Kommentar Ermittlungen zum Fall Jalloh: Gesellschaftlicher Druck wirkt
Die Anordnung von oben, im Fall Oury Jalloh weiter zu ermitteln, war lange überfällig. Nun hat das Aussitzen endlich ein Ende.
E s hat unfassbar lange gedauert: 12 Jahre. Und es hat unglaubliche Mühen gekostet. Doch jetzt scheint es endlich soweit, dass die Justiz bereit ist, das Offensichtliche anzuerkennen: Der Sierra Leoner Oury Jalloh hat sich im Januar 2005 im Dessauer Polizeirevier nicht selbst angezündet. Er wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit ermordet.
Wenn es eine Lehre aus diesem beispiellosen Justizskandal gibt, dann die: Gesellschaftlicher Druck wirkt. Denn die sachsen-anhaltinische Justiz agierte in der Sache wie einst der irakische General, der den Einmarsch der Amerikaner auch dann noch vor laufenden Fernsehkameras leugnete, als die Truppen schon vor seinem eigenen Palast standen.
Auch nachdem die erdrückende Indizienlast öffentlich bekannt geworden war, lehnte es die Staatsanwaltschaft in Halle schlichtweg ab, weiter zu ermitteln. Erst musste eine entsprechende Anordnung des Justizministeriums her. Und die gab es erst, als der öffentliche Druck zu stark wurde.
Auf Nachfragen reagierte die Staatsanwaltschaft Halle bis zum Schluss, als handele es sich um unverschämte Beleidigungen. Ob sie die belastenden Gutachten veröffentlichen oder der Öffentlichkeit auch nur mitteilen könnte, was drinsteht? Auf keinen Fall! Wie sie damit umgehen wolle, dass der ein Jahrzehnt lang ermittelnde Staatsanwalt von Mord ausgeht? Uns doch egal! Wir bewerten das eben anders! Und jetzt keine weiteren Fragen bitte – mit solcher Chuzpe wurden Fragesteller abgekanzelt.
Warum die Weigerung, zu ermitteln?
Für den Mord an Jalloh gibt es eine Theorie, die die Aktivistenszene schon sehr früh aufstellte: Polizisten haben den verhafteten Jalloh – warum auch immer – so schwer verletzt, dass sie versuchten, dies mit dem Brand zu vertuschen. Warum sie dazu eine derart auffällige Methode gewählt haben könnten, bleibt vorerst unklar. Nun jedenfalls glaubt auch die Staatsanwaltschaft Dessau, dass es so gewesen sein dürfte.
Noch schwerer vorstellbar ist, weshalb weite Teile von Polizei und Justiz in Sachsen-Anhalt sich derart lange weigerten, entsprechend zu ermitteln. Was geht im Kopf von StaatsanwältInnen vor, die die Sache auch dann noch einfach aussitzen wollen, wenn längst in allen Zeitungen zu lesen ist, dass die Gutachten auf Mord hindeuten? Wie sicher müssen sie sich fühlen, wenn sie glauben, all das einfach abtun zu können?
Und vor allem: Woher kommt ein solcher Korpsgeist, der lieber den Rechtsstaat bis auf die Knochen blamiert, als der Möglichkeit nachzugehen, dass es auch bei der Polizei Täter geben könnte?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste