Kommentar Malta und Flüchtlinge: Gruß aus Absurdistan
Malta ist der kleinste EU-Staat – und hat ein großes Flüchtlingsproblem. Die europäische Solidarität hingegen ist äußerst dürftig.
N irgendwo sonst ist die Absurdität des europäischen Asylsystems deutlicher zu besichtigen als in Malta: Der kleinste Staat der EU trägt allein durch seine geografische Lage eine Verantwortung, die weitaus größer ist, als dem Land zugemutet werden kann. Das hat jetzt offenbar auch Bundespräsident Joachim Gauck erkannt. Am Donnerstag besucht er als Reaktion auf das Sterben von Flüchtlingen im Mittelmeer das südeuropäische Land. Die Frage ist, welche Konsequenzen Gauck aus seinen Eindrücken zu ziehen gedenkt.
Er hat sich in Sachen Flüchtlinge mehrfach zu Wort gemeldet, zuletzt Weihnachten. „Tun wir wirklich schon alles, was wir tun könnten?“, hat er da gefragt. Was Malta angeht, lässt sich seine Frage mit genau einer Zahl beantworten: 255. So viele Menschen durften in den letzten zehn Jahren im Rahmen eines Umsiedlungsprogramms aus Malta in die Bundesrepublik ausreisen – nach ewigem Gezeter der Innenminister. Es gab Zeiten, da kamen in einer einzigen Woche so viele Flüchtlinge auf der winzigen Insel an.
Und saßen dort fest – so will es das EU-Recht. Selbst die USA mochten das nicht mit ansehen. Sie nehmen Malta Jahr um Jahr Flüchtlinge ab – insgesamt Tausende bis heute. Die dürftige europäische Solidarität hingegen war als strikte Ausnahme gedacht. Genau wie der in weiten Teilen komplett unausgegorene Zehn-Punkte-Plan der EU gegen das Flüchtlingssterben aus der vergangenen Woche. Er sieht nur Ausnahmen für die Länder vor, die unter dem Dublin-II-System besonders leiden: 5.000 Plätze soll es insgesamt geben, auf freiwilliger Basis.
Außer den USA helfen nur die, die selbst größte Probleme haben: die Italiener. Seit dem Start von Mare Nostrum verzichten italienische Schiffe offenbar darauf, gerettete Schiffbrüchige nach Malta zu bringen, auch wenn sie unter Maltas Zuständigkeit fallen. Ehrenwert, aber keine Lösung. Dass Malta auf die Überlastung mit dem Einsperren von Flüchtlingen reagiert, ist nicht zu rechtfertigen. Was die Seenotrettung angeht, tut es, was es kann. Was man von Deutschland und anderen EU-Staaten nicht behaupten kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels