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Kommentar Krise in der UkraineDumm und kurzsichtig

Kommentar von Barbara Oertel

Über abgeschossenen Flugzeugen wird schnell vergessen, auch auf die Arbeit des ukrainischen Parlaments zu sehen. Die aber heizt den Krieg an.

Vom Krieg merkt man im ukrainischen Parlament nicht besonders viel. Bild: ap

S o manch einer wird mit Verwunderung zur Kenntnis genommen haben, dass es in der Ukraine jenseits erbitterter Kämpfe zwischen der Armee und prorussischen Kämpfern sowie abgeschossener Flugzeuge auch noch so etwas wie Innenpolitik gibt.

Nach dem Bruch der Regierungskoalition hat Ministerpräsident Arseni Jazenjuk jüngst seinen Rücktritt erklärt. Damit ist der erste Schritt zur Auflösung des Parlaments und zu Neuwahlen – voraussichtlich im Herbst – getan.

Dieser Schritt ist seit Langem überfällig. Denn das Parlament, im Oktober 2012 gewählt, spiegelt schon lange nicht mehr das reale politische Kräfteverhältnis im Lande wider.

Es war auch dieses Parlament, das im vergangenen Januar auf Geheiß des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch im Schnelldurchlauf Gesetze absegnete, die demokratische Freiheitsrechte massiv eingeschränkt hätten.

Rücktritt zur Unzeit

Dennoch kommt der Rücktritt der Regierung zur Unzeit. Zu Recht wies Jazenjuk in seiner Rücktrittserklärung darauf hin, dass die Rada mehrere Wirtschaftsgesetze nicht verabschiedet habe – darunter auch eine dringend notwendige Aufstockung des Budgets, um die Armee zu finanzieren.

Die steht ab dem 1. August komplett mittellos da. Diese Situation ist umso absurder, als die Soldaten schon jetzt auf Geld- und Sachspenden aus der Bevölkerung angewiesen sind und die Regierung gerade dabei ist, bis zu 90.000 weitere Reservisten für die Streitkräfte zu rekrutieren.

Und so dürfte die Ukraine – zumindest in den nächsten Monaten – noch tiefer im Chaos versinken. Und die Art und Weise, wie die Regierungsmehrheit mit ihren politischen Gegnern verfährt, wird daran nichts zum Guten ändern.

So wurde Anfang dieser Woche der Abgeordnete der Partei der Regionen des früheren Staatschefs Janukowitsch, Nikolai Lewschenko, von mehreren Parlamentssitzungen ausgeschlossen. Er hatte es gewagt, die sogenannte Antiterroraktion der ukrainischen Armee im Donbass zu kritisieren.

Noch ganz bei Trost?

Mit den Kommunisten machte man ebenfalls kurzen Prozess. Deren Chef, Petro Simonenko, wurde im Parlament tätlich angegriffen, und seine Fraktion wurde aufgelöst. Jetzt prüft ein Gericht, ob die „Fünfte Kolonne Moskaus“, die angeblich gemeinsame Sache mit den prorussischen Kämpfern gemacht hat, ganz verboten werden kann. Übrigens eine perfekte Steilvorlage für die russische Propaganda, die den Ostukrainern ohnehin schon das Hirn vernebelt.

Ist diese Regierung noch bei Trost?, muss man sich fragen. Denn ein Verbot der Kommunisten – sollte es wirklich kommen – mutet wie ein billiger Rachefeldzug an und dürfte viele Menschen in den östlichen Landesteilen erst recht gegen „die da in Kiew“ aufbringen.

Das war so auch schon bei dem Vorhaben, dem Russischen den besonderen Status einer Regionalsprache abzuerkennen. Wenngleich das Gesetz dann doch nicht verabschiedet wurde, war der bei den russischsprachigen Ukrainern angerichtete Flurschaden immens und wirkt bis heute nach.

Die Verheerungen des Krieges

Offensichtlich haben die Machthaber in Kiew daraus jedoch nichts gelernt, oder sie begreifen es einfach nicht. Dabei geht es um nichts Geringeres als die Frage, ob nach den Verheerungen, die dieser Krieg mit zahlreichen Toten, Verletzten und Vertriebenen schon jetzt angerichtet hat, ein Zusammenleben der Ukrainer künftig überhaupt noch möglich sein wird.

Nein, eine Regierung, die in einer Ausnahmesituation wie dieser nichts Besseres zu tun hat, als Konflikte anzuheizen, anstatt einer weiteren Polarisierung entgegenzuwirken, tut vor allem eins: Sie handelt dumm, kurzsichtig und verantwortungslos.

Bliebe noch die Europäische Union, mit der die Kiewer Regierung ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet hat, um mahnend ihre Stimme zu erheben. Doch das ist, wie das erbärmliche Gefeilsche um Sanktionen gegen Russland zeigt, nichts anderes als Wunschdenken.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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13 Kommentare

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  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    In letzter Zeit hatte ich oft das Gefühl, die taz schreibe von der SZ die Stefan-Kornelius-"Meinungen" ab.

