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Kommentar EM-Team von Jogi LöwAusgebeulter Hut statt Fortschritt

Kommentar von Markus Völker

Müssen wir wegen des schiefen Weltbilds von AfD und Pegida wieder Fragen zur Herkunft von Nationalspielern erörtern? Nein, das müssen wir nicht.

Mesut Özil kurz vor Trainingsbeginn in der Schweiz. Plötzlich sind Herkunftsfragen wieder relevant Foto: dpa

I st es wichtig, wo ein Fußballer herkommt? Ach was. Halten wir trotzdem mal fest: Jérôme Boateng ist in einem bürgerlichen Kiez im Berliner Westen aufgewachsen, Mesut Özil wurde in Gelsenkirchen groß, im Stadtteil Bismarck (!). Emre Can ist ein Hesse, der beim SV Blau-Gelb Frankfurt mit Fußball angefangen hat, Shkodran Mustafi ist in Bad Hersfeld geboren. Jonathan Tah ist ein Hamburger Junge.

Die Aufzählung ließe sich fortführen. Aber wozu? Diese Kicker, die vielleicht ein biss­chen anders aussehen als die meisten, haben einen deutschen Pass. Und weil sie den haben und verdammt gut kicken können, sind sie deutsche Na­tio­nalspieler geworden.

Dass sie das konnten, ist schön. Es spricht für die Durchlässigkeit des Fußballs, der offensichtlich für alle in Deutschland offen ist. Es herrscht das Leistungsprinzip und nicht das Herkunftsprinzip. Es gibt keine gläserne Decke für talentierte Spieler mit einem Opa aus der Türkei oder mit einem Vater von der Elfenbeinküste. Jedenfalls nicht im Fußball.

Weil das vor sechs Jahren, vor der WM in Südafrika, anscheinend noch ein junger, brüchiger Befund war, feierten die Medien die Gründung einer „Interna­tio­nal­mannschaft“ überschwänglich, genauso wie 2006 der „positive Patriotismus“ überschwänglich gefeiert wurde. Das diente der Selbstvergewisserung und sollte wohl heißen: Seht her, wie bunt, selbstbewusst und chancenreich unser Land ist.

Jahre zurück

Drei Turniere später ist das aber – und das ist ein großer Fortschritt – nur noch ein alter ausgebeulter Hut, den man aber trotzdem immer wieder auf den Köpfen von Politikern und Medienmenschen sieht. Es ist dem hitzigen politischen Diskurs dieser Tage geschuldet, dass das Niveau der Fußballerbetrachtung regrediert. Es ist ein Diskurs, der zwischen den Polen Rassismus und Antirassismus tobt – und bisweilen totalitäre Züge trägt.

Wir befinden uns zeitlich wieder im Jahr 2010 und weit davor, wir müssen über Blut-und-Boden-Fragen und obsolete Biologismen diskutieren, weil die Begriffe nun mal blöderweise in der Welt sind. Sie sind in der Welt, weil es die AfD gibt. Weil es einen Politiker wie Alexander Gauland gibt, der Jérôme Boateng nicht in jedem Fall für einen guten Nachbarn hält.

Diese Begriffe sind aber auch in der Welt, weil sich eine hypernervöse und erregungstechnisch im Ausnahmezustand befindliche mediale Öffentlichkeit auf den dämlichen Blut-und-Boden-Diskurs von AfD und Pegida einlässt. Dogmatiker und Rechthaber finden sich auf beiden Seiten, was die Sache nicht einfacher macht.

Auch die Frage des Nationalen steht plötzlich wieder im Raum. Das liegt daran, dass nicht nur Sportfunktionäre in der Fußballnationalmannschaft eine Repräsentanz von, nun ja, deutschen Werten sehen. Andere, die offensichtlich gern ein Bad im Genpool nehmen, sprechen sogar, wie der Philosoph Wolfram Eilenberger, von einer Repräsentanz des „Volkskörpers“.

Auch diese Fragen schienen vor sechs Jahren erledigt und zur Zufriedenheit der großen Mehrheit beantwortet zu sein: Ja, es ist okay, wenn Özil und Boateng die Nationalhymne nicht mitsingen, das macht sie nicht zu schlechteren Deutschen.

Stinknormal

Und ja, es ist okay, wenn ein Schwarzer in der Viererkette steht und ein Muslim im Mittelfeld. Die Nationalspieler, egal welchen Stammbaum sie haben, sind eh sehr disziplinierte leistungsorientierte Typen, die pünktlich zum Termin kommen und, bis auf ein paar unrühmliche Ausnahmen, ganz gute Manieren haben.

