Kommentar Gutachten zur Seenotrettung: Gestorben wird weiter
316 Menschen sind dieses Jahr bereits im Mittelmeer ums Leben gekommen. Ein Gutachten des Bundestags belegt Verstöße der EU-Staaten.
M it großem Getöse hatte die so genannte libysche Regierung im Sommer 2017 angekündigt, künftig selbst die Seenotrettung im zentralen Mittelmeer zu organisieren. Italien wollte dem in völligem Chaos darniederliegenden Land geholfen haben, eine Leitstelle für die Koordination der Einsätze aufzubauen – und hatte sich damit selbst der Verantwortung zu entledigen versucht.
Die Libyer drohten den privaten Seerettungs-NGOs Gewalt an, sollten sie dennoch weiter vor Libyen – wohlgemerkt: in internationalen Gewässern – retten.
Seither gingen die Ankünfte von Flüchtlingen in Italien deutlich zurück. Denn die Libyer brachten schiffbrüchige Migrant_innen an ihre eigene Küste. Und dort, das ist erwiesen, landeten diese dann erneut in Folterlagern.
Jetzt hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages sich mit der Situation vor Ort befasst. Das Ergebnis: Der Umgang der EU-Staaten mit Flüchtlingen und Migranten im Mittelmeer verstößt gegen die UN-Flüchtlingskonvention. Der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko hatte das Gutachten in Auftrag gegeben. Die Parlamentsjuristen kritisieren insbesondere die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache.
Italienisches Kriegsschiff blockierte Flüchtlingsboot
Von Anfang an war zweifelhaft, ob die Libyer, die auch sonst nicht mal in Ansätzen eine funktionierende Verwaltung vorweisen können, überhaupt im Stande sind, eine Rettungsleitstelle zu führen. Auch ihnen selbst scheinen daran zwischenzeitlich Zweifel gekommen zu sein. Denn im Dezember 2017 widerrief Libyen die Ausweisung der eigenen Seerettungszone gegenüber der dafür zuständigen International Maritime Organization (IMO).
Das war vor allem ein Rückschlag für Italien. Das Land hatte so sehr darauf gedrängt, dass die Libyer die Seenotrettung koordinieren – denn auf diese Weise würde das Gros der Geretteten am Ende in Nordafrika landen, egal, was dort mit ihnen geschieht.
Und so mochten die Italiener den libyschen Rückzug nicht hinnehmen: Eine erneute Registrierung der libyschen Seerettungszone „soll in Zusammenarbeit mit italienischen Behörden bereits kurz darauf eingereicht worden sein“, heißt es im Bundestags-Gutachten. Allerdings werde die libysche Rettungsleitstelle in Tripolis „erst in den nächsten Jahren“ einsatzbereit sein.
Trotzdem hatte ein italienisches Kriegsschiff ein überfülltes Flüchtlingsboot im vergangenen Herbst an der Weiterfahrt gehinderte, bis ein Boot der libyschen Küstenwache eintraf. Die Libyer hätten die Insassen des Boots dann zurück nach Libyen gebracht. Auch diesen Vorfall bewertet der wissenschaftliche Dienst des Bundestages: „Das Querstellen oder die Hinderung an der Weiterfahrt auf andere Weise bis zur Aufnahme durch ein Boot eines unsicheren Drittstaates dürfte indes gegen das Refoulement-Verbot verstoßen“, heißt es in dem Gutachten.
Das Sterben wird weitergehen
Die Juristen kritisieren, dass die italienische Seenotleitstelle mehrfach der libyschen Küstenwache das Kommando bei Rettungseinsätzen überlassen habe, die dann zivile Retter bedroht oder behindert habe. Dazu sei die libysche Küstenwache völkerrechtlich jedoch „nicht befugt“. Insbesondere dürfe sie nicht anderen Schiffen eine Beteiligung an Rettungsaktionen untersagen.
Für die Situation im Mittelmeer heißt all das vor allem: Es wird weiter gestorben. 316 Tote im zentralen Mittelmeer zählt die IOM in diesem Jahr – im Schnitt mehr als 5 jeden Tag.
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