den den Rechtsdrift in Deutschland bis hinauf zur Kanlerin deutlich macht.

  • Danke! Solche Kommentare werden in den Medien seltener. Schön, dass die taz auf Kurs bleibt und den den Rechtsdrift in Deutschland bis hinauf zur Kanlerin deutlich macht.

    • @Hans aus Jena:

      Merkel drifted nirgendwohin. Sie will einfach Kanzlerin sein, aus welchem Grund auch immer. Politische Überzeugung wird es wohl eher nicht sein..

  • Merkel nach rechts gedriftet? Glaube ich nicht. Ich halte sie vielmehr für eine Opportunistin, die alles für den Machterhalt tut. Ihre menschliche Regubg von 2015 hat sie wahrscheinlich schon bald bereut.

    Merkel muß weg. Für mich allerdings aus ganz anderen Gründen als die Schreihälse von AfD usw.

  • Um ehrlich zu sein, war ich oft verwundert, daß sie ihre Position nicht schon länger aufgegeben hat. Ich bin der Meinung Angela Merkel hat selbst wenig Überzeugungen. Von daher konnte sie sich schon immer recht gut, auf die Meinung im Volk einstimmen. Sie dreht ihr Fähnchen so, wie der Wind vom Volk bläst. Es ist schade, daß dies nun auch im Falle der Menschlichkeit geschehen ist.

  • "Massengefängnisse"? Entschuldigung, wer schreibt denn sowas? Es wird für Menschen gesorgt (Raum, Essen, Hygiene) die ILLEGAL ins Land gekommen sind. Um ihren Willen/Antrag auf Asyl bearbeiten und ggf. stattgeben zu können sind die Behörden auf die Zusammenarbeit der Antragsteller angewiesen. Sind diese auch dazu bereit, wahrheitstreu aber?



    Wir können auch diese Transitzentren sein lassen, jeder kommt und geht wohin er will … doch sobald jemand aufgegriffen wird von der Polizei ohne gültige Papiere (Wohnsitz inklusive) direkt Abschiebehaft und raus aus Deutschland. Ist das die bessere Variante?

  • "Ein freundliches Gesicht für Menschen in Notsituationen, das ist klar, wird sie künftig nicht mehr zeigen."

    Doch, aber wie sie am Ende (meines Erachtens richtigerweise, nicht "gelogen") sagt, sind diejenigen, die durch ein anderes Land an der Grenze ankommen, nicht zwingend in einer besonderen Notsituation. Sind sie es, erhalten Sie auch zukünftig Asyl, sind sie es nicht, wird man ihnen aber eben kein "freundliches Gesicht zeigen".

    Der Satz gilt nach wie vor.

  • 9G
    96551 (Profil gelöscht)

    Ich finde es fast schon rührend, wie viele aus dem linken spektrum, die in den letzten jahren zu fanatischen merkeln-anhängern mutiert sind, sich jetzt plötzlich die augen reiben.



    die kanzlerin ist nach rechts gerückt? wirklich? oder ist es nicht auch denkbar, dass das damals alles ein riesengroßes missverständnis war?



    kann es nicht auch sein, dass die kanzlerin damals einfach ganz clever auf der welle der euphorie gesurft ist, so wie es große populisten nun mal machen? und jetzt, wo die euphorie weg ist, ist auch die kanzlerin wieder die alte. die, die sich immer schon gegen multikulti, einwanderungsgesetze etc. ausgesprochen hat.

  • Der Klebstoff, welcher es fertig bringt, dass all diese Politiker wie Merkel, Seehofer und wie sie alle heißen mögen, noch an der Macht sind, sind nicht die freien Wahlen in Deutschland, sondern das Koalitions Geschacher einiger weniger!

    Die Wähler des deutschen Bundestages haben eigentlich nur die Möglichkeit zwischen Parteien zu wählen, wer anderes Verlauten lässt, der schaut durch eine Rosarote Brille!

    Erst diese Wahlen ermöglichen es den Politiker, ohne Rücksicht auf die Volksmeinung, regieren zu können!



    Wer schon so einige Jahre auf dem Buckel hat, sieht sehr deutlich, dass immer die gleichen Personen an der Macht sitzen, nur die Positionen wechseln.



    Mal war es die SPD, mal die CSU, aber immer war die CSU an der Bundespolitik beteiligt!



    Allein dieser Umstand hat die CSU in die Lage versetz die deutsche Politik immer weiter Richtung Rechtsaußen driften zu lassen! Diese Protagonisten haben über die Jahre verschiedenste Entscheiderposten gehabt und nützen diese rigeros aus, wie man in den letzten zwei Wochen sehen konnte, denn keiner kommt ungestraft an denen vorbei, auch die Kanzlerin nicht!

    Diese Politik, welche jetzt um die Migration herum gemacht wird, wird sicher nicht von der Mehrheit der deutschen Wähler gestützt, denn die Deutschen sind mit Sicherheit nicht so Menschenverachtend veranlagt, wie die Politik es jetzt glauben machen will!

    Es kann doch nicht sein, dass der Befindlichkeit einiger Politiker halber die Un Konventionen ausser Kraft gesetzt werden und auch das Grundgesetz ausgehebelt wird, wie es zur Zeit durch die Regierung gemacht wird!

    Durch diese politische Posse wird sogar die gesammte Flüchtlingspolitik der EU et acta gelegt, denn Einigung kann unter diesen Umständen nicht mehr möglich werden, zumal die EU Enzelpositionen wie die der Visguard Staaten durch gehen lässt und nur mit Mitteln drohen kann, die auf Grund der Einstimmigkeit nie erreicht werden können!

    Die Demokratie des Kontinents geht langsam aber sicher den Bach runter!!!