piwik no script img

Kommentar Europas Ost-West-KonfliktTrump als Friedensbringer

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Europa braucht wieder eine effektive Rüstungskontrolle. Der US-Regierungswechsel könnte für die benötigte Wende sorgen.

Was interessieren ihn schon der Donbass oder Südossetien? Foto: ap

D onald Trump hat vielleicht noch nie von der OSZE gehört. Er weiß möglicherweise nicht, dass das Gipfeltreffen der Staatenkonferenz für Friedenssicherung gerade die Hamburger Innenstadt lahmlegte. Eventuell hat er auch noch nicht von der Initiative gehört, die der deutsche Außenminister dort einmal mehr vergebens bewarb. Dabei könnte Trump noch zum Glücksfall werden für diese Initiative, und damit für die OSZE.

Es geht um Rüstungskontrolle. Solange sie noch funktionierte, galt sie als Eckpfeiler der Organisation. Wer die Metapher wörtlich nimmt, versteht, was ihr Scheitern für die Sicherheit in Europa bedeutete – und warum Steinmeiers Werben für einen Neuanfang richtig ist.

Kern des Systems war der KSE-Vertrag von 1990. Er legte fest, dass die Nato und der zerfallende Warschauer Pakt jeweils nur eine bestimmte Zahl an Panzern, Raketen und Kampfjets nutzten. Gegenseitige Kontrollen sollten garantierten, dass sich beide Seiten an die Vereinbarung halten. Zunächst ging der Plan auf, der Kontinent rüstete ab.

Dann veränderte sich die europäische Landkarte. Ehemalige Pakt-Staaten wechselten in die Nato. Der Vertrag von 1990 zählte sie noch immer zum Osten, de facto gehörten sie jetzt aber zum Westen. Eine Reform sollte das System zehn Jahre später anpassen, aber daraus wurde nichts.

Steinmeiers Initiative

Der Westen wollte das Update erst ratifizieren, wenn Russland im Gegenzug seine Truppen aus abtrünnigen Gebieten in Georgien und Moldawien abzieht. Moskau wertete das als Vertragsbruch, suspendierte erst seine Teilnahme und stieg in der Ukrainekrise komplett aus dem KSE-Vertrag aus. Soweit die Kurzform.

Welche Seite Schuld war? Mit der Diskussion dieser Frage könnten wir den Rest dieser Aufgabe füllen. Machen wir aber nicht, die Antwort ist nämlich egal. Entscheidend ist das Ergebnis: Europa befindet sich heute im gefährlichsten Ost-West-Konflikt seit Ende des Kalten Kriegs und braucht eine effektive Rüstungskontrolle. Es gibt aber keine mehr.

taz.am wochenende

Alexander Gauland galt als kluger Konservativer, mit dem Linke gern debattierten. Nun dirigiert er die AfD immer weiter nach rechts – und will so in den Bundestag. Warum er sich so entwickelt hat, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. Dezember 2016. Außerdem: In der deutschen Hackerszene tobt ein Kampf um Sex, Moral und Macht. Ein Netz-Krimi. Und: Eine Begegnung mit der marokkanisch-französischen Autorin Saphia Azzeddine. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Auch Steinmeiers Initiative macht wenig Hoffnung. Die Idee ist gut, entscheidende Akteure steigen aber nicht ein: Russland wartet ab, ob sich die Nato-Staaten auf den Vorschlag einlassen. Die USA stören sich noch immer an russischen Truppen in Georgien, Moldawien und jetzt auch der Ukraine. Und die baltischen Staaten fürchten, dass Obergrenzen mit Nato-Plänen kollidieren, ihnen zum Schutz vor Russland ein paar Bataillone zu schicken.

Hier kommt Trump ins Spiel. Seine Ankündigung, auf Russland zuzugehen, ist für die Sicherheit in Europa erst einmal nicht von Vorteil. Seine bisherigen Vorschläge lassen keine Annäherung zwischen Ost und West erwarten, sondern nur zwischen Kreml und Weißem Haus – ohne Rücksicht auf berechtigte Sorgen osteuropäischer Staaten. Dennoch könnte Trumps Kurs Steinmeiers Initiative nützen.

Trumps Isolationismus

Trump will auf seiner Seite des Atlantiks zwar kräftig aufrüsten, ein neues Kontrollsystem würde sich aber auf Europa beziehen und seine eigenen Pläne nicht einschränken. Sein Isolationismus spricht zudem dafür, dass die USA ihre Bedenken aufgeben: Was interessieren ihn schon der Donbass oder Südossetien?

Und die Balten? Unter Trump könnte die Garantie entfallen, dass die USA sie im Ernstfall gegen Russland verteidigen. Die europäischen Partner sind militärisch nicht in der Lage, den US-Beistand ganz zu ersetzen. Bleibt also nur eine Option: Die Gefahr eines russischen Angriffs nicht mehr durch Abschreckung reduzieren, sondern durch Kooperation.

Es müsste dann nur noch Moskau mitmachen. Und wenn Putin Gespräche ausschlägt? Dann würde zumindest nicht länger das Narrativ verfangen, Russland reagiere mit seinen Interventionen nur auf eine aggressive Nato-Einkreisungsstrategie. Es wäre ein Sieg gegen die russische Propaganda.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • "Es müsste dann nur noch Moskau mitmachen. Und wenn Putin Gespräche ausschlägt? Dann würde zumindest nicht länger das Narrativ verfangen, Russland reagiere mit seinen Interventionen nur auf eine aggressive Nato-Einkreisungsstrategie. Es wäre ein Sieg gegen die russische Propaganda."

     

    Und wenn Putin die Gespräche nicht ausschlägt, sondern vernünftige Vorschläge macht, ist es das Ende des Narrativs des irrationalen, gefährlichen Kremlherrschers - und damit ein Sieg gegen die anti-russische Agitation. Deswegen wollen viele Journalisten und Politiker in West- und vor allem Osteuropa keine ernsthafte Verständigung. An einem Wegfall des Feindbilds besteht kein Interesse: Es senkt Auflage und Rüstungsgeschäfte (im In- und Ausland) und man bekommt größere Probleme eigene Machenschaften als koscher darzustellen.

     

    Schön, dass sich Herr Schulze immerhin wirklich auf eine Friedensstiftende Politik festlegen will. Viele Politiker bleiben da schwammiger.

  • Vor allem wäre es kein Sieg für die russische Propaganda, sondern eine Niederlage für die Falken im Westen, zu denen man getrost auch Gauck und Flintenuschi zählen kann. Und Steinmeier, der ja auch mehr Verantwortung in der Welt übernehmen wollte (was nun in erster Linie Ausweitung von Militäreinsätzen bedeutet).

    So hat denn entweder Steinmeier eine Entwicklung durchgemacht oder zielt ein weiteres mal darauf ab, die Russen als uneinsichtige Sturköpfe vorzuführen.

    Und was soll eigentlich dieses dumme Gerede von "Europa hat nicht die Kraft". Immerhin sind noch zwei Atommächte dabei. Konventionell entscheidet der Umfang der Industrieproduktion für Waffen und Nachschub. Haben die Russen uns als Exportweltmeister abgehängt? Warum sagt uns das keiner? Es zählen auch Hilfen, zum Beispiel Warenlieferungen von Verbündeten. Haben die Russen auf einmal mehr befreundete Staaten? Was für Außenminister eigentlich ein Rücktrittsgrund wäre.

    Nein -- hier werden bloß Nebelkerzen geworfen.

    (Und selbst ein bis an die Zähne gerüstetes Europa müßte sich gut überlegen, wie man einen Krieg führen kann in einem Gebiet mit z.B. der höchsten Atomreaktordichte der Welt. Die bittere Wahrheit ist die: Wenn Putin sich das Baltikum einverleiben sollte, reagieren höchstens die Amerikaner. Der Rest hat nämlich überhaupt keine Lust, wegen ein paar Zwergstaaten in einem atomar verseuchten Gefechtsfeld den Nachwuchs großzuziehen.)

  • Ich finde diese ganze Vermutungen was Trump angeht nur noch armselig - wartet doch einfach mal ab!

     

    Wir werden sehen wie viel er von seinen Wahlversprechen innerhalb der ersten sechs Monate umsetzt.

  • „Ehemalige Pakt-Staaten wechselten in die Nato. Der Vertrag von 1990 zählte sie noch immer zum Osten, de facto gehörten sie jetzt aber zum Westen.“

     

    „Der Westen wollte das Update erst ratifizieren, wenn Russland im Gegenzug seine Truppen aus abtrünnigen Gebieten in Georgien und Moldawien abzieht.“

     

    „Welche Seite Schuld war?“

     

    Merkwürdige Frage. Eine Seite verändert die Bedingungen unter denen der Vertrag geschlossen wurde und stellt dann zusätzliche Bedingungen für die Anpassung an die neuen Gegebenheiten. Ist es da wirklich so schwierig, die Schuldfrage zu entscheiden?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Die osteuropäischen Länder sollten also dazu verpflichtet werden auch nach dem Fall des eisernen Vorhangs weiter den russischen Einfluss zu geniessen ?

       

      Sorry, aber das ist für mich Zynismus pur.

      Diese Leute haben den höchsten Preis bezahlt, nämlich Diktatur bis 1990.

      Ausgerechnet die (West)Deutschen durften ja schon seit kurz nach dem sie die grössten Menschheitsverbrechen begangen haben einen auf Rock´N Roller und Hippie machen.

      • @ackatonne:

        "Die osteuropäischen Länder sollten also dazu verpflichtet werden auch nach dem Fall des eisernen Vorhangs weiter den russischen Einfluss zu geniessen ?"

         

        Wo habe ich das denn geschrieben? Und darum geht es doch auch nicht. Im Vertrag geht es um das militärische Kräfteverhältnis in Europa. Und wenn Staaten (teilweise mit größeren Armeen), die vorher zur zur "russischen" Seite zählten, zur "amerikanischen" Seite wechseln, muss der Vertrag den neuen Gegebenheiten angepasst werden, da sie ja ihr "Kontingent" mitnehmen und damit das Gleichgewicht (Sinn des Vertrages) verändern. Eigentlich eine logische Sache. Merkwürdig wurde es, als die NATO begann, Zusatzforderungen zu stellen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Sie geben also Russland die Schuld? Da sie Truppen in Ländern stationieren die die Seite gewechselt hat? Moldavien ist ja eine abtrünnige Provinz von Rumänien, wie es eben in Georgien der Fall ist. Oder Tschetschenien, nur eben das hier eine Loslösung vom Mutterland nicht durch Russland unterstützt wurde.

      • @Sascha:

        Sie haben die Zitate aber schon gelesen?

         

        PS: Moldawien ist eine abtrünnige Provinz Rumäniens? Da träumt wohl jemand von Großrumänien?