Kommentar Kirchensteuer-Umstellung: Exodus der Gläubigen
Eine Verfahrensänderung bei der Kirchensteuer führt zu vielen Austritten. Sind Gläubige dumm? Oder haben sie nur gemerkt, dass nicht mehr 1514 ist?
S ind nun die Kirchen begriffsstutzig oder die Gläubigen? Seit verstärkt darüber informiert wird, dass die Kirchensteuer auf Kapitalerträge ab Januar 2015 automatisch von den Banken eingezogen wird, ist Panik ausgebrochen unter vielen Kirchenmitgliedern. Sie treten massenhaft aus, häufig mit der Begründung, dass sie um ihr Erspartes fürchten.
Unter den Abtrünnigen sind auffällig viele Rentnerinnen und Rentner. Mit der Abgeltungssteuer und ähnlich komplizierten Regelungen hatten sie bislang nicht viel zu tun. Es ist verständlich, dass sie das neue Einzugssystem nicht so leicht durchschauen. Es erklärt ihnen auch niemand richtig, schon gar nicht ihr Pfarrer. Die Kirchen haben schlichtweg versäumt, ihren Mitgliedern zu versichern, dass nur die Verfahrensweise geändert wird und niemand einfach mal so mehr Geld abgezogen bekommt.
Möglicherweise nutzen viele Katholiken und Protestanten jetzt aber auch die Chance, das zu tun, was sie schon lange tun wollten: der Kirche den Rücken kehren. Das Verhältnis vieler Menschen zu Kirche und Religion hat sich in den vergangenen Jahren stark geändert. Weil sich das Leben verändert hat. Während die evangelische Kirche wenigstens versucht, darauf einzugehen, tut die katholische Kirche so, als schrieben wir noch das Jahr 1514.
Stichworte hier: Pflichtzölibat, Ausschluss Geschiedener von den Sakramenten, Frauen- und Homofeindlichkeit. Wer nicht versteht, dass sich Menschen ungern Regeln und Strafen aufdrücken lassen, die am Leben komplett vorbeigehen, darf sich jetzt nicht wundern.
Wie sehr die Kirchen in Not sind, sieht man ebenso an Nachrichten wie diesen: Der „Kirchentag für Mensch und Tier“ Ende August will Glaube mit Tierschutz verknüpfen. Entwarnung: Bei der Hundesteuer bleibt alles beim Alten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen