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Kommentar KabinettsbesetzungMerkels Macht hat ein Verfallsdatum

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Wohin die CDU sich entwickelt, wird Merkel nicht mehr entscheiden. Das ist gewöhnungsbedürftig. Aber in Demokratien gibt es keine Erbfolge.

Dass ihr Kritiker Jens Spahn wohl bald am Kabinettstisch sitzen wird, ist eine Niederlage für Merkel Foto: ap

D ie Kanzlerin ist in der Disziplin der Machtverhüllung stets unschlagbar gewesen. In entscheidenden Situationen unterschätzt zu werden, war in der Vergangenheit oft ihre schärfste Waffe. Aber jedes Muster bleicht irgendwann aus. Die Kabinettsliste zeigt, dass genau das jetzt passiert: Angela Merkels Schwächung ist keine Finte, kein Trick. Sie ist echt, und sie wird in den nächsten Monaten an der Oberfläche sichtbar werden. Denn Merkels Macht hat ein Verfallsdatum. Das ändert vieles.

Dass der Merkel-Kritiker Jens Spahn wohl bald am Kabinettstisch sitzen wird, ist eine Niederlage für die Kanzlerin. Denn die war in Sachfragen immer diplomatisch und kompromissbereit bis zur Unkenntlichkeit. Aber wo es um Personen ging, war sie entschieden und meist, sieht man von den Bundespräsidenten ab, durchsetzungsstark.

Aber das ist vorbei, das Modell von gestern. Dass Spahn Gesundheitsminister wird, ist ein Zugeständnis an jene, die eine andere, kantige CDU wollen. Die Union der Zukunft soll auf keinen Fall mehr so mittig liberal wirken, sie soll mal knallig neoliberal sein, auch mal hart gegen Migranten. Spahn ist die Figur, die dies repräsentiert.

Er ist jung und versteht das Geschäft der Selbstinszenierung. Welche Überzeugungen echt sind und was Politmarketing, ist schwer zu erkennen. Spahn ist auftrumpfend, schneidend, laut – habituell noch mehr als in den politischen Inhalten das Gegenteil von Merkel.

Merkels Einfluss schwindet

Hier erkennt man bereits das Szenario für die Zeit danach. Annegret Kramp-Karrenbauer ist die Fortsetzung des Merkelismus mit einer anderen Tönung. Sie würde eine Union verkörpern, die kulturell vorsichtig skeptisch gegen Modernisierungen ist, aber sozialpolitisch eher links tickt. Diese Mischung dürfte der SPD, die ohnehin in Schwierigkeiten steckt, noch mal zusetzen.

CDU-Vorschläge fürs Kabinett

Helge Braun – Chef des Kanzleramtes,

Peter Altmaier – Wirtschaftsministerium,

Jens Spahn – Gesundheitsminister,

Ursula von der Leyen – Verteidigungsministerin,

Julia Klöckner – Landwirtschaftsministerin,

Anja Karliczek – Bildungs- und Forschungsministerin,

Anette Widmann-Mauz – Staatsministerin für Integration,

Monika Grütters – Kulturstaatsministerin (dpa)

Die Alternative ist nun sichtbar: Kramp-Karrenbauer oder Spahn, konservativ mit menschlichem Antlitz oder schwungvoll populistisch und hart am Rand des Ressentiments. Wohin es geht, ist offen. Die Union hat zwar mehr in der Mitte zu verlieren als rechts zu gewinnen.

Aber die Zeiten sind volatil, das diffuse Gefühl von Unsicherheit kann auch einen autoritären, markigen Stil attraktiv erscheinen lassen. Wie robust Kramp-Karrenbauer in Machtkämpfen aufzutreten weiß, wird sich zeigen. Dass sie in der Bundestagsfraktion keine Verankerung hat, ist ein Malus.

Es gibt in Demokratien keine Erbfolge und Macht nur auf Zeit. Merkel wird nicht bestimmen, wer ihr nachfolgt. Sie moderiert nur noch das Verfahren. Auch wohin die CDU sich entwickelt, wird Merkel nicht mehr entscheiden. Ihr Einfluss schwindet. Das ist noch gewöhnungsbedürftig, gerade weil sie Stabilität bis zur Langeweile zu garantieren schien.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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9 Kommentare

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  • GroKo - das grosse Kotzen für die kleinen Leute.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Und heute wird die CDU geschlachtet. Mal eine schöne Abwechslung.

  • Und einen Ostbeauftragten wird es ebenfalls wieder geben. Wie schön.

    Solche Beauftragten hatten alle Kolonialmächte.

    Und selbstverständlich müssen auch die nicht aus den betroffenen Gebieten kommen.

    So meinte zu Letzterem zumindest ein Herr Bouffier gestern Abend bei Anne will.

    Der Osten und seine Wähler werden diese Arroganz der Mächtigen hoffentlich zu würdigen wissen.

    • @Trabantus:

      Sorry, Anne Will.

  • Naja, GesundheitsministerIn ist ein Amt, bei dem man seit Ullalala Schmidt immer nachgucken musste, ob es das überhaupt noch gibt. Da arbeitet man still im Verborgenen mit der Pharmalobby und beliebt wird man sich da auch nicht machen, wenn gerade die SPD voll auf die Bürgerversicherungskarte gekommen ist. Vom letzten Gesundheitsminister habe ich nicht viel mitbekommen.

     

    Ich denke, mit Kramp-Karrenbauer hat die sich schon eine Adoptivnachfolgerin geholt, der ihre Linie weitestgehend entspricht. Die wird nur als PR-Maßnahme etwas konservativer auftreten wie Merkel.

  • „Aber in Demokratien gibt es keine Erbfolge“

     

    Ich glaube nicht, dass Frau Merkel erst darauf hingewiesen werden muss. Auch nicht, dass sie insgeheim solche Pläne verfolgt. Als Demokratin wird sie wissen, dass ihr das Amt nur auf Zeit überlassen, und keineswegs ihr „Eigentum“ ist

     

    In „lupenreinen“ Demokratien mag das anders sein. Putin trickst die Verfassung aus, indem er nach den ihm erlaubten 2 Amtszeiten jeweils für 1 Amtszeit die Sessel mit seinem Getreuen Medwedjew tauscht, um danach wieder 2 Amtszeiten selbst regieren zu können.

    Oder Robert Mugabe, der sich 30 Jahre mit Zähnen und Klauen an der Macht hielt und das Land in seinen eigenen altersbedingten Abbau hineinriss.

    Oder dieser Tage der Kommunist Xi Jinping, der für sich beschloss, gewissermaßen auf Ewigkeit an der Macht bleiben zu müssen, weil es unter den über 1 Mrd. Chinesen anscheinend keinen Besseren als ihn selbst gibt. Niemand wird ihn aufhalten können.

     

    Eine besonders originelle Lösung wurde übrigens ausgerechnet in Nordkorea gefunden: Nämlich eine Art „kommunistische Erbmonarchie“, bei der die Macht auf Dauer in „Familienbesitz“ bleibt!

  • Seit der Bundestagswahl spätestens wird Merkel durch die Medien politisch schwach gemacht. Die Siege der CDU in den Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und NRW haben aus meiner Sicht Merkels Macht eher gestärkt.Ich kann nicht einschätzen, ob Merkels Macht in der CDU wirklich schwindet. In den Koalitionsverhandlungen seit September wirkt sie auf mich politisch durchsetzungsstärker als mancher Kommentar zum Thema.

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @Der Alleswisser:

      Sie hat den ehemaligen Partner USA nicht mehr, Europa zerbricht täglich ein Stückchen mehr, in der Dieselgeschichte hat sie ein absolutes Totalversagen gezeigt, Energiewende, Klimapolitik und Landwirtsschaftswende hat sie praktisch gar nicht mehr wahrgenommen, jetzt kriechen die Aufmüpfigen in der CDU hoch, die ebensolchen in der CSU kommen demnächst, die SPD wird entweder sehr stark sein, oder Frau M. kann jeden Tag bibbern, was sie wohl noch durchkriegt durch den Bundestag.

      Wenn Sie das als 'stark' bezeichnen, dann glaube ich, daß Sie nicht 'DER ALLESWISSER' sind. Das ist selbst für Frau M., die ja immer gerne einfach NICHTS anpackte, eine Ohnmachtssituation.

  • Hoffentlich schießt sie denn ab, bevor sie geht...