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Kommentar Expertise G20-PolizeieinsatzDem Staat ist zu misstrauen

Lena Kaiser
Kommentar von Lena Kaiser

Nicht mal die Staatsgewalt nimmt die Gesetze ernst. Dass der Staat sich an Recht und Gesetz hält, ist leider nur ein frommer Wunsch.

Dass einer von ihnen ein Polizist ist, geht nur, wenn die Demo-Leitung informiert wird – so jedenfalls sehen es die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags Foto: dpa

W enn die Polizei eine öffentliche Versammlung infiltriert, ohne sich an klare Regeln zu halten, wird sie zum Borderliner des Rechtsstaates. Geschehen ist das am Vorabend des G20-Gipfels in Hamburg. Gegenstand vielfältiger Missachtung an diesem Tag: das Versammlungsrecht. Untermauert wird diese Lesart nun von einer Expertise der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, in Auftrag gegeben vom Linken-Abgeordneten Andrej Hunko.

Zur Erinnerung: Die Polizei hatte den Demonstrationszug unter dem Motto „Welcome to Hell“ gar nicht erst losgehen lassen – mit der Begründung, dass Teilnehmer*innen vermummt seien. Wer konnte schon ahnen, dass die Polizei damit auch auf sich selbst verwies, weil sich Beamt*innen undercover unter die vermummten Demonstrant*innen gemischt hatten.

Es ist ein Vorgang, der vermutlich nie hätte ans Licht kommen sollen. Doch dann verplapperte sich im Prozess gegen einen G20-Gegner ein sächsischer Polizist im Zeugenstand. Er gab an, er habe sich mit Kolleg*innen unter die vermummten Demonstrant*innen gemischt.

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages machen in ihrer Ausarbeitung nun deutlich: Die Beamten hätten bei dieser Angelegenheit, die den Anlass für die Demo-Auflösung lieferte, nicht die Finger im Spiel haben dürfen. Und sie hätten den Demo-Leiter und Flora-Aktivisten Andreas Blechschmidt informieren müssen. Dass das nicht geschah, sei ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht.

Was ,lernt' uns das? Haben wir uns schon daran gewöhnt, dass noch nicht mal die Staatsgewalt die Gesetze ernst nimmt – aus ermittlungstaktischen Erwägungen, versteht sich? Die traurige Antwort hat die Gewerkschaft der Polizei schon vor Wochen gegeben: Beim Einsatz vermummter Tatbeobachter habe es sich um „klassische Polizeiarbeit“ gehandelt, erklärte sie.

Die Lektion ist also: Misstraue dem Staat. Dass er sich an Recht und Gesetz hält, ist leider nur ein frommer Wunsch.

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Lena Kaiser
Transformatorin und Autorin
studierte Politikwissenschaft, Philosophie und Ethnologie in Potsdam, Berlin und Mexiko-Stadt und schreibt seit 2009 für die taz. Sie volontierte bei der taz in Hamburg, war dort anschließend Redakteurin, Chefin von Dienst und ab Juli 2017 Redaktionsleiterin. 2019 wechselte sie in die Produktentwicklung der taz und ist verantwortlich für die Digitalisierung der täglichen taz.
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6 Kommentare

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  • Und wieder wird versucht von den echten Gewalttätern von “welcome to hell” abzulenken.

    • @Klartexter:

      Klartext

       

      Was der wiss.Dienst da - Gutachtet!

      Ist meines Wissens - nach der Rspr. einschl. Karlsruhe - state of art zum

      Versammlungsrecht!

       

      Ihre phantasierte Ablenkung!

      Ist eine weitere Ihrer selbstgebastelten Chimären!

      kurz - Mal langsam ‘n Register anlegen!;) Newahr. Besser is das!

  • Das einfachste schärfere Gesetze durch zu boxen, ist auf geschehene Rechtsbrüche verweisen zu können.

    Gibt es keine ausreichenden Rechtsbrüche, wie Gewalt bei Demonstrationen, schaffe dir ausreichende Gründe, in dem du Gewalt verursachst und förderst.

    Ist doch eine einfache Milchmädchenrechnung, oder etwa nicht?

    Es ist doch bereits Fakt, dass zur Zeit Menschen, die an den G20 Demonstrationen teilgenommen haben, ob mit oder ohne Gewalttätigkeit, der Prozess gemacht wird.

    Die teilweise fadenscheinigen Beweise die dort vorgetragen werden, zeigen doch die Willkür, mit der dort Angeklagt wird, eindeutig auf!

     

    Seit die CDU und Merkel eindeutig von der AFD "gejagt" wird, kann man jetzt sogar sehr offen sehen, dass der Rechtsstaat in unserem Land immer weiter Federn lassen muss, weil die Politikergarde um ihren Machterhalt fürchten muss.

    Allerdings ist der Erfolg dieses Umbaus eher bei der AFD zu sehen, als bei den etablierten Parteien.

    Während die Zustimmung bei den Umfragen bei der CDU/CSU und der SPD ständig sinkt, bei der Linken, den Grünen und der FDP ständig Rauf und Runter geht, steht die AFD relativ Stabil in der Wählerzustimmung da!

     

    Leider begreifen die etablierten Parteien, besonders CDU/CSU und SPD nicht, dass die Deutschen keine Politik mehr wünschen, bei der sie absolut außen vor gelassen werden!

     

    Es wird Zeit, dass eine neue Riege Politiker antritt und sich in der deutschen Politiklandschaft bemerkbar macht, ansonsten wird die Politikverdrossenheit der Wähler zu einem Desaster führen.

    Es gibt immer mehr Bestrebungen von diversen Gruppen eigene Parteien zu gründen, welche auf ein gewisses Klientel abzielen.

     

    Wenn dieser Trend so weiter geht, werden wir bald wieder Weimarer Verhältnisse haben, wo sich eine Regierung aus vielen, vielen kleinen Parteien zusammensetzt, es aber keine wirkliche Regierung mit genügend Einfluss mehr geben wird!

     

    Haben wir das nicht hinter uns gelassen?

    Diese Aussicht wünscht sich wohl keiner mehr in unserem Land oder???

  • "Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages machen in ihrer Ausarbeitung nun deutlich: Die Beamten hätten bei dieser Angelegenheit, die den Anlass für die Demo-Auflösung lieferte, nicht die Finger im Spiel haben dürfen. Und sie hätten den Demo-Leiter und Flora-Aktivisten Andreas Blechschmidt informieren müssen. Dass das nicht geschah, sei ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht."

     

    Nun ja, ich glaube, dass ist nur ein Teil von dem, was da wirklich abging und auch vorher bereits geplant war. Die Polizei wollte die Randale, wollte den legitimen Protest der friedlichen Demonstranten diskreditieren und dabei haben sie Gästen wie Putin und Erdogan auch noch gleich vorgeführt, wie weit es her ist, wenn in Deutschland bestimmte Rechte geltend gemacht werden.

  • Ja der freie Markt bockt schon am meisten. Mehr Wettbewerb, mehr Freiheit, mehr Bürokratieabbau, weniger Steuern. Das haben die Grünen auch schon gecheckt.

  • Planmäßiger Rechtsbruch durch die Exekutive ist ja leider der Normalfall bei solchen Ereignissen. Solange das nicht die geringsten Konsequenzen für deren Vertreter hat, auch wenn es hinterher durch Gerichte als Rechtsbruch bestätigt wird, wird das auch weiter so sein.