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Kommentar Flüchtlinge in AbschiebehaftSchluss mit dem Misstrauen

Konrad Litschko
Kommentar von Konrad Litschko

Die Bundesländer zögern, die Abschiebehaft für gescheiterte Asylbewerber abzuschaffen. Das ist peinlich. Der Schritt ist längst überfällig.

Sachsen-Anhalt hat es vorgemacht: Das Land ließ alle Abschiebehäftlinge frei. Bild: dpa

E s ist eine fortgesetzte Peinlichkeit. Erst brauchte es den Europäischen Gerichtshof, um eine jahrealte EU-Richtlinie in Erinnerung zu rufen, Flüchtlinge hierzulande nicht neben verurteilten Verbrechern unterzubringen. Jetzt zögern einige Bundesländer noch immer, diese Selbstverständlichkeit umzusetzen. Dabei zeigt Sachsen-Anhalt, dass es auch unkompliziert geht: Das Land ließ all seine Abschiebehäftlinge frei. Sofort.

Warum also die Behäbigkeit der anderen Länder? Dahinter steckt eine tiefere Haltung. Trotz Fluchtkatastrophen im Mittelmeer, trotz heftigster Bürgerkriege, trotz aller verlauteter Willkommenskultur flackert an einigen Stellen immer noch der Geist von 1993 auf, als das Grundrecht auf Asyl zusammengestutzt wurde. Es ist vor allem die Union, die ein gewisses Bild heraufbeschwört von den Menschen, die in dieses Land kommen: das der Bedrohung.

Das unterstreicht auch die geplante Asylrechtsreform von CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maizière – die, wenn sie so kommt wie geplant, diese Abwehrhaltung noch verschärfen würde. Ungeachtet der Richtung des EuGH-Urteils stünde die Abschiebehaft damit vor einem Revival: Sie wäre so leicht verhängbar wie lange nicht. Eine absurde Wendung.

Schon die jetzige Lösung – Flüchtlinge schlicht in eigene Abschiebeknäste zu schicken – ist keine. Denn die Verwahrung, die Isolation, der psychische Druck, all das bleibt. Und das bei Menschen, die von ihrem Schicksal vielfach traumatisiert sind und in einer bedrückenden Zahl in den Zellen Suizid begingen. Menschen, die – man kann es nicht oft genug wiederholen – nichts verbrochen haben, außer mit ihrem Asylwunsch gescheitert zu sein.

Aus diesem Grund haben einzelne Bundesländer bereits Erlasse verhängt: Minderjährige, Kranke und Alleinerziehende dürfen dort nicht mehr in Abschiebehaft. Umso erstaunlicher ist es, dass der letzte folgerichtige Schritt nicht gegangen wird: die Haft gänzlich abzuschaffen. Er wäre überfällig.

Denn selbst, wer ein Untertauchen der Flüchtlinge fürchtet, hätte Alternativen: Zu denken wäre an Meldepflichten oder Kautionen. Für einige Bundesländer und für Innenminister de Maizière aber ist offenbar bereits der Status quo zu viel des Guten. Es braucht daher mehr als das EuGH-Urteil.

Es braucht ein grundsätzliches Umdenken. Eines, das Schutzbereitschaft über Misstrauen stellt.

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Konrad Litschko
Redaktion Inland
Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).
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1 Kommentar

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  • Im Gegensatz zu dem Artikel "„Fluchtgefahr“ muss konkret sein" enthält der Kommentar einige Fehler. Das EuGH-Urteil bezieht sich nicht nur auf Asylbewerber oder abgelehnte Asylbewerber, sondern auf alle Fälle der Abschiebungshaft. Die "Asylrechtsreform" ist in Wirklichkeit eine Reform des Aufenthaltsgesetzes, und es geht dort auch nicht um neue Haftgründe, sondern eine gesetzliche Definition des Begriffs "Fluchtgefahr".

    Zu den angesprochenen Alternativen: Die Stellung einer Kaution dürfte den meisten Betroffenen nicht möglich sein, weil sie mittellos sind. Meldepflichten nutzen nichts, wenn ein Ausreisepflichtiger kurz vor seiner geplanten Abschiebung mal eben ins Kino geht. Dann geht der Flieger halt ohne ihn ...

    Mit fehlender Schutzbereitschaft hat das alles nichts zu tun, denn hier geht es ausschließlich um Menschen, die nicht schutzbedürftig sind oder bei denen der Schutzbedarf in einem anderen Mitgliedstaat der EU geprüft wird oder schon geprüft worden ist.