Kommentar Fehlerhafte Brustimplantate: Brüste auf dem Prüfstand
Hersteller und TÜV weisen sich gegenseitig die Schuld zu. Doch auch Zertifizierer müssen haften, wenn sie Schäden an Produkten übersehen haben.
A chtung, das ist kein Kommentar über Brustformen, Schönheitsideale und Körperpolitik. Hier geht es um Wirtschaftsrecht und den Versuch, in einer hoch arbeitsteiligen Industriegesellschaft Sicherheit zu organisieren.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss darüber entscheiden, ob der TÜV für fehlerhafte Brustimplantate haftet, die ein französisches Unternehmen hergestellt hat. Natürlich muss zuerst das Unternehmen haften, aber das ist pleite. Also versuchen betroffene Frauen, sich an den TÜV zu halten. Denn der hat als Dienstleister das Unternehmen kontrolliert und ihm das gewünschte Zertifikat ausgestellt, dass die Silikonbeutel den Anforderungen entsprechen.
Der Rechtsstreit hat grundsätzliche Bedeutung. Denn Hersteller lehnen oft auch eine Haftung ab (zum Beispiel für den Zustand von Fabriken in Pakistan) und verweisen auf Zertifikate, die doch belegten, dass alles sicher sei. Die Zertifizierer lehnen ihrerseits wiederum die Haftung ab und verweisen auf den Hersteller. Tatsächlich haben die betroffenen Frauen, wenn man beim Beispiel mit den Implantaten bleibt, ja keinen Vertrag mit dem Zertifizierer. Bisher wirkte das alles wie organisierte Unverantwortung.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfahl betroffenen Frauen Anfang 2012, die Implantate des mittlerweile bankrotten französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) entfernen zu lassen. Eleanor Sharpston veröffentlichte ihr Gutachten zu dem Skandal am Donnerstag (Rechtssache C-219/15). (afp)
Jetzt deutet sich endlich eine Wende an: Die EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston hält in ihrem Schlussantrag eine Haftung der Zertifizierer für möglich und „angemessen“. Zwar ist sie vorsichtig. Prüfer wie der TÜV müssten nur bei eigenem Verschulden haften und hätten keine Pflicht zu verdachtlosen unangemeldeten Kontrollen. Aber wenn es einen Verdacht gebe oder sogar offensichtliche Missstände, dann müssten sie dafür geradestehen, dass die Produkte niemanden schädigen.
Es ist sehr zu hoffen, dass sich die Sichtweise Sharpstons am EuGH durchsetzt. Denn dann haben VerbraucherInnen (und ArbeiterInnen) künftig mehr Sicherheit. Es wäre ein weiterer Schritt zur Zähmung des Kapitalismus.
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