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Kommentar GroKo-SondierungDoppeltes Spiel

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Wenn es eine neue Große Koalition gibt, wird sie farb- und ideenlos sein: Die Spielräume sind eng. Union und SPD sind angeschlagen.

Keine Interviews, keine Balkonfotos: TeilnehmerInnen der Sondierungsgespräche am Sonntag im Willy-Brandt-Haus in Berlin Foto: dpa

S PD und Union wirken am Beginn der Sondierungen fast auffällig optimistisch. Man gibt sich diszipliniert, gar geläutert nach dem Jamaika- Spektakel, und will sogar vier endlose Tage lang keine Interviews geben. Das soll souverän und professionell wirken. Aber es überblendet, dass diese Koalition, wenn sie gelingt, eine der Halbherzigkeit sein wird. Die Kompromisse werden aus Not, nicht aus Überzeugung gezimmert.

2013 war das anders: Die SPD strebte ideenreich wieder in die Regierung, Merkel, auf dem Gipfel ihrer Macht, konnte den Genossen mühelos entgegenkommen. Das Programm der letzten GroKo war sozialdemokratisch – das der neuen wird wohl blass, farblos, ausgewaschen.

Denn die politischen Spielräume sind eng, trotz des Haushaltsüberschusses. Die Kompromisslinien, die sich in den Schlüsselfragen Europa, Steuern und Rente vage abzeichnen, sind dünn. Die nach rechts Signale aussendende Union kann es sich nicht leisten, der SPD eine weitblickende, notwendige Reform wie die Bürgerversicherung zuzugestehen. Auch das überfällige Ende des Bund-Länder-Kooperationsverbots wird es mit dieser Regierung nicht geben. Der SPD fehlt es für große Würfe an Kraft, der inhaltlich leer drehenden, verunsicherten Union an Mut und Ideen.

Was ist von dieser Koalition also realistisch zu erwarten? Ein bisschen bessere Pflege, ein paar Steuersenkungen für Normalverdiener, eine EU-Politik, die vor allem den Schäuble-Kurs fortsetzt, eine etwas fairere Finanzierung des Gesundheitssystems. Mehr nicht. Denn hier verbinden sich drei Angeschlagene. Das Szenario von 2013, als die Union der SPD großenteils das Feld überließ, wird sich nicht wiederholen.

Das Szenario von 2013, als die Union der SPD großenteils das Feld überließ, wird sich nicht wiederholen

Die Beteuerungen, dass man ernsthaft und seriös verhandelt, sind schon genau so gemeint – seriös. Aber auch da gibt es doppelte Rechnungen. Union und SPD erkunden nicht nur die schütteren Grundlagen für weitere vier Jahre Regierung – sie wappnen sich auch schon für das blame game, das beginnt, wenn es mit der Regierung doch nichts wird. Vor allem die von der Union geäußerte freudige Erwartung, dass man mit der SPD nun schnell eine Regierung der Sachpolitik bilden wird, hat den hässlichen Oberton eines vergifteten Kompliments: falls nicht, dann war die SPD Schuld.

Auch Merkel und die Union werden im Falle des Scheiterns in die Bredouille kommen. Die SPD aber wird vor einem Trümmerhaufen stehen. Martin Schulz, der die Partei erst auf ein unbedingtes Nein fixierte, das über Nacht zum verdrucksten Ja wurde, wird noch eine Rolle rückwärts wohl nicht überstehen.

Wenn es diese Regierung gibt, dann nicht, weil Überzeugungen zu etwas sinnvollem Neuen zusammengefügt werden. Es wird eine Regierung des Krisenmanagements, geboren aus einer Zwangslage. Es wird sie geben, weil nichts anderes übrig blieb.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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23 Kommentare

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  • Warum soll es eine GroKo geben müssen?

     

    Lassen wir mal den Stabilitäts- und Durchregieren-Fetisch der Deutschen Presse weg. Eine Minderheitsregierung Merkel, an konkrete und klare Bedingungen für die Tolerierung gebunden, ist durchaus eine Alternative. Nur nicht für Frau Dr. No. Denn dann stehtcsie im Wind und schwebt nicht mehr 0ber den Wassern. 1, 2, 3, entzaubert.

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @J_CGN:

      Stimme Ihnen zu. Ich denke sogar, daß Frau M. eine der überschätztesten Politikerinnen ist. Um Obama und um die Industrie und die Wirtschaft herumschwänzeln, das war ihr Element.

      Konsequenz und Stärke eher nicht.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Es ist so, daß die Union immer noch nicht verstanden hat, daß sie die einzige und sehr große Verliererin der letzten Wahl war.

    Nicht nur hat sie sich die AfD groß gezogen, die häßliche CSU weiter an der Backe, den Wunschpartner FDP verloren, demnächst den Notpartner SPD vergrätzt. Europa in weiter Ferne, die USA sowieso, die Gallionsfigur Merkel auch bald und niemand als Ersatz in Sicht.