Aber jetzt bemächtigen sich wieder unheilvolle Kräfte der Nationalspieler. Es geht plötzlich wieder ums Aussehen und um private Glaubensfragen, darum, ob der Muslim Özil aus der Umrundung der Kaaba eine Show gemacht hat. Kurzum: Der Fußball wird instrumentalisiert und politisiert.

Eine Politisierung des Sports ist nichts Schlechtes. Sie tut diesem apolitischen Gebilde sogar gut. Aber die Debatte sollte bitte schön auf der Höhe der Zeit sein.

Ohne ihnen nahe treten zu wollen, aber Shkodran Mustafis albanische Eltern oder Sami Khediras tunesischer Vater sollten nicht mehr wichtig sein, nicht für die Öffentlichkeit. Dass beide Nationalspieler diese Wurzeln haben – geschenkt. Dieser Background ist stinknormal. Wer das noch wichtig findet, hat wenig verstanden.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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9 Kommentare

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  • & by the way -

    "Leibesübungen" du taz

    Als Aushängeschild für kritische Distanz¿¿?? - hö hö ;()

    Was ne Lachnummer! &

    Das schon was länger!

    Theoretisch wie praktisch -

    Ganz schön viele Löcher -

    Inne Däsch!!

     

    (ps sonst würde nämlich bei hier wahrlich des öfteren aufgespießten

    Rohrkrepierern - schlicht vorher

    Die Feder abbrechen!;)

  • In Abwandlung eines bekannten Valentin-Zitates könnte man wohl formulieren: Es ist alles schon verstanden, nur noch nicht von allen.

     

    Klar, es ist lästig, aber das gehört nun mal dazu zur pluralistischen, offenen Gesellschaft dazu, dass man es aushält, wenn irgendwelche Spätzünder einen mit ihren idiotischen Postulaten nerven. Niemand, auch nicht Valentin, hat je behauptet, dass Gleichzeitigkeit etwas ist, was ausgerechnet menschliche Gehirne charakterisiert.

     

    Seit es die AfD gibt (wobei - vielleicht ist es auch umgekehrt), interessieren sich komische Leute für Politik. Leute, die

     

    a) eher praktisch als theoretisch begabt zu sein scheinen, um es mal vorsichtig zu formulieren und die deswegen

     

    b) ihr Leben lang auf Führung gehofft haben, weswegen sie sich

     

    c) nie eigentlich für Politik oder Gesellschaft interessiert haben, solange sie sich gut vertreten fühlen durften, sodass sie

     

    d) noch keine Gelegenheit erhalten haben, vernünftigen Vorstellungen dazu zu entwickeln.

     

    Es sind die sogenannten Abgehängten, die neuerdings die Nase irgendwie voll zu haben scheinen vom all den Führern, die sie nicht selbst gewählt haben, weil sie nicht doof genug gewesen sind - und die deswegen nun auch mal das Maul aufreißen.

     

    Nein, für diese Leute geht es nicht "plötzlich wieder ums Aussehen und um private Glaubensfragen". Für diese Leute geht es erstmalig darum, ob der Muslim Özil aus der Umrundung der Kaaba eine Show gemacht hat oder nicht.

     

    Der Fußball wird instrumentalisiert und politisiert, das mag sein. Wer aber postuliert, dass diese Instrumentalisierung und dieses Politisieren nichts schlechtes sind, sofern "die Debatte [...] bitte schön auf der Höhe der Zeit" stattfindet, der muss sich fragen lassen, wann er begreifen will: Die "Höhe" ist was subjektives. Man kann sich seine Landsleute nicht aussuchen. Es gehören nun mal auch Idioten zur Nation. Und die Väter dieser Leute müssen nicht in (Nord-)Afrika oder der Türkei geboren sein. Können aber.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Interessant, dass es wohl kein nennenswertes Gedöns darüber gegeben hat, dass die gesamte deutsche Fußballnation bis mindestens zur Mitte des letzten Jahrhunderts nicht unerheblich von polnischen Migranten geprägt war. Das Dritte Reich hat diese einfach alle zu (deutschen) Masuren oder Polen erklärt. Besonders interessant dabei der Fall von Ernst Willimowski, der erst für die polnische und dann für die deutsche Mannschaft spielte und in 8 Spielen für Deutschland 13 Tore erzielte (eine solche Quote hat wohl niemand mehr nach ihm erreicht). Auch bei Poldi und Klose war die Herkunft m.W. kein Thema. Aber bei den anders Aussehenden ist sie das offenbar bis heute.

     

    Badesalz hat diesen "Fußballrassismus" "herrrlich" in Szene gesetzt: http://lyrics.wikia.com/wiki/Badesalz:Anthony_Sabini

  • "…Eine Politisierung des Sports ist nichts Schlechtes. Sie tut diesem apolitischen Gebilde sogar gut. Aber die Debatte sollte bitte schön auf der Höhe der Zeit sein.…"

     

    ;)) - korrekt!

    Wie war das noch mit dem

    Ausgebeulten Hut¿!!

    Herr Sportredakteur?

    Dem is scheints nix zu schwör!

    kurz - bei Boateng mal ne -

    Neue Brille ordern!

    Zum steinalten Hut -

    Mit alter Krempe!

    Besser is das!;()

  • Fussball ist Business, nicht Volksseele. Man braucht nicht den Fussballnationalismus gegen die politische Rechte zu spielen.

    • @Ansgar Reb:

      In aller erster Linie ist Fußball Gehirnwäsche.

       

      Den angeblichen Volk (das lediglich ein virtuelles ist, wie jeder weiß, der einen Chef hat) wird eingeredet, dass es genau diese Gehirnwäsche dringend wünscht. Das ist um so leichter, als Otto Normaltrottel das "Volk" gar nicht kennen kann. Es ist ja ein Abstraktum, genau wie die Volksseele. Er möchte lediglich den Anschluss nicht verlieren. Wenn man ihm also jahrzehntelang fünfzig mal am Tag und selbst in den Hauptnachrichten erzählt, dass alle, die zum Volk gehören, den Fußball lieben, dann will er auch. Volk sein und Fußball lieben, meine ich. Weil: Nicht dazu zu gehören, wäre ja doof. Man wäre dann nicht besser dran als Boateng oder sein Vater.

       

      Damit lässt sich im Übrigen auch ganz einfach erklären, dass Fußball als "Business" so prima funktioniert. Blöd nur, dass den Marketing-Strategen von FIFA und UEFA die Nebenwirkungen und Risiken, die mit ihrer giergetriebenen Cleverness einhergehen, völlig egal sind. Die Rechnung zahlen schließlich wieder andere.

  • 2G
    27741 (Profil gelöscht)

    Das mit dem Leistungsprinzip halte ich aber für ein Gerücht, hier gilt wohl eher das Schaumschlägerprinzip. Ohne die Einführung des werbefinanzierten Fernsehens würden die Spieler nur die Hälfte verdienen. Wenn nicht noch weniger.

    • @27741 (Profil gelöscht):

      Das "Schaumschlägerprinzip" hin oder her – es ist in meinen Augen schon eine "Leistung" die Selbstverleugnung so weit zu treiben wie ein Bundesligaprofi sie treiben muss, um nicht aus dem Kader zu fliegen. Allerdings eine, die man erst einmal erbringen wollen muss.

       

      Diese Typen müssen durch und durch präsentabel sein. Und zwar einem "Volk" gegenüber, das rülpsend und im Unterhemd am Fernsehsessel klebt, den Bundestrainer gibt und seine Frau zum Kühlschrank schickt, damit es nichts verpasst. Diese Knaben müssen ohne jedes Rumgezicke Zeit ihrer Karriere tun, was Papa Jogi und die Geldgeber befehlen. Sie müssen sich kaufen und verkaufen lassen und sogar ihre Frauen sehen aus, als wären sie geklont. (Von Liebhabern darf nicht einmal gerüchteweise eine Rede sein.)

       

      Mir wäre das nichts. Ich sch... äh: Ich pfeife auf das Leistungsprinzip, wenn es so aussieht. So viel könnten die mir gar nicht zahlen, dass ich mich selbst aufgeben würde fürs Geschäft von Leuten, die ich nicht leiden kann.

    • @27741 (Profil gelöscht):

      Warum sollte jemand schlechter fußballspielen, nur weil er mehr Geld dafür bekommt?

       

      Die Rolle des Fernsehens (egal ob nun ÖR, werbe- oder abonnentenfinanziert) als Goldesel des Sports hat sicher dazu geführt, dass erfolgreiche Spieler auch nicht-sportliche Leistungen bringen, die - in Einzelfällen - die sportliche Leistung überlagern können. Aber letztlich werden Spieler von Sportdirektoren und Trainern eingekauft und eingesetzt, die nur in seltenen Einzelfällen vom Celebrity-Faktor allein leben und langfristig nur mit Erfolgen ihren Job sichern können. Insofern gibt es da schon eine ganz erhebliche eingebaute Kontrolle darüber, dass die Herren Millionäre nicht NUR als Medienstars und/oder Stilikonen funktionieren.