Kommentar Libyen: Zu kompliziert

Noch ist Libyen kein gescheiterter Staat wie Somalia. Doch das könnte sich bald ändern. Denn Europa schaut wieder weg, wie zu Gaddafis Zeiten.

USA-Fahnen verbrennen geht immer: Demonstranten in Bengasi. Bild: reuters

Muammar pöbelnd bei den Vereinten Nationen, seine Söhne mit weißen Tigern in Wiener Hotellobbys: Die Eskapaden der Familie Gaddafi waren immer für irre Schlagzeilen gut. Von Libyen selbst wusste die Welt so gut wie nichts.

Die Revolution 2011 bot dann euphorische Bilder von siegestrunkenen, echten Libyern. Eine Revolution, die sich gut verkaufte. Dann aber zogen die meisten Reporter weiter, nach Damaskus, Tunis und Kairo. Dort gab es noch immer ein leicht vermittelbares Narrativ: Liberale Jugend gegen erzkonservative Islamisten.

Was blieb, waren Chaos und Bomben in Bengasi. Ein Hintergrundrauschen, das nicht ins Muster der Massenmedien passte. Stämme, regionale Konflikte, al-Quaida, Minderheiten, zu „viel Hintergrund“ stöhnten viele Redaktionen.

Libyen hat Öl und Geld, das wird sich schon irgendwie richten, dachten die Diplomaten. So sind die Araber, für richtige Demokratie eben nicht geschaffen, denkt die Mehrheit in Europa. Und so liegt Libyen gefühlt immer noch so weit weg wie Somalia, dort haben schließlich auch alle Kalaschnikows. Tatsächlich sind es nur 350 Kilometer bis nach Malta.

Die Mehrheit der Libyer hat dabei eine klare Vorstellung, wie ihr Land zukünftig aussehen soll. Nicht wie Somalia. Die Mehrheit wählte die gemäßigten Parteien, mehr als einmal warfen die Bürger die Milizen aus Bengasi.

Dumm nur, dass zurzeit anscheinend nur die Islamisten wissen, wie Machtpolitik funktioniert. Während die Bürger wieder arbeiten und die Privatwirtschaft wie verrückt boomt, haben sie aus Libyen ein Basislager für Mali, Syrien und Ägypten gemacht.

Europa schaute wieder weg. Wie zu Gaddafis Zeiten. Zu kompliziert.

Nun fangen alle wieder bei null an, Parteien, Zivilgesellschaft, Politiker, Lehrer und Aktivisten im Kampf gegen die Vetternwirtschaft. Sie brauchen Unterstützung, keine Polemik.

Ohne Libyen wird es für Europa keine Lösung der Flüchtlingsfrage geben. „Europa wird uns daher beim Staatsaufbau helfen, die lassen uns nicht im Stich“, hört man in Tripolis immer wieder. Wenn sie sich da mal nicht irren. Europa schickt vielleicht nur Drohnen. Das ist einfacher.

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Mirco Keilberth berichtet seit 2011 von den Umstürzen und den folgenden Übergangsprozessen in Nordafrika. Bis 2014 bereiste er von Tripolis aus Libyen. Zur Zeit lebt er in Tunis. Für den Arte Film "Flucht nach Europa" wurde er zusammen mit Kollegen für den Grimme Preis nominiert. Neben seiner journalistischen Arbeit organisiert der Kulturwissenschaftler aus Hamburg Fotoausstellungen zu dem Thema Migration. Im Rahmen von Konzerten und Diskussionsveranstaltungen vernetzt seine Initiative "Breaking the Ice" Künstler aus der Region, zuletzt in Kooperation mit der Boell-Stiftung im Rahmen des Black Box Libya Projektes.

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