    Fast könnte man Mitleid haben, aber die Krise ist original CDU-gemacht.

  • Tja, wer hat (die) bloß gewählt? ;)

  • "Das Programm der letzten GroKo war sozialdemokratisch ..."

     

    Also, wenn das, was wir die letzten vier Jahre mitbekommen haben, schon sozialdemokratisch war, dann ist die Sozialdemokratie noch viel kaputter als ich dachte.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ..."Keine Interviews, keine Balkonfotos" und dann lese ich in der Zeit.online "Union und SPD stellen Klimaziel für 2020 infrage", auf Spiegel.online "Union und SPD wollen Klimaschutzziel aufgeben"?!

    Und täglich grüßt das Merkeltier.

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @81331 (Profil gelöscht):

      Ja, genau, das ist der Kern dieser merkwürdigen Ablehnung von Öffentlichkeit.

      Irgendwas rummauscheln und dann ist was vereinbart, was niemand gewählt hat und dann nicht mehr rückgängig zu machen ist.

      Nicht die Öffentlichkeit ist das Problem, sondern die Hinterzimmer von Frau M.

      Oder auch überhaupt der Politikstil von Frau M.

  • DIE SPD-Führung...

    hat doch keine chance, das parteitagsvotum zu überstehen, wenn sie am wochenende nicht mehr als ein "blasses, farbloses, ausgewaschenes" sondierungsergebnis vorlegt. die spd hat nur dann eine chance eine groko zu überstehen, wenn sie a) mit "merkel muss weg" die abgehalfterte kanzlerin in der hälfte der legislatur ablöst und b) für die zeit danach eine realistische machtoption schafft, die es ihr erlaubt, glaubwürdig um die kanzlerschaft mit einem neuen gesicht unter einbindung von grünen und linken zu kämpfen - aber da ist weit und breit niemand, der das zu fordern sich traut. also ade groko - heinein in die minderheitsregierung merkel mit kooperationsangebot in den feldern haushalt und finanzen, aussen und verteidigung: statt einer in einer "starken regierung" politik nach merkelscher art gerinnen zu lassen, hätten wir endlich ein "starkes parlament", das mit seinen intiativen das gesicht der politik wieder erfrischen kann.

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @hanuman:

      Ja.

      Minderheitsregierung schützt vor unsinnigen Aktionen.

      Wenn die CSU unbedingt eine Aufrüstung nach dem Gusto von Herrn Trump braucht, dann soll sie sich eine suchen

      • 4G
        4932 (Profil gelöscht)
        @4932 (Profil gelöscht):

        'Mehrheit'

        sorry

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Die CSU zittert vor der GroKo und drückt sich offenbar vor einer klaren Haltung.

     

    Unsere heutige unfaire aber harte Fragestunde hat den Titel:

    Herr Dobrindt, antworten Sie!, zu der ich Sie auch an diesem Montag wieder herzlich begrüßen möchte. Ein paar Fragen unserer Leser haben uns bereits erreicht.

     

    1. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen AfD und CSU? Gibt es den überhaupt? Oder wird der von den linken Medien künstlich und polemisch erzeugt?

    2. Was macht die CSU besser als die AfD? Bitte um konkrete Beispiele. Und lohnt sich ein Wechsel für den Kunden überhaupt, da

    beide Parteien ja offenbar die gleichen Ziele haben?

    3. Haben die Geflüchteten es mit der CSU besser als mit der AfD?

    4. Haben wir AfD-Wähler Vorteile, wenn wir zur CSU wechseln?. Welche? Bekommt man eine Wechsler-Prämie? Was gibt es sonst noch? Wo kann ich die Prämie beantragen? Und wie hoch ist sie?

     

    Und jetzt, ein herzliches Grias Gott nach Bayern an Herrn Prof. Alexander Dobrindt. ' ... Herr Dobrindt ...??? ... Herr Professor ... ???

     

    Können Sie uns hören??? ... Herr Doktor ...??? ...

    (Die Regie: Die Leitung zu Herrn Dobrindt in das bayerische Landesstudio ist leider gerade zusammengebrochen oder Prof Dobrindt hat aufgelegt. Wir wissen die Ursache im Moment noch nicht. Wir hoffen, Herrn Dobrindt zu einem anderen Zeitpunkt nochmal die Fragen unserer Leser stellen zu können).

  • Natürlich bleibt vieles andere übrig. Fangen wir beim fast alles und ganz entscheidenden Punkt an: Angela Merkel.

    Sie alleine ist der Grund dafür dass die FDP letztlich ausstieg und dass die SPD eigentlich nicht will. Ohne sie wären schon mal ganz schnell schwarz-rot, schwarz-gelb-grün, schwarz-gelb-blau, schwarz-blau möglich.

    Erstaunt mich doch sehr warum dass der Autor nicht ansatzweise erwähnt.

