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Kommentar Ermittlungen zum Fall JallohGesellschaftlicher Druck wirkt

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Die Anordnung von oben, im Fall Oury Jalloh weiter zu ermitteln, war lange überfällig. Nun hat das Aussitzen endlich ein Ende.

Oury Jalloh – das war womöglich Mord Foto: dpa

E s hat unfassbar lange gedauert: 12 Jahre. Und es hat unglaubliche Mühen gekostet. Doch jetzt scheint es endlich soweit, dass die Justiz bereit ist, das Offensichtliche anzuerkennen: Der Sierra Leoner Oury Jalloh hat sich im Januar 2005 im Dessauer Polizeirevier nicht selbst angezündet. Er wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit ermordet.

Wenn es eine Lehre aus diesem beispiellosen Justizskandal gibt, dann die: Gesellschaftlicher Druck wirkt. Denn die sachsen-anhaltinische Justiz agierte in der Sache wie einst der irakische General, der den Einmarsch der Amerikaner auch dann noch vor laufenden Fernsehkameras leugnete, als die Truppen schon vor seinem eigenen Palast standen.

Auch nachdem die erdrückende Indizienlast öffentlich bekannt geworden war, lehnte es die Staatsanwaltschaft in Halle schlichtweg ab, weiter zu ermitteln. Erst musste eine entsprechende Anordnung des Justizministeriums her. Und die gab es erst, als der öffentliche Druck zu stark wurde.

Auf Nachfragen reagierte die Staatsanwaltschaft Halle bis zum Schluss, als handele es sich um unverschämte Beleidigungen. Ob sie die belastenden Gutachten veröffentlichen oder der Öffentlichkeit auch nur mitteilen könnte, was drinsteht? Auf keinen Fall! Wie sie damit umgehen wolle, dass der ein Jahrzehnt lang ermittelnde Staatsanwalt von Mord ausgeht? Uns doch egal! Wir bewerten das eben anders! Und jetzt keine weiteren Fragen bitte – mit solcher Chuzpe wurden Fragesteller abgekanzelt.

Warum die Weigerung, zu ermitteln?

Für den Mord an Jalloh gibt es eine Theorie, die die Aktivistenszene schon sehr früh aufstellte: Polizisten haben den verhafteten Jalloh – warum auch immer – so schwer verletzt, dass sie versuchten, dies mit dem Brand zu vertuschen. Warum sie dazu eine derart auffällige Methode gewählt haben könnten, bleibt vorerst unklar. Nun jedenfalls glaubt auch die Staatsanwaltschaft Dessau, dass es so gewesen sein dürfte.

Noch schwerer vorstellbar ist, weshalb weite Teile von Polizei und Justiz in Sachsen-Anhalt sich derart lange weigerten, entsprechend zu ermitteln. Was geht im Kopf von StaatsanwältInnen vor, die die Sache auch dann noch einfach aussitzen wollen, wenn längst in allen Zeitungen zu lesen ist, dass die Gutachten auf Mord hindeuten? Wie sicher müssen sie sich fühlen, wenn sie glauben, all das einfach abtun zu können?

Und vor allem: Woher kommt ein solcher Korpsgeist, der lieber den Rechtsstaat bis auf die Knochen blamiert, als der Möglichkeit nachzugehen, dass es auch bei der Polizei Täter geben könnte?

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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9 Kommentare

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  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Wie wär's mit einem unabhängigen Untersuchungsrichter?

  • Wir brauchen vor allem eine unabhängige Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist direkt weisungsgebunden. Oberstaatsanwälte können ohne Begründung entlassen werden. Einfachen Staatsanwälten kann ohne Begründung ein Verfahren entzogen werden, wenn sie zu intensiv ermitteln. Die Rechtslage begünstigt mafiöse Strukturen - man mag fast schon sagen, sie führt sie fast schon herbei. Dabei wäre es einfach: Unabhängige Staatsanwaltschaften gibt es in vielen Ländern. In Italien wäre sonst Berlusconi nie angeklagt worden. Aber wir können etwas tun: Es gibt eine Petition für eine unabhängige Staatsanwaltschaft in Deutschland. Am besten gleich unterschreiben: https://www.change.org/p/parlament-einf%C3%BChrung-einer-unabh%C3%A4ngigen-staatswanwaltschaft-in-deutschland?recruiter=24880619&utm_source=share_petition&utm_medium=copylink&utm_campaign=share_page&utm_term=triggered

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    "Woher kommt ein solcher Korpsgeist, der lieber den Rechtsstaat bis auf die Knochen blamiert, als der Möglichkeit nachzugehen, dass es auch bei der Polizei Täter geben könnte?"

     

    Kein einziger der während des G-20-Desasters munter drauflosprügelnden, Gummigeschosse schiessenden oder Reizgas verspritzenden Polizeibeamten ist bislang angeklagt worden.

    Dafür bekommen junge Leute, die mit einer Taucherbrille angetroffen werden eine mehrmonatige Gefängnisstrafe ...

  • Die Aktionsform der Pyramidenblockade fällt unter den grundgesetzlichen Schutz der Meinungsfreiheit und gilt als friedliche und kreative Aktionsform, von der keine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, urteilte das OLG Celle 2011. Die Polizei stufte die Aktionsform in der Vergangenheit als Versammlung ein. Ein entsprechendes Vorgehen der Polizei ist also geboten und erwartbar. Die Hamburger Polizeieinheit, die am 02.12.20177 den Straßenabschnitt sichern sollte, auf dem die Pyramide von den drei Aktivisten platziert wurde, verhielt sich jedoch anders als erwartet. Sofort sprangen die Polizisten auf die sitzenden Aktivisten und schlugen mit Fäusten auf sie ein. Sie verdrehten die Finger und Arme der fixierten Personen und versuchten, die Personen mit Gewalt von der Pyramide zu reißen. Dabei wurde einem der Aktivisten, der noch immer am Boden lag, der Unterschenkel gebrochen. Auch mit aller Brutalität konnte der Finger eines Aktivisten nicht gelöst werden. Ein Aktivist schrie permanent, dass sein Bein gebrochen sei. Trotzdem wurde er zum Gehweg geschleift. Ein Krankenwagen konnte erst mit einstündiger Verzögerung durch den Anwalt der Aktivisten gerufen werden, die Polizisten weigerten sich. Zwei offene Knochenbrüche mit mehrstündiger Notoperation, Hämatome, Prellungen, Abschürfungen, Überdehnungen sind die medizinischen Folgen des Poliezeieinsatzes.

    https://de.indymedia.org/node/15895

  • Wer immer noch an den Staat und seine Schutzfunktion glauben möchte kann am Fall Jalloh nur verzweifeln.

  • "Der Sierra Leoner Oury Jalloh hat sich im Januar 2005 im Dessauer Polizeirevier nicht selbst angezündet.... "

    Es ist unklar, warum diese Tatsache erst jetzt auch von Seiten der Ermittler bestätigt werden. Ist das ein schon ein Skandal? Hm, es ist erst einmal Ausdruck von schlechten (oder schlampigen) Ermittlungen. Ein Skandal wäre der Nachweis, dass vorsätzlich schlecht ermittelt wurde. Diese Beurteilung kann man nur Experten überlassen. Es bräuchte also Ermittlungen gegen die damaligen Ermittler ...

     

    Die Frage muss jetzt sein: was sollte hier wirklich mit dem Anzünden vertuscht werden? Die Antwort "Er wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit ermordet." greift zu kurz. Dieses Szenario ist zwar das von Kreisen der Angehörigen und Freunden ein erwünschtes, aber bewiesen ist tatsächlich gar nichts. Ob hier ein Mord, Totschlag, Unfall oder gar etwas ganz anderes mit dem Anzünden vertuscht werden sollte, muss doch erst festgestellt werden. Oder?

     

    Wenn die eine Seite schon jahrelang mit falschen oder erwünschten Behauptungen agiert, so muss das von der anderen Seite nicht in gleicher Weise erfolgen. Es muss jetzt endlich ergebnisoffen ermittelt werden ... das Narrativ, dass Polizisten heimtückisch planen einen Gefangenen umzubringen und das auch umsetzen, kann man sich irgendwie nicht vorstellen ...

    • @TazTiz:

      "Narrativ, dass Polizisten heimtückisch planen einen Gefangenen umzubringen und das auch umsetzen, kann man sich irgendwie nicht vorstellen ..."

      Und genau damit beantwortet sich die Frage, mit der der Artikel endet. Dieser Korpsgeist wird unter anderem von einer Gesellschaft und Justiz gefördert, die sich bis heute nicht vorstellen will, dass Polizist*innen morden und Staatsanwält*innen sie decken.

      Die Polizei dein Freund und Helfer gilt eben nur für weiße, reiche, brave Untertanen. Für alle anderen ist die Polizei vor allem eins: Eine Gefahr für Leib und Leben.

      Und das ist auch wenig verwunderlich. Was soll schon dabei rauskommen, wenn eine Gesellschaft die Gewalt institutionalisiert und delegiert, anstatt ihre Gründe (u.a. Soziale und politische Ungleichheit, Verarmung breiter Bevölkerungsschichten bei steigendem Reichtum einzelner) zu bekämpfen.

       

      Die Polizei gehört abgeschafft. Machen wir uns auf in eine Gesellschaft, die die Gewalt bekämpft und nicht diejenigen die sie ausüben.

      • @BakuninsBart:

        wenn solche wie sie die gern gneralisieren, andere macht beteiligt wären, werden die frechen Unverschämten gefördert in Ruhe gelassen und und wer brav ist und weiß ..? Sie haben zwar recht mit den gesellschaftlichen gründen. Aber ich befürchte ihr Bild vom menschen ist unterkomplex .

      • @BakuninsBart:

        Blöd nur, dass Generationen von Menschen gegen die Ursachen von Gewalt nicht recht was eingefallen ist. Außer eigene Gewalt.

         

        Gäbe es keine Polizei, könnten viele Menschen nicht in Frieden leben sondern müssten sich ständig vor fremder Gewalt selbst schützen.