Kommentar Giftgas-Vorwurf gegen Assad: Zweifel sind angebracht
Der Vorwurf, Syriens Armee habe kürzlich Chemiewaffen eingesetzt, bleibt vage. Die USA und Europa haben keinen Plan für den Fall, dass an ihm was dran ist.
G ewissheit in Sachen syrischer Giftgaseinsatz sieht anders aus. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel hat einen dazu bemerkenswerten Satz formuliert. „Unsere Geheimdienste sind mit unterschiedlichem Grad der Zuverlässigkeit zu der Einschätzung gelangt, dass das syrische Regime in geringem Maße Chemiewaffen, speziell Sarin eingesetzt hat.“
Dazu muss man wissen, dass die Floskel „mit unterschiedlichem Grad der Zuverlässigkeit“ in den USA immer dann zu Einsatz kommt, wenn sich die Geheimdienste nicht eins sind. Zu mehr Sicherheit führt das nicht. Es beschleicht einen fast das Gefühl, der Verteidigungsminister der USA hat zuerst seinen Anwalt nach der unverbindlichsten Formulierung gefragt, bevor er an die Öffentlichkeit ging.
Wer sich dann in Richtung Großbritannien wendet, um mehr Klärung zu suchen, wird ebenfalls enttäuscht. Das Außenministerium in London erklärte dazu, es habe „begrenzte, aber überzeugende“ Belege für die Nutzung von Chemiewaffen in Syrien. Das Problem hierbei ist, dass „begrenzt“ und „überzeugend“ eigentlich im Widerspruch zueinanderstehen. Später fügte Premier David Cameron noch ein „begrenzt und wachsende“ Belege hinzu. Wobei wieder offen bleibt, wie sehr das Begrenzte nun eigentlich um wie viel gewachsen ist?
ist Nahost-Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Ägyptens Hauptstadt Kairo.
Leider handelt es sich bei dem Vorwurf um keine juristische Spitzfindigkeit oder um intellektuelle Spielereien. Der Einsatz von Giftgas ist ein Kriegsverbrechen. Umso wichtiger wäre es, ernsthafte Beweise vorzulegen und sie unabhängig im Rahmen der UN untersuchen zu lassen. Denn natürlich denkt jeder sofort an Saddams irakische Massenvernichtungswaffen, die vor genau zehn Jahren zwar einen Krieg ausgelöst, aber am Ende niemals gefunden wurden.
Normalerweise ein letzter Verzweiflungsakt
In zweierlei Hinsicht sind Zweifel angebracht, trotz der offensichtlichen Skrupellosigkeit, mit der das Regime in Damaskus seit Monaten die eigene Zivilbevölkerung bombardiert. Chemiewaffen werden in der Regel als letzter Verzweiflungsakt eingesetzt oder wenn sich das Regime sicher ist, straffrei davonzukommen.
Ersteres ist in Syrien nicht der Fall. Das Regime Assad steht keinesfalls mit dem Rücken zur Wand und hat, im Gegenteil, in den letzten Wochen einige militärische Erfolge gegen die Rebellen vorzuweisen. Von einer Straffreiheit kann Damaskus auch nicht ausgehen, zumal US-Präsident Barack Obama den Einsatz von Chemiewaffen in aller Öffentlichkeit als „rote Linie“ markiert hat.
Obwohl? Denn da wären wir auch schon beim nächsten Problem. Angenommen, der Vorwurf erhärtet sich: Haben die USA und Europa nach zweieinhalb Jahren Inaktivität in Syrien wirklich einen Plan, was in einen solchen Fall dann geschehen sollte? Denn in Wirklichkeit bräuchte man keine neue Argumente für ein internationales Eingreifen schaffen.
Revival der Flugverbotszonen?
Das Regime setzt, und diesmal tatsächlich nachweislich, Clusterbomben und sogenannte Barrel-Bomben ein, Fässer voller Sprengstoff, die von niedrig fliegenden Hubschraubern über zivile Wohngebiete abgeworfen werden. Im Schnitt sterben in den von Rebellen kontrollierten Gebieten jeden Tag mindestens hundert Menschen, meist durch Luft- oder Artillerie-Angriffe. Man bräuchte also keine Chemiewaffen, um den Vorwurf von syrischen Kriegsverbrechen zu untermauern.
Was ist also die Konsequenz aus den jetzigen Giftgas-Vorwürfen? Das Ganze könnte die Debatte um die Flugverbotszonen wiederbeleben, die seit über einem Jahr eingeschlafen ist. Oder es könnte für offene Ohren für die Forderung der Rebellen sorgen, sie endlich mit Flugabwehrwaffen auszurüsten. Beides wird in den USA und Europa als problematisch angesehen.
Eine Flugverbotszone kann sich ganz schnell zum Türöffner einer vollen militärischen Intervention erweisen. Denn sie müssen nicht nur proklamiert, sondern auch militärisch durchgesetzt werden. Dazu scheint derzeit niemand bereit. Genauso wenig wie zur Lieferung von Luftabwehrwaffen, aus Angst, dass sie in die Hände der falschen heiligen Krieger fallen könnten. Schließlich könnten damit irgendwann einmal statt syrischer amerikanische Maschinen abgeschossen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen