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Kommentar Merkels FlüchtlingspolitikEuropa braucht mehr Seehofers

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Die Kanzlerin braucht Unterstützung aus Europa. Ob sie die bekommt, ist aber mehr als fraglich. Ihr CSU-Partner ist dagegen richtig handzahm.

Links der Kanzlerin scheint europaweit niemand mehr zu stehen. Foto: reuters

E ine kurze Frage vor dem EU-Gipfel, bei dem es um die weitere Aufnahme von Flüchtlingen gehen wird: Wissen Sie, wer Angela Merkels bester und großzügigster Helfer in ganz Europa ist? Horst Seehofer. Und zwar mit weitem Abstand.

Hä? Der Seehofer? Der tut doch nichts anderes, als Merkel zu beschimpfen und zu bremsen. Ja, gewiss. Aber der CSU-Chef hat immerhin sein Einverständnis dazu erklärt, dass 200.000 neue Flüchtlinge pro Jahr nach Deutschland kommen können, anteilige Aufnahme in Bayern eingeschlossen.

Das reicht natürlich hinten und vorne nicht und ist viel weniger, als Merkel zulassen würde – aber: Es sind fast 200.000 mehr als in allen anderen EU-Staaten zusammen. Deren Angebote liegen derzeit bei explizit null (Osteuropa, Frankreich, Großbritannien), verschwurbelt null (restliches Westeuropa) oder null Komma irgendwas (Luxemburg, Schweden). Konkrete Zusagen: keine.

Mit anderen Worten: Könnte Merkel beim EU-Gipfel Ende der Woche mit 27 Seehofers verhandeln, wäre sie überglücklich. Rechts außen in Deutschland bedeutet zurzeit links außen in Europa. Das muss man sich klar machen, bevor man überlegt, was Merkel in Brüssel erreichen kann.

Ministaaten für Minikontingente

Sie braucht: die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingskontingenten aus der Türkei, damit die Türkei bei der Sicherung der EU-Grenzen hilft. Sie bekommt: ein paar Schulterklopfer und – vielleicht – Zusagen von Ministaaten für Minikontingente, irgendwann. Und das wäre schon viel. Der kleinste und wohl einzige gemeinsame Nenner wird lauten: Sicherung der EU-Außengrenzen. Sofort und mit immer rabiateren Mitteln.

Was wird Merkel dann tun? Kapitulieren oder weiterkämpfen?

Kapitulieren hieße, der ganzen Welt zu erklären, dass wir es leider doch nicht schaffen – und wie alle anderen auf Abschottung zu setzen. Weiterkämpfen hieße, den Deutschen offen und ehrlich zu erklären, dass die anderen Europäer leider nicht mitmachen, dass wir es aber trotzdem allein schaffen wollen, ohne Obergrenze weiter Flüchtlinge aufzunehmen.

Rechts außen in Deutschland bedeutet zurzeit links außen in Europa

Wahrscheinlich wählt Merkel jedoch den Mittelweg. Sie wird eine verstärkte EU-Abschottung unterstützen und von den Menschen, die trotzdem kommen, nur noch so viele aufnehmen, wie sie innenpolitisch durchsetzen kann. Was bleibt ihr auch anderes übrig?

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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18 Kommentare

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  • Wenn Deutschland in Europa keine einvernehmliche Lösung findet, fliegt irgendwann nicht Griechenland aus der Schengen-Zone, sondern Deutschland.

    Es ist nämlich eine Sache, alle Flüchtlinge aus der Türkei und sonst woher non-stop nach Deutschland durchzuschleusen und hier aufzunehmen. Dann sicherzustellen, dass die auch hier bleiben und sich nicht über unsere offenen Grenzen auf Wanderschaft überall hin in Europa begeben, ist eine ganz andere.. Aber Hauptsache, Deutschland zeigt Europa mal wieder, wo's lang geht. Das kam noch nie gut an... auch nicht, wenn zur Abwechslung nur die besten humanitären Absichten dahinter stecken.

  • Anti-Flüchtlings-Muskelspiele sind immer dann sehr leicht, wenn die aufgehaltene Hand stets gut gefüllt wird.

    Die Visegrad-Populisten vom Stamme Nimm sollen mal zeigen, wie sie ohne Förderkohle aus Brüssel auskommen wollen...

    • @Linksman:

      Wahrscheinlich genauso weit wie Griechenland :)

  • EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat Kritik an der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zurückgewiesen. Die Geschichte werde Merkel Recht geben, sagte Juncker der "Bild"-Zeitung (Mittwochsausgabe).

     

    Jean-Claude Juncker hat Bundeskanzlerin Angela Merkel massiv den Rücken gestärkt. Er verwies dabei unter anderem auf "die weitblickende Wiedervereinigungs-Politik von Helmut Kohl", die ebenfalls lange umstritten gewesen sei. Juncker zeigte sich überzeugt: "Angela Merkel wird all ihre jetzigen Kritiker im Amt überdauern."

  • „Europa braucht mehr Seehofers“

     

    Es hat wohl kaum jemand gemerkt, was Herr Seehofer mit seinem Besuch beim Herrn Putin eingerichtet haben könnte. Wir gehen erst gar nicht darauf ein, dass er im Namen Deutschlands und der Europäischen Union Zugeständnisse machte. Ob das so ohne weiteres zulässig ist, ist äußerst fraglich.

     

    Herr Seehofer soll zum Herrn Putin gesagt haben, dass die Sanktionen schon bald geschwächt oder gar enden würden.

    Erstens darf er das gar nicht, weil es im EU Parlament nicht abgestimmt war. Er hat seine Kompetenzen und Zuständigkeiten ganz eindeutig überschritten.

     

    Zweitens wird jetzt Herr Putin wohl denken: „EU wird schwach ich mache so weiter in Syrien oder gar noch mehr.“ Dadurch gebe es viel mehr Flüchtlinge als jetzt. Und drittens dürfte der Friedensprozess in Syrien durch dieses Gespräch noch weiter in Ferne gerückt sein. Denn durch so ein Zugeständnis schloss Herr Seehofer ein noch härteres Vorgehen der EU aus und kann jetzt Herrn Assad noch stärker unterstützen.

     

    Braucht Europa wirklich mehr Seehofers?

  • Wie es der EU ergehen wird,

    insbesonders der Bundesrepublik, durch eine Verweigerung, interessiert die polnische Regierung nicht. Dabei

    kommt es auch zu revanchistischen Verhalten, resultierend aus dem zweiten Weltkrieg.

    Wenn den Visegrad Staaten das europäische Projekt nicht behagt, dann sollten sie die Konsequenzen ziehen, mit einem Austritt aus der EU.

    Tatsächlich hat die EU den Staaten, die sich im Moment verweigern, denen die EU nichts mehr bedeutet, sie

    haben die EU nur Geld gekostet.

    Mich würde einmal interessieren, wie diese Staaten ohne die EU klar kommen wollen.

    Das es der EU in dem Fall des Ausscheidens schlechter gehen sollte, ist auch noch nicht gesagt.

    Dann sollte Kaczynski ohne die EU regieren, es wird sich zeigen,

    ob eine Verweigerung wirklich das beste für Polen ist.

  • 2G
    23138 (Profil gelöscht)

    Ich sehe das größte Problem in der aktuellen Politik darin, dass überwiegend innenpolitische Machtkämpfe ausgetragen werden. Dadurch verbleibt für die eigentliche Arbeit kaum mehr Tatkraft und Standfestigkeit und die Probleme schaukeln sich auf. Ein interessantes Gedanken-Experiment dazu wäre, sich einmal die aktuelle Situation in seinem Land vorzustellen, wenn es keine politischen Parteien gäbe, vielmehr Politiker mit Sach- und Hausverstand, welche auch vernünftig miteinander kommunizieren können.

    Philosoph Rudolf Steiner hat bekanntlich in seinen Schriften zur "Dreigliederung des sozialen Organismus" vor nun fast 100 Jahren schon festgestellt, dass für eine zukunftsweisende Weiterentwicklung die etablierten Parteien hinderlich sind und man danach streben sollte, diese zu eliminieren.

  • Europa braucht weniger Merkel.

     

    Und persönlich brauche ich viel weniger Europa.

  • Tja: 500 Millionen Europäer, da sind eine Millionen Flüchtlinge gerade mal 0,2% der Bevölkerung. Eine Millionen Flüchtlinge geteilt durch 28 EU Länder sind ca. 35.000 Flüchtlinge pro Land. Natürlich ist das eine Milchmädchenrechnung und es müssten größere Ländern mehr aufnehmen als kleinere, aber es zeigt doch anschaulich das das "Flüchtlingsproblem" keines wäre wenn Europa an einem Strang ziehen würde. Das Flüchtlingsproblem entsteht nicht dadurch das eine unbewältigbare Zahl von Flüchtlingen kommt sondern dadurch dass die übergroße Mehrheit sich alleine dem Versuch verweigert.

  • Rechtsaussen und linksaussen werden merkwürdige Begriffe wenn besagte Flüchtlinge dann in Bayern wie Sklaven gehalten werden. Dass Merkel als scheinbar Einzige in Europa den Rechtsextremen in ihrem Land die Stirn bietet (weil sonst wohl ihre Karriere recht zügig vorbei wäre) macht ihre Aktionen momentan besser als die der Feiglinge und anderer Opportunisten wie bspw. Hollande, warum sie deshalb gemäß den politischen Begriffen weiter links einzuordnen sein soll, ist mir immer noch unklar.