    Nun aber scheint sich das einseitige Blatt ganz langsam zum zweiseitigen zu wenden.

  • "Die (#ukrainische Armee#) steht ab 1.August komplett mittellos da ."

     

    Kein Problem ! Die USA stehen schon auf dem Sprung , dort auszuhelfen , und steigern dazu ihre "Überzeugungsarbeit" bei den Un-Willigen in Europa .

    Siehe zB hier (Zitat von heute aus SPON) :

    "Washington - Die amerikanischen Geheimdienste sprechen eine deutliche Warnung aus. Wie das Pentagon am Freitag mitteilte, steht ein Waffentransfer der russischen Armee an die prorussischen Milizen in der Ostukraine unmittelbar bevor. Diesen Schluss(!) legten Informationen nahe, die die verschiedenen Dienste gesammelt hätten."

     

    Bei der bis jetzt schon von den USA vorgelegten erdrückenden Beweiskette über die Schuld und Kriegsbeteiligung Russlands ist es einfach unabwendbar , dass die USA ihren Freunden in der Ukraine umgehend mit Waffen und Geld beispringen müssen . Seht das doch endlich ein , Depperte von Fucking EU !

  • Dämmert es auch der taz langsam, dass die sogenannten Freiheitskämpfer des Maidan nicht mehr alle Tassen im Schrank haben und wohl noch nie hatten. Wie erfreulich, dass ein Parlament eine Kriegssteuer ablehnt. Immerhin ist es das letzte frei gewählte Parlament des Landes gewesen und wes Geistes Kind die Putschistenmeute ist lässt sich ja am Verhalten gegenüber Abgeordneten erkennen, die sich gegen einen von den Putschisten angezettelten Bürgerkrieg wehren. Aber die Amerikaner werden die Faschisten der Nationalgarde schon ausstatten, wie sie zuvor auch die faschistischen Schlägertrupps auf dem Maiden finanziert haben. Und die Riege der EU-Politiker lässt sich vor diesen Karren spannen, setzt dafür die mühsam aufgebauten Beziehungen mit Russland aufs Spiel und gefährdet darüber hinaus auch noch die Wirtschaft und unsere Energieversorgung. Deutlicher kann man wohl nicht mehr machen, dass die Regierungen nichts anderes mehr sind als die 5. Kolonne us-amerikanischer Interessen.

  • Gratulation. Dies ist einer ersten Artikel in der taz, der nicht einseitig für eine Kriegspartei Stellung nimmt. Auch wenn es schade ist, dass die taz zuvor alle warnenden Stimmen überhörte und ihre Artikel weitgehend hätten gleich von der Regierung in Kiew stammen können, gibt es Anlass zur Hoffnung, dass taz vielleicht wenigstens jetzt diesen letztlich verhängnisvollen Kurs korrigieren wird. Tatsächlich wurden nicht mit der Regierung übereinstimmende Abgeordnete vom ersten Tag seit dem sie an die Macht kam, bedroht und auch körperlich angegriffen. Soeben hat HRW der Regierung in Kiew Kriegsverbrechen vorgeworfen. Denn es werden Raketen, die nicht zielgenau sind, in Gebiete geschossen, die voller Zivilisten sind. Wer glaubt sein Land mit Bomben befrieden zu können, den haben aller Vorstellungen von Menschlichkeit und Vernunft verlassen. Vielleicht beginnt die taz auch darüber zu schreiben, dass ca 130000 Menschen nach Russland geflohen sind. Was soll mit diesen Menschen später eigentlich geschehen? Sollen sie dauerhaft vertrieben bleiben, soll so die militärische Befriedung aussehen. Zwei menschenverachtende Extremistenseiten bekämpfen sich gegenseitig und opfern dafür das Volk, so war dieser Konflikt von Anfang an zu charakterisieren und genau so entwickelt er sich gegenwärtig weiter.

  • Oertel : "Bliebe noch die Europäische Union, mit der die Kiewer Regierung ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet hat, um mahnend ihre Stimme zu erheben. Doch das ist, wie das erbärmliche Gefeilsche um Sanktionen gegen Russland zeigt, nichts anderes als Wunschdenken."

    Och , klingt das lieb , "mahnend ihre Stimme zu erheben" ! Ja , und das wäre auch sooo effektiv ! Und ii-bää - das "erbärmliche Gefeilsche ....." - was wäre denn das von Ihnen , Frau Oertel , gewünschte Gegenteil davon und dessen Wirkung auf Putin/Russland ? Würde Putin nach harschen Wirtschaftssanktionen des Westens einen Schwächeanfall bekommen und umgehend die Ostukraine diesem Haufen von hasszerfressenem Mix aus Fascho-"Demokraten" der Westukraine ausliefern ? . Sehr gewagte Prognose .

     

    Die EU würde wenn sie könnte (das ist m e i n Wunschdenken) die in fortschreitender Zersetzung befindliche Ukraine liebend gerne fallen lassen wie eine heiße Kartoffel . Zur Ausplünderung seiner Rohstoffe und zur Aufstellung von "Anti-Iran"-Raketen könnte sie das Land ganz den Amerikanern überlassen , der bewährten Schutzmacht der Menschenrechte und aller guten Werte .

    • @APOKALYPTIKER:

      Das glaube ich nicht, dass die EU einen ihrer wichtigsten Zugänge zu russischem Gas der USA überlassen würde, die gerne ihr gefracktes Gas verkaufen möchte.

      • @Age Krüger:

        ... den Sarkasmus im letzten Satz konnte ich mir nicht verkneifen . Verstehe ich den Hintersinn Ihres Satzes richtig , trauen Sie den USA auch nicht übern Weg , was deren "Freunde" in der EU betrifft .

  • Ein sehr guter Kommentar, Frau Oertel

  • Es ist zumindest sehr erfreulich, dass in der taz jetzt auch Frau Oertl und nicht nur Herr Claesen den Blick auf die Zustände in der Westukraine richten.

     

    Man muss sich wirklich fragen, ob nicht allmählich, um die Bevölkerung zu schützen (wenigstens den Teil, der noch nicht sich vollkommen Putin oder den westlichen Faschos anschließen will), die Nachbarstaaten (einschl. der Russischen Förderation) dort endlich wieder wenigstens das Mindestmaß an demokratischer Ordnung und Freiheitsrechten herstellen sollten.

     

    Mir fehlt allerdings in dem Artikel noch, was der Westmann Klitschko und der Westoligarch Poroschenko dazu sagen.

    Dass Obama und Steinmeier das Schicksal der Menschen in der Ukraine völlig egal ist, muss man wahrscheinlich nicht erwähnen.

  • "Nein, eine Regierung, die in einer Ausnahmesituation wie dieser nichts Besseres zu tun hat, als Konflikte anzuheizen, anstatt einer weiteren Polarisierung entgegenzuwirken, tut vor allem eins: Sie handelt dumm, kurzsichtig und verantwortungslos."

     

    Da kann man nur zustimmen. Ich frage mich allerdings, was Sie von dieser "Regierung" erwartet haben. Da hat eine Mischung aus korrupten Gaunern und nationalistischen Fanatikern den berechtigten Zorn vieler Ukrainer über den gewählten Präsidenten genutzt, um sich an die Macht zu putschen. Und diese neuen Machthaber können nur zwei Dinge. Sich die Taschen füllen und ihren Hass auf alle Andersdenkenden ausleben.

     

    Nebenbei. Wenn tatsächlich das Geld für die Armee zum 01.08. alle sein sollte, kann es durchaus sein, dass die "Nationalgarde" auf Kiew marschiert und die Macht übernimmt. Dann heißt der Sieger Putin. Etwas Besseres als ein rechter Putsch kann ihm gar nicht passieren. Und vielleicht ist genau das sein Plan...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Das mit dem "rechten Putsch" erscheint mir gar nicht so weit hergeholt (obwohl das, was am 22. Februar passierte ja auch schon etwas ähnliches gewesen ist). Wiederholt hat der "Prawyj Sektor" während der letzten Monate in Kiew für Unruhe gesorgt, und oft gibt es Klagen über die mangelhafte Ausrüstung und Versorgung der ukrainischen Armee.

      Was die im Artikel kritisierten Maßnahmen der ukrainischen Regierung betrifft, so sind sie nicht nur deshalb abzulehnen, weil sie "eine perfekte Steilvorlage für die russische Propaganda" sein könnten, sondern weil es sich bei ihnen ganz allgemeine um elementare Verletzungen von Menschenrechten und demokratischen Gepflogenheiten handelt.

      • @Der_Peter:

        Apropos "Rechter Sektor". Auf Antrag Rußlands ist jetzt der Chef des "Rechten Sektors", Herr Jarosch, auf die Fahndungsliste der Interpol gesetzt worden:

        http://www.interpol.int/notice/search/wanted/2014-16549

        Allerdings sollen die ukrainischen Interpol-Vertreter schon gesagt haben, sie würden ihn nicht festnehmen. Surprise, surprise...

        • @Der_Peter:

          Selbst wenn sie wollten. Herr Jarosch führt mittlerweile seinen eigenen Verband an der "Ostfront". Es fehlt an der nötigen Macht ihn festzunehmen. Es ist ja einer der Konstruktionsfehler der "Nationalgarde", dass man bei der Verteilung der Kommandeursposten auf "bewährte" Kämpfer des Maidan zurück gegriffen hat. Die militanten Kämpfer kamen aber eben zum großen Teil von Rechen Sektor. Damit hat man letztlich den Radikalen Teile der Streitkräften anvertraut und ihnen mehr reale Macht gegeben, als ihnen durch die Zahl ihrer Anhänger zustehen würde.