piwik no script img

Kommentar EU-Streit um PolenPR statt Politik

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Brüssel rollt Polen den roten Teppich aus. Die Angst vor einem EU-Austritt ist größer als der Wille, die Demokratie und den Rechtsstaat zu verteidigen.

Proeuropäisch sieht anders aus: das neue polnische Kabinett Foto: dpa

V or Weihnachten herrschte Eiszeit, nun ist schon wieder Tauwetter angesagt. Oder wie soll man den betont herzlichen Empfang für den neuen polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki in Brüssel sonst deuten?

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gab sich jedenfalls alle Mühe, die Eskalation der vergangenen Wochen vergessen zu machen. Mit Handschlag und Schulterklopfen empfing er Morawiecki am Dienstagabend zum Dinner.

Journalisten mussten draußen bleiben, eine nichts sagende Pressemitteilung lobte die „freundschaftliche Atmosphäre“ und „konstruktive Debatte“. Der Streit um Rechtsstaat und Demokratie war Junckers PR-Leuten nur einen Satz wert.

Dabei hätte die europäische Öffentlichkeit schon gerne gewusst, wie es mit der umstrittenen polnischen Justizreform und dem historischen europäischen Sanktionsverfahren weiter geht. Erstmals wird ein EU-Land mit dem Verlust des Stimmrechts bedroht.

Kurz vor Weihnachten hatte Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans das so genannte Artikel-Sieben-Verfahren eingeleitet. Theoretisch könnte es zur teilweisen oder vollständigen Entrechtung Polens in der EU führen.

Autoritäre Ostfront steht

Doch dazu wird es nicht kommen – denn dafür wäre Einstimmigkeit nötig, und Ungarn hat bereits ein Veto angekündigt. Die autoritäre und nationalistische Ostfront steht, das EU-Verfahren droht ins Leere zu laufen.

Ist es wirklich ein Zeichen von Entspannung und Entgegenkommen, wenn Morawiecki kurz vor seinem Besuch in Brüssel ein paar besonders EU-feindliche Minister feuert?

Das wissen natürlich auch Timmermans und Juncker. Sie möchten eine Blamage vermeiden. Deshalb suchen sie nun nach einer goldenen Brücke, um eine Kampfabstimmung im Ministerrat – und die drohende Niederlage – zu vermeiden.

Doch muss man deshalb gleich den roten Teppich ausrollen? Ist es wirklich ein Zeichen von Entspannung und Entgegenkommen, wenn Morawiecki kurz vor seinem Besuch in Brüssel ein paar besonders EU-feindliche Minister feuert?

Eher schon sieht das nach einem Bauernopfer in Warschau aus – und nach einem Ablenkungsmanöver in Brüssel, wo man offenbar immer noch keine klare Linie gegen die autoritäre Bedrohung aus dem Osten gefunden hat.

Keine Strategie erkennbar

Timmermans und Juncker schwanken zwischen Drohung und Beschwichtigung, Eskalation und Entspannung. Eine Strategie steckt nicht dahinter. Nur der Wunsch, Polen in der EU zu halten, lässt sich aus dem Schlingerkurs herauslesen.

Nach dem Brexit will Brüssel keinen weiteren Austritt riskieren. Zudem treibt Juncker die Sorge um, Polen und Ungarn könnten eine für Juni geplante Reform der europäischen Migrations- und Asylpolitik blockieren.

Deshalb sucht man nun einen gesichtswahrenden Deal. Doch irgendwann wird sich die EU entscheiden müssen. Was ist wichtiger: den Laden zusammenzuhalten oder Demokratie und Rechtsstaat zu verteidigen? Es ist ein Alarmsignal, dass sich die Antwort nicht mehr von selbst versteht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    "Brüssel rollt Polen den roten Teppich aus. Die Angst vor einem EU-Austritt ist größer als der Wille, die Demokratie und den Rechtsstaat zu verteidigen."

     

    Dialog aber auch wesentlich sinnvoller und zielführender als Konfrontation. Daher ist dier Unterton in diesem Artikel unangebracht.

  • Ich frage mich wie viel Herr Bonse z.B. von der "umstrittenen polnischen Justizreform" versteht und der jahrzehntelang versäumten Transformation des Rechtssystems? Nicht viel gehe ich von aus.

     

    Nur ein Beispiel für die bisherige "Unabhängigkeit" der polnischen Justiz:

     

    2005 hat ein Gericht in Warschau den Chefredakteur der liberalen Gazeta Wyborcza mit diesem Urteil sakrosankt erklärt: "Negative Inhalte über den Chefredakteur der "Gazeta Wyborcza" Adam Michnik und über den Herausgeber dieser Zeitung Agora S.A. sind widersprüchlich mit den regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens" (Sad okregowy Warszawa, 25.09.2005, syg. III C 1225)

     

    Eine Travestie der unabhängigen Justiz. Und solche Urteile gab es hundertfach.

     

    Ein Pulk von polnischen Oppositionellen, NGOs und "Pro-Europäern" heizt die Stimmung auf, weil simpel und einfach die Falschen die Wahlen gewonnen haben.

  • Wie ich aus gut informierten Kreisen gerade hören, werden Minister ausgetauscht, ähnlich wie bei Theresa May, ohne die Politik im geringsten anzutasten, also eher zum Schein.

    Es wäre sehr hilfreich, wenn der Druck auf die Rechtsnationalen sich von innen, im Land selbst verstärken würde, um auch den Druck von außen abzusichern gegen die von der PiS inszenierte Sündenbockfunktion der EU. Wenn Juncker mal kurz nicht den Buhmann spielt, kann das helfen, aber er sollte sich da nicht überschätzen. Diese Leute verstehen nur Fakten von Geld und Macht und haben die Bevölkerung mit wichtigen Sozialausgaben geködert, sitzen fest im Sattel.

    • @Ataraxia:

      "und haben die Bevölkerung mit wichtigen Sozialausgaben geködert"

       

      Ihnen passt scheinbar nicht in den Kopf, dass Nicht-Linke Politik für die untere Hälfte der Bevölkerung machen können? "Ködern"?