    • @Horst Leverkusen:

      ...wer bitte soll denn JETZT die Nachfolge von Angela Merkel antreten? Martin Schulz? Alice Weidel? Jens Spahn? Ursula von der Leyen? Christian Lindner? Frauke Petry? Horst Leverkusen? Wären wir dann weiter? Geht es uns schlecht?

      • 8G
        81331 (Profil gelöscht)
        @Der Alleswisser:

        ...mal ehrlich, den Job von Frau Merkel kann so gut wie jeder in diesem Lande übernehmen.

        • @81331 (Profil gelöscht):

          ...also die Stelle international ausschreiben #BRDbkBewerbung. Wer führt die Bewerbungsgespräche und besetzt die Stelle? Siemens? Die USA? China? Muss es eine Deutsche sein?

  • ... da war doch was mit 'ner Klage von Hintergrundgesprächen im Kanzleramt. Ich möchte nur zugern wissen, wer daran teilnimmt, Herr Reinecke. Vielleicht wissen Sie das ja als Autor im Parlamentsbüro ...

     

    Aber die GroKo ist doch schon beschlossene Sache: Als Jamaika scheiterte stellte sich Johannes Kahrs vom Seeheimer Kreis vor die Mikrofone und faselte was von Auftrag der Wählerinnen und Wähler und Regierungsverantwortung, die die SPD übernehmen müsse.

    Das ist nicht der Untergang der SPD, das ist der Aufstieg der Seeheimerpartei Deutschlands. Wem es nützt? Auf keinen Fall den kleinen Leuten. Wohl nützt es den Reichen und der AfD. Die braucht dann nur noch auf die nächste Wahl hoffen ... Seeheim sei Dank!

  • Es läuft doch derzeit ganz wunderbar. Das wichtigste Ziel ist aus deutscher Sicht derzeit, dass die im Raum stehenden EU-Änderungen abgeschmettert werden. Was kann uns da bessseres passieren, als eine handlungsunfähige Regierung?

  • "Die Kompromisse werden aus Not, nicht aus Überzeugung gezimmert."

     

    Darüber werde ich nachdenken. Ich habe das Gefühl, dass Sie mit einem Satz das ganze Dilemma erfasst haben.

  • Der Zickzackkurs hat die SPD in eine Position gebracht, wo sie nur noch verlieren kann. Und mit diesem Personal ist das auch gut so, da es nicht in der Lage ist, sozialdemokratische Positionen mit Zukunftsperspektiven zu verbinden, die für die Mehrheit der Menschen in DE wichtig sind. Mit dem "Vereinigten Europa" wird sich die SPD pulverisieren, weil Europa, so wie es sich derzeit darstellt, abschreckend wirkt.

  • "Das Programm der letzten GroKo war sozialdemokratisch..."

     

    8,50 Mindestlohn und Rente mit 63?

     

    Konterkariert von lascher Umsetzung der Mindestlohnüberwachung, arbeitgeberfreundlicher Gesetzgebung bei Leiharbeit, Tarifeinheitsgesetz, HartzIV-Verschärfungen, Stärkung der privaten Rente (Betriebsrente), steuerliche Geschenke an Reiche bei Erbschaftssteuer, ÖPP bei Autobahnen, Einstehen für TTIP/CETA etc. etc.

    • @agerwiese:

      Rente mit 63 gibt es auch nur für diejenigen, die beim Staat oder staatsähnlichen Betrieben angestellt waren und nie lange arbeitslos waren.

  • Sehr geehrter Herr Reincke, "es ist besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren". Diese FDP-Aussage steckt auch in der aktuellen und zukünftigen GroKo. Nach politisch "links" jedenfalls, bewegt sich nichts und wird sich nichts bewegen. Die "taz" ist dafür selbst ein sprechendes Beispiel.

     

    Mich erinnert der politische Zustand der Bundesrepublik seit dem Scheitern von "Jamaika" an die Wahl von Hindenburg zum Reichspräsidenten 1932 durch eine Regenbogenkoalition - oder an die Wahl von Macron letztes Jahr in Frankreich: Man möchte das scheinbar Schlimmste vermeiden (politisch "ganz nach "rechts abzudriften), das doch durch jede Ritze inhaltlich erfolgreich (siehe die CSU jüngst in Seeon) zur politischen Macht drängt. - Schlechte Aussichten für die Menschenrechte, in Deutschland und weltweit.

  • "....... Die SPD aber wird vor einem Trümmerhaufen stehen. Martin Schulz, der die Partei erst auf ein unbedingtes Nein fixierte, das über Nacht zum verdrucksten Ja wurde, wird noch eine Rolle rückwärts wohl nicht überstehen...."

     

    Welch ein Unsinn. Es wird neuwahklen geben und die SPD wird besser abschneiden als Reinecke, Schulte und die anderen Heinis seit Wochen schreiben..

     

    Und was das Beeindruckendste ist: Schulz wird maßlos - aber mit vollem Ernst und strategisch - unterschätzt, obwohl man das Gegenteil weiß, aber die SPD runterschreiben will. Ein perfides Spiel der Medien..