Kommentar Gewerkschaften und Kohle: Die große Realitätsverweigerung
Im Streit um die Zukunft der Braunkohle machen sich die Gewerkschaften lächerlich. Mit schlechten Argumenten halten sie an überholten Ressourcen fest.
Das Duell der Zahlen haben die Gewerkschaften am Wochenende gewonnen: Während im Rheinland etwa 6.000 Menschen gegen die weitere Nutzung der Braunkohle demonstrierten, gingen in Berlin knapp 15.000 für den klimaschädlichen Energieträger auf die Straße. Inhaltlich allerdings sind die Energiegewerkschaft IG BCE und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi im aktuellen Streit über die Zukunft der Kohle die Verlierer.
Denn ihre Argumente halten einer Überprüfung nicht stand. Die von SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel geplanten neuen Klimaauflagen, gegen die die Gewerkschaften demonstrieren, treffen gerade mal 10 Prozent der Kohlekraftwerke. Dennoch sieht die IG BCE dadurch 800.000 Arbeitsplätze bedroht; Verdi-Chef Frank Bsirske sprach von 100.000 gefährdeten Jobs.
Belege für ihre Horrorzahlen blieben die Gewerkschaften schuldig. Studien etwa des Umweltbundesamts rechnen im Braunkohlesektor mit dem Verlust von nur wenigen tausend Jobs – die zudem durch neue Arbeitsplätze in anderen Energiebereichen überkompensiert würden. Wer da behauptet, Deutschland sei durch Gabriels Pläne „auf dem Weg zum Agrarstaat“, macht sich hochgradig lächerlich.
Auch wenn sie offiziell das Gegenteil beteuern, stellen die Gewerkschaften mit ihrem Pro-Braunkohle-Kurs die Energiewende und die deutschen Klimaziele infrage. Denn die Braunkohlekraftwerke sind nicht nur Deutschlands größte CO2-Schleudern; wegen ihrer geringen Flexibilität sind sie als Ergänzung für Wind- und Sonnenstrom zudem ungeeignet.
Unverständliche Haltung bei Verdi
Dass Verdi diesen rückwärtsgewandten Kurs unterstützt und auch der DGB-Bundesvorstand bei der Kohlekundgebung kurzfristig ein Grußwort sprach, ist völlig unverständlich. Denn insgesamt würden Arbeitsmarkt und Volkswirtschaft von einer Reduzierung der Braunkohle profitieren.
Doch auch die IG BCE, in der der Großteil der im Braunkohlebereich Beschäftigten organisiert ist, tut ihren Mitgliedern mit ihrer Realitätsverweigerung keinen Gefallen. Statt ihnen vorzugaukeln, dass sich eine langfristige Zukunft für die Braunkohle herbeidemonstrieren ließe, sollte die Gewerkschaft dabei helfen, den notwendigen Strukturwandel sozial verträglich zu gestalten und den Beschäftigten den Umstieg auf zukunftsträchtigere Jobs zu ermöglichen.
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