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Kommentar Deutsches KolonialerbeEin stark verdrängtes Kapitel

Deutschland war keine harmlose Kolonialmacht. Verbrechen in Namibia, Kamerun und anderen Ländern müssen aufgearbeitet werden.

Das Bild beginnt sich zu ändern – unter anderem dank Initiativen wie der zur Straßenumbenennung Foto: ipon/Stefan Boness

D ie konsequente und breite Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen ist überfällig. Wer die Vergangenheit verdrängt, trifft falsche Entscheidungen für Gegenwart und Zukunft. Nach wie vor gehört jedoch die koloniale Fremdherrschaft über Teile Afrikas, Ozeaniens und andere überseeische Gebiete zu einem der am meist verdrängten Kapiteln der deutschen Geschichte. Hartnäckig hält sich die Meinung, Deutschland sei nur eine kleine und harmlose Kolonialmacht gewesen.

Das trübt auch den Blick auf die internationale Verantwortung, die uns durch unsere Kolonialgeschichte zuwächst. Denn wie der Kolonialismus allgemein stellt auch die deutsche Kolonialherrschaft keine historisch abgeschlossene Episode dar, sondern hinterlässt vielfältige, globale Spuren, die noch immer wirkmächtig sind.

Ehemalige Kolonien wie Namibia und Kamerun vermissen zu Recht ein Agieren Deutschlands, das aus dem Bewusstsein erwächst, als Kolonialmacht zu heutigen dort herrschenden Problemen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik beigetragen zu haben. Hohe Summen von Entwicklungsgeldern sind nur ein Feigenblatt, solange es kein ernsthaftes Bekenntnis zum Völkermord an den Herero und Nama gibt oder sich Deutschland angesichts des sich aufschaukelnden frankophon-anglophonen Konflikts in Kamerun bedeckt hält.

Der Afrika-Beauftragte der Bundesregierung sprach jüngst in einem Interview gar von der vermeintlich zivilisierenden Wirkung des Kolonialismus auf Afrika. Dabei bediente er Vorurteile, die unser Denken über die Kolonisierten prägen.

Eurozentristische Denkweisen stecken überall

Immer noch haben wir ein weithin undifferenziertes Bild von Afrika, exotische Vorstellungen des „Fremden“ und tradierte Vorstellungen von behaupteter Ungleichwertigkeit. Eurozentrische Denkweisen schlagen sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen und in der Alltagskultur nieder, wie nicht zuletzt die Debatte um ein rassistisches Schulbuch in Sachsen gezeigt hat, das inzwischen aus dem Verkehr gezogen wurde.

Aber das Bild beginnt sich zu ändern. Daran haben besonders viele lokale, zivilgesellschaftliche Initiativen und kritische Wissenschaftler*innen einen wichtigen Anteil. Sie adressieren koloniale Geschichte und Kontinuitäten und treiben die Debatte um Kulturgut aus kolonialen Kontexten, den Umgang mit menschlichen Gebeinen, Erinnerungsorte, die inhaltliche Gestaltung des Humboldt Forums und die Diskussion über Straßennamen mit kolonialem Hintergrund maßgeblich voran.

Dringend notwendig ist eine Erweiterung der deutschen Erinnerungskultur und ihrer Narrative

Vor dem Hintergrund der durch Bénédicte Savoy und Felwine Sarr inspirierten Debatte über Raubkunst in Museen rücken Fragen nach kolonialen Herrschaftspraktiken sowie politischen und ökonomischen Unrechtsverhältnissen verstärkt in den Fokus. Darin liegt eine Chance: Neben dem zentralen und unabschließbaren Gedenken an die Schoah ist jetzt ein Zeitfenster aufgestoßen worden, in dem die Aufarbeitung des Kolonialismus und seiner Folgen angegangen werden kann.

Dies bedeutet nicht nur eine Überprüfung der bisherigen Restitutionspraxis und Ausstattung der Provenienzforschung in Bund und Ländern. Dringend notwendig sind vielmehr eine grundlegende Erweiterung der deutschen Erinnerungskultur und ihrer Narrative sowie die Einbettung in den europäischen Kontext der Kolonialisierung.

Kaum Gehör für zivilgesellschaftliche Initiativen

Exemplarisch ist der offizielle Umgang mit dem (post-)kolonialen Erbe in Berlin, dem politischen Zentrum des deutschen Kolonialismus. Hier fand 1884/85 die Afrika-Konferenz statt, in deren Rahmen der afrikanische Kontinent willkürlich zwischen den europäischen Kolonialmