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Kommentar Fall Bivsi R. aus DuisburgGute deutsche Pflichterfüllung

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Es ist gut, dass Bivsi R. nach Deutschland zurückkehren kann. Aber wieso ist das ein Gnadenakt? Damit wird Fremdheit fortgeschrieben.

Gewissen? Pflicht! Bundesinnenminister De Maiziere beim Besuch des „Gemeinsamen Zentrums zur Unterstützung der Rückkehr“, wo Abschiebungen koordiniert werden Foto: dpa

E ine in Deutschland geborene und aufgewachsene Jugendliche wird von der Polizei aus dem Schulunterricht gezerrt und mit ihren Eltern, abgelehnten Asylbewerbern, die seit 20 Jahren in Deutschland leben, abgeschoben. Der Fall erregt bundesweit Aufsehen, Petitionen und Proteste führen schließlich dazu, dass die Jugendliche Bivsi R. wieder nach Deutschland zurückkehren darf, genauso wie ihre Eltern.

Alle Beteiligten betonen, dass das Vorgehen der Behörden absolut rechtmäßig gewesen sei. Damit auch weiterhin alles seine Ordnung hat, ist der Weg zur Rückkehr ein „Schüleraustausch-Visum“ – wohlgemerkt für eine in Deutschland geborene, aufgewachsene und beschulte Jugendliche. Ihre Eltern dürfen aus „humanitären Gründen“ die Tochter an den Ort des jahrzehntelangen gemeinsamen Lebensmittelpunktes begleiten.

Der Gnadenakt des Schüleraustauschs, inklusive Hinweis darauf, dass Bivsi R. nach dem Schulabschluss einen Folgeantrag stellen dürfe, um ein Studium oder eine Ausbildung zu beginnen, ist im individuellen Fall selbstverständlich besser als der Verbleib am fernen Abschiebeziel. Jedoch wird dabei ganz den Regeln getreu die Fremdheit der Familie R. fortgeschrieben. Sie bleiben Ausländer, die zwar seit Ewigkeiten in Deutschland leben, aber immer wieder den demütigenden Gang auf die Behörde werden machen müssen, um dort auf das Wohlwollen der Beamten zu hoffen, Beamte, die doch immer nur ihre Pflicht tun.

Deutsche Beamte in Ausländerbehörde und Polizei sind sich keiner Schuld bewusst und sehen die Verantwortung allein in der Gesetzeslage. Grad so, als gäbe es keinen Ermessensspielraum für ihre Entscheidungen, kein politisches Bewusstsein jenseits kühler Durchführungsbestimmungen, kein Gewissen. Die Fremden müssen halt draußen bleiben, so sind die Regeln.

Geboren in Deutschland, aufgewachsen in Deutschland, in Deutschland zur Schule gegangen. Warum hat Bivsi R., warum haben so viele andere Kinder von Arbeitsmigranten, Geflüchteten und Asylbewerbern nicht automatisch ein Anrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit? Das würde deutschen Bürgermeistern oder Polizisten Krokodilstränen wie im aktuellen Fall ersparen. Sie müssten, sonst ganz bedauernswerte Opfer der Gesetzeslage, keine Schulkinder mehr aus dem Unterricht zerren und in Flugzeuge ans andere Ende der Welt zwingen, weil es ihre Pflicht ist. Und die Pflichterfüllung, die ist doch das Wichtigste.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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12 Kommentare

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  • Natürlich sind sich die Beamten keiner Schuld bewusst. Es ist ihre Aufgabe Gesetze umzusetzen und zwar unabhängig davon was sie davon halten. Einen Ermessensspielraum mag es teilweise geben aber “politisches Bewusstsein” ist das letzte was ich bei Beamten sehen will. Das kann man bei der taz normalerweise auch ganz gut nachvollziehen, nämlich dann wenn Beamten entscheidungen Treffen deren politisches Bewusstsein sie der NPD oder AfD nahe stehen lässt.

     

    Wer in den USA gebohren wird ist automatisch Staatsbürger. Eine ähnliche Regelung wäre theoretisch auch in Deutschland möglich. Darüber hätte man 2013 vermutlich auch noch reden können. Nun wird das aber garantiert nicht mehr passieren, denn das würde dazu führen das viele der Menschen die “keine Bleibeperspektive haben” sich auf einmal doch eine verschaffen können und das wiederum halten unsere Sozialsysteme auf Dauer nicht aus. Entsprechend ist der Zug abgefahren.

     

    Eine Einbürgerung auf Basis des Levels an Integration würde ich begrüßen. Wer den Staat nichts kostet und sich an das westliche Wertesystem angepasst hat den braucht man auch nicht abschieben, auch wenn es technisch gesehen möglich wäre.

    • @disenchanted:

      Sie sprechen mir aus der Seele.

  • Danke für das Fotto & eure Überschrift!

     

    Zu dieser Körperhaltung -

    Schwer bedeutsam - & aggressiv-devot -

    "Hände vorm Sack et al." &

    Deren Entstehung mit dem Aufstieg des

    Nationalsozialismus & dem taz-Titel

    "Gute deutsche Pflichterfüllung" -

    So passend - kerr!

     

    Gibt es einen beeindruckend überzeugenden Film (?)!*

    Alles so. Zeitlos - wie's scheint! &

    IM FrozenThomas - der altbekannte

    Staatliche Gefährder wieder -

    Mittenmang - Was Wunder!

    Da mähtste nix.

    Normal.

     

    (Der verbraucht ohnehin des

    "Hände in Unschuld Waschwasser" -

    Marke - Pontius Pilatus - Tonnenweise!

    Diagnose - Krankhafter Waschzwang!)

     

    (* diese Körperhaltung - war zuvor komplett unbekannt - ja aus nahrliegenden Gründen geradezu verpönt! M.E. Die Einleitung der

    Verantwortungslosigkeit in Abkehr von

    Republikanischen Gepflogenheiten

    Abgrenzung statt Offenheit & Menschlicher Zuwendung & Absicherung vor möglichen Folgen -

    Eigenen Tuns. Ja. & Mit Verlaub.

    Der Gröfaz - als übelste Inkarnation.

    • @Lowandorder:

      ps - falls jemand den Film - schw/weiß

      Auf dem Schirm via youtube et al. hat

      Wär ich für nen link dankbar.

      Dank im Voraus.

  • Ich kenne mich mit dem Fall nicht aus. Wieso besitzt Bivsi, bzw. ihre Eltern, denn nicht die deutsche Staatsangehörigkeit?

    • @unbekannter_nutzer:

      Soweit ich weiß, haben die Eltern vor XX Jahren Asyl in Deutschland betragt. Pass mit echtem Namen nicht vorgelegt, sondern Falschangaben gemacht. Dann haben sie den gerichtlichen Instanzenzug voll durchlaufen und verloren (was sehr lange gedauert hat). Faktisches Bleiberecht für Menschen denen Asyl wohl anscheinend nicht zusteht.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Kinder, die auf deutschen Boden geboren werden, sollten automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Die endgültige Bestätigung kann ja dann später folgen mit 16 z.B., wo der/die Betroffene sich dann entscheiden kann/muss die Staatsbürgerschaft endgültig anzunehmen und wo der Staat unter bestimmten Voraussetzungen, die Staatsbürgerschaft verweigern kann. Das alles sollte von einem Gericht entschieden werden mit Recht auf Appell.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Interessiert Sie eigentlich, was die Eltern zu Ihrem Vorschlag sagen, oder denken Sie für die mit?

       

      Die Moderation: Kommentar gekürzt, bitte halten Sie sich an die Netiquette und diskutieren respektvoll.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Es gab mal eine Zeit als aus deutschen Staatsangehörigen

    plötzlich Juden wurden, Mischlinge, Menschen art, bzw. fremdverwandten Blutes usw. Mithilfe "hervorragender" Juristen, Ministerialbeamten, Gesetzeskommentatoren. Mit den bekannten Folgen ...

  • 3G
    39562 (Profil gelöscht)

    Mein Einruck ist dieser: Der Autor trifft die politisch-moralische Komponente sehr gut.

    Kenntnisse von Gesetzen im Detail, von Verwaltungsrecht, Ermessensspielräumen, Durchführungsbestimmungen, Beamtenrecht, Rechtsprechung etc. kann ich beim ihm allerdings nicht unterstellen. Leider ein bei Journalisten häufig zu beobachtendes Phänomen.

    Aber: Natürlich können der Gesetzgeber und die Ausführungsbehörden an den Umständen etwas ändern, wenn sie wollen.

  • Mit diesem Artikel hat der Verfasser meine Gedanken- und Gefühlslage zimlich exakt beschrieben. Dem bleibt eigentlich - fast - nichts hinzuzufügen.

     

    Das Gefühl dazuzugehören und sich Zuhause zu fühlen wird zu gleichen Teilen sowohl von der Wärme der sie umgebenden Menschen getragen als auch von denen, die ihrer Tätigkeit im Dienste des Volkes mit so viel beförderungsbeflissenem Eifer nachgehen, dass sie Gewissensfragen verdrängen, was Menschen zu Menschen macht - oder es zumindest sollte. Alles andere sind nur Phrasen und hohles Gesäusele, die schon lange niemanden mehr überzeugen.

     

    Denn gerade Letzteres ist das tragende zweite von drei Fundamenten, die Sicherheit und Halt vermitteln und in den Menschen, die in Not zu uns gekommen sind, die gewünschte Loyalität und den Wunsch weckt, positiv an unserer Demokratie und ihren - unseren - Werten mitzuarbeiten, das dritte Fundament. Wer das aus Sorge um Erhalt seines Machtstatus heraus verhindert mit solcher Unsicherheitsstrategie, fällt damit der Demokratie in den Rücken, denn

     

    Hass ist die Folge von Angst!

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    "Warum hat Bivsi Rana, warum haben so viele andere Kinder von Arbeitsmigranten, Geflüchteten und Asylbewerbern nicht automatisch ein Anrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit?"

    Berechtigte Frage, nur wer soll ihnen denn die deutsche Staatsangehörigkeit geben? Eine CDU/CSU dominierte Regierung wird sich dafür nie einsetzen.