    • @TV:

      Ich glaube nicht dass Merkel heute schlechter in den Umfragen stehen würde wenn sie auf ihr "wir schaffen das" mit entsprechender Politik verzichtet hätte.

       

      Genau das war es doch was - nicht nur im linken Lager - von ihr erwartet wurde. Merkels Kurs in der Flüchtlingspolitik ist das Gegenteil der Unverbindlichkeit und Untätigkeit die ihr immer wieder von Kritikern vorgeworfen wurde.

       

      Das macht den Umgang mit Merkel ja so schwer: Von Links muss man sie eigentlich als einsamen Lichtblick in Europa sehen was schwerfällt wenn man gleichzeitig für RotRotGrün wirbt und von Rechts reibt man sich die Augen was Merkel da gerade anstellt, kann aber mangels Alternative kaum von ihr abrücken ohne sich gänzlich ins Aus zu schießen.

  • Konsequent bei einer Meinung zu bleiben: Wir schaffen das! reicht nicht mehr aus. Die Frage heißt: WIE??

    • @Querdenker:

      Warum heißt die Frage "wie"? Im moment läuft doch alles ziemlich gut!

      • @Smaug:

        Es läuft nicht gut. Eine Millionen Menschen in Zelten unterzubringen ist logistisch anspruchsvoll aber eigentlich überschaubar einfach. Ihnen dann aber eine Perspektive zur Integration zu geben, Sprachkurse, Fortbildung, Wohnung, Arbeitsvermittlung ist deutlich aufwendiger. Hier rächt sich aktuell, dass die deutsche Flüchtlingspolitik auf Abschreckung gesetzt hat. Abschreckung durch Arbeitsverbote und jahrelanges tatenloses Warten auf Entscheidungen. Bei 50.000 Flüchtlingen verteilt auf Deutschland ist das "nur" menschenverachtend. Bei einer Millionen jungen Flüchtlingen ist das sozialer Sprengstoff. Der Tatendrang der Flüchtlinge wird dadurch abgetötet oder in kriminelle Energie umgewandelt. So schaffen wir das nicht!

  • Es zeigt sich halt deutlich, was EU-Europa ist - nicht mehr als eine Wirtschaftszone mit gemeinsamer Währung und ohne bzw. niedrigen Binnengrenzen, aber auch: mit grenzenlosem Egoismus.

     

    Dass dieser Egoismus durch das deutsche Verhalten (Stichwort: Griechenland-Krise, Südtrasse der Erdölpipeline aus Russland, usw.) vergrößert und stärker wurde, erklärt nur das Niveau, also die Höhe des Egoismus, nicht jedoch die Existenz des Egoismus.

     

    Meine Sorge ist, dass EU- und EURO-Europa auseinander bricht, woraus folgt, dass unsere europäische Welt wegen des ansteigenden Nationalismus in allen Staaten unsicherer und auch weniger friedlich werden könnte.

     

    So könnten wir auch zum "Spielball" der USA, Russland und China werden.

  • Ist der Bus voll, darf keiner mehr rein ,sonst ist die Sicherheit gefährdet, man könnte jetzt sagen:" dann holen wir eben noch ein Bus etc......" irgendwann ist eben schluss sonst ist damit keinen mehr geholfen.

  • Man könnte natürlich auch mal die Frage stellen, warum sich Deutschland nun in dieser völlig isolierten Lage befindet.

     

    Die Antwort auf diese Frage könnte dann als Grundlage dafür dienen, sich über den weiteren Umgang der EU-Staaten untereinander Gedanken zu machen. Und diese Überlegungen sollten alle Regierungen anstellen, auch die deutsche. Jetzt den anderen den Vorwurf zu machen, sie strebten Alleingänge an, ist nämlich ziemlich scheinheilig angesichts der Erfahrung, dass in der Vergangenheit gerade die deutsche Regierung dazu neigte, ohne jegliche Abstimmung mit ihren Partnern zu agieren und diese dann vor vollendete Tatsachen zu stellen.

     

    Ich würde daher eine Abwandlung der Überschrift vorschlagen: Europa braucht mehr Staatenlenker (inklusive unserer Kanzlerin), die wenigstens die elementarsten Gepflogenheiten eines fairen diplomatischen Umgangs untereinander einhalten.

  • Dieser Mittelweg wäre richtig. Die Frau Kanzlerin könnte ihr Gesicht wahren und weiterhin am "wir(ich) schaffe(n) das" festhalten. Außerdem gewinnt sie Zeit zur Organisation der Sicherung der Außengrenzen.

    Ob das eine dauerhafte Strategie sein kann, haben wir allerdings nicht in der Hand. Zu sehr sind wir dabei auf das Wohlwollen der türkischen Regierung angewiesen.