Absprachen unter Polizisten: Beim G20-Prozess hört der Zivi mit

Ein Polizist wurde beauftragt, sich in Zivil unter die Zuschauer eines G20-Prozesses zu mischen. Verteidigung und Staatsanwaltschaft sind entsetzt.

Die Fassade des Amtsgerichts Altona.

Ein anziehender Ort für Zivilpolizisten: Das Amtsgericht Altona Foto: dpa

Hamburg taz | In Uniform betritt er den Gerichtssaal, seine Waffe steckt in ihrer Halterung. Er nimmt auf dem Zeugenstuhl Platz, legt seine Mütze auf den Tisch vor ihm. Ob er wisse, warum er als Zeuge geladen wurde, will die Richterin wissen, nachdem die Formalia geklärt sind. „Es geht um mögliche Beeinflussung von Zeugen“, antwortet er. Das habe die Richterin ihm in einem ersten Telefonat mitgeteilt.

Der Mann im Zeugenstand ist Polizist, genauer gesagt Dienststellenleiter des Polizeikommissariats (PK) 21 in Hamburg. Vor dem Amtsgericht Altona sind drei Menschen wegen versuchter Sachbeschädigung und Widerstands angeklagt. Sie sollen am 7. Juli 2017 im Rahmen der G20-Proteste versucht haben, Mülltonnen anzuzünden. Festgenommen wurden die drei von Zivilfahndern aus dem PK 21.

Am zweiten Verhandlungstag im September war herausgekommen, dass der Dienststellenleiter, der jetzt aussagen soll, einen Polizisten als – wie er sagt – Prozessbeobachter ins Gericht geschickt hatte, um die Aussagen eines Kollegen zu verfolgen.

Wie Beteiligte berichteten, war das aufgeflogen, weil Zuschauer*innen die Vermutung geäußert hatten, dass ein ziviler Beamter unter ihnen sei. Wäre seine Anwesenheit keinem aufgefallen, hätte ein Polizist die Aussage eines direkten Kollegen mitgehört. Der Vorgang hatte bei den Verfahrensbeteiligten für so viel Unmut gesorgt, dass alle involvierten Beamten vor Gericht zitiert wurden.

Richterin am Amtsgericht

„Es wäre für das Verfahren eine große Hilfe, wenn hier keine Beamten anwesend wären“

Im September hatte sich der Zivilpolizist erst als Beamter zu erkennen gegeben, als die Richterin nach Polizisten im Raum fragte. Auf eine erste Frage der Verteidigung reagierte er nicht. Zunächst behauptete der Polizist dann, privat an der Verhandlung teilzunehmen. Als er gefragt wurde, ob er aussagen würde, revidierte er seine erste Angabe, sagte, er sei dienstlich im Gericht und brauche erst eine Aussagegenehmigung.

Die bekam er noch am selben Tag. Im Zeugenstand sagte der Polizist nach taz-Informationen, er sei aus Fürsorgegründen ins Gericht geschickt worden.

Denselben Grund nannte auch der Dienststellenleiter am Mittwoch im Zeugenstand. Er habe entschieden, einen Mitarbeiter zu entsenden, um zu überprüfen, ob die aussagenden Polizisten im Nachhinein eventuell „fürsorglicher Maßnahmen“ bedürften. Zeugen seien ja immer selbst betroffen, es brauche neutrale Beobachter.

Er habe bereits zum ersten Prozesstag eine Mitarbeiterin aus dem PK 21 zu dem Verfahren geschickt, sagte der leitende Beamte. Sie sollte die Aussage eines ihrer Kommissariatskollegen beobachten, war aber des Saales verwiesen worden, da sie bewaffnet war. Der Chef schickte deshalb zum nächsten Prozesstag einen zivilen Beamten.

Prozessbeobachtung ohne Information des Gerichts

Grund für die Prozessbeobachtung seien die besonderen Umstände des Verfahrens, also der G20-Bezug. Bei diesen Prozessen seien immer viele Zuschauer anwesend, die Einfluss auf die Zeugen nehmen könnten, sagte der Dienststellenleiter. Das Vorgehen sei bei vielen Prozessen mit G20-Bezug so. „Das ist mir neu. Und ich mache seit einem Jahr G20-Verfahren“, entgegnete die Staatsanwältin.

Der Prozess sei öffentlich, deshalb dürften auch Beamte teilnehmen, sagte der Dienststellenleiter im Zeugenstand. Sein Mitarbeiter habe auch die Aussage eines zivilen Zeugen angehört, weil er sich einen Platz im Gerichtssaal für die spätere Vernehmung seines Kollegen habe sichern wollen.

Es wäre sicher auch ein gangbarer Weg gewesen, das Gericht und die Staatsanwaltschaft über den Polizisten im Publikum zu informieren, sodass ihm ein Platz hätte gesichert werden können, bestätigte der Dienststellenleiter auf Nachfrage. Er finde es aber selbstverständlich, dass Polizisten sich als Prozessbeobachter unter die Zuschauer mischten. „Sie können davon ausgehen, dass das auch in Zukunft der Fall sein wird“, sagte er.

Richterin bittet Polizist, zu gehen

„Ich bin genauso fassungslos wie Sie“, sagte die Staatsanwältin zu einer Verteidigerin, nachdem der Dienststellenleiter den Raum verlassen hatte. Für seine eigene Vernehmung hatte dieser ebenfalls einen Prozessbeobachter mitgebracht. Auch für die nachfolgende Aussage seines Mitarbeiters schickte er einen Beobachter aus seinem Kommissariat. Dieser gab sich auf Anfrage der Richterin zu erkennen.

„Grundsätzlich besteht ein Verdacht, dass Dinge im PK 21 weitergegeben werden“, sagte die Richterin. Es sei „nicht nachvollziehbar“, warum diese Vorwürfe nicht aus der Welt geräumt und im Zweifel Beamte aus anderen Dienststellen geschickt würden. „Es wäre für das Verfahren eine große Hilfe, wenn hier keine Beamten anwesend wären, jedenfalls nicht aus dem PK 21“, so die Richterin.

Der Polizist verließ den Gerichtssaal schließlich, nachdem die Richterin ihn mehrfach gebeten hatte, freiwillig zu gehen, und die Verteidigung ankündigte, ihn als Zeugen laden zu wollen. Der Prozess wird Anfang November fortgesetzt.

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