Kommentar Ein Jahr Jamaika im Norden: Und raus bist du
Wer in Schleswig-Holstein „Jamaika“ sagt, denkt meist an „Schwarz-Grün“. Die FDP wird kaum noch wahrgenommen.
S chwarz und Grün in Schleswig-Holstein hatten sich schon länger dezent aufeinander zu bewegt, zur heutigen Akzeptanz von Jamaika im Land aber haben vor allem ein Christdemokrat und ein Grüner beigetragen: Daniel Günther und Robert Habeck waren und sind bereit, die Grenzen des Machbaren in ihren Parteien auszutesten, beide sind über die eigene Klientel hinaus akzeptiert.
In der öffentlichen Wahrnehmung sind Habeck und Günther mit Sympathiewerten von fast 70 Prozent die mit Abstand beliebtesten Politiker im hohen Norden. Der Ministerpräsident ist innerhalb eines Jahres von einem Unbekannten zu einem bundesweit beachteten Vertreter einer Modernisierung der CDU geworden, Habeck spielt spätestens seit seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden der Grünen in der Bundesliga.
Die Folge: Wer in Schleswig-Holstein „Jamaika“ sagt, denkt in den allermeisten Fällen „Schwarz-Grün“. Die FDP ohne ihren Top-Entertainer Wolfgang Kubicki verschwindet langsam, aber sicher aus der Wahrnehmbarkeit. Strategie und eigene Stärke sind bei der FDP nicht zu erkennen.
Bei der jüngsten Kommunalwahl haben Schwarze wie Grüne gute Ergebnisse erreicht, die wichtigste Währung in der Politik: Erfolge geben eine freie Hand, um Grenzen weiter zu verschieben und Dinge auszutesten. Für die CDU ist wichtig, dass trotz ihres eher modernen Kurses die AfD landesweit bei vergleichsweise geringen fünf Prozent blieb. Die Grünen legten deutlich zu und sind mit Abstand die drittstärkste Kraft zwischen Nord- und Ostsee.
Mittelfristig wäre für beide Parteien allerdings ein Wiedererstarken der SPD wichtig, und zwar aus strategischen Überlegungen. Ohne die SPD als potenzielle Bündnispartnerin hätte Grün nur die schwarze Option, die CDU nur Jamaika. Die wahrscheinlichste Fortsetzung des jetzigen Bündnisses indes ist aus heutiger Sicht aber Schwarz-Grün. Die beiden Parteien hätten vor einem Jahr zusammen schon beinahe die Mehrheit im Landtag erreicht: In vier Jahren haben sie nun ein gemeinsames Ziel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen