Kommentar Flüchtlingsabkommen: Rechtsstaatliche Skrupellosigkeit
Die Türkei fühlt sich in der Frage der Visumfreiheit zu Recht von der EU betrogen und legt das Abkommen auf Eis. Das ermöglicht eine neue Chance.
![Eine ältere Frau mit einem Kleinkind auf dem Rücken in Athen Eine ältere Frau mit einem Kleinkind auf dem Rücken in Athen](https://taz.de/picture/1243227/14/16040921.jpeg)
E rst vor wenigen Tagen noch hat Amnesty International den Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei als illegal und skrupellos bezeichnet. Jetzt hat die Türkei scheinbar darauf reagiert und das Abkommen erst einmal aus dem Verkehr gezogen.
Doch das hat nichts damit zu tun, dass die Rechte von Flüchtlingen durch das Abkommen mit Füßen getreten werden und sich als Konsequenz daraus immer mehr Flüchtlinge auf die im Vergleich mit der Ägäis noch viel gefährlichere Route von Libyen aus über das Mittelmeer machen. Nein, die Türkei fühlt sich von der Europäischen Union betrogen.
Und das zu Recht. Statt, wie ursprünglich versprochen, im Gegenzug für die Rücknahme der illegal nach Griechenland übergesetzten Flüchtlinge den türkischen Bürgern die visafreie Einreise in den Schengen-Raum zu gestatten, will Brüssel jetzt nichts mehr davon wissen. Die Türkei habe die dafür gestellten Bedingungen nicht erfüllt.
Es ist beschämend, wie hier Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Zuerst bietet die EU der Türkei viel Geld und andere Vergünstigungen an, um Flüchtlinge abzublocken. Doch als es dann an den einzigen Punkt geht, der auch normalen türkischen Bürgern etwas bringen würde, entdeckt sie plötzlich rechtsstaatliche Skrupel. Dabei ist das ganze Abkommen mit der Türkei von Beginn an auf rechtsstaatliche Skrupellosigkeit aufgebaut. Ist doch das Recht auf Asyl damit de facto außer Kraft gesetzt worden.
Wenn sich jetzt bei Flüchtlingen und Schleppern herumspricht, dass erst einmal niemand mehr aus Griechenland zurückgeschickt wird, werden wieder mehr Menschen auf die griechischen Inseln kommen, statt die lange Fahrt übers Mittelmeer nach Italien zu versuchen. Vielleicht schafft die EU es dann in einem neuen Anlauf, diese Flüchtlinge gerecht zu verteilen, statt sich an schmutzigen Deals mit Präsident Erdoğan zu versuchen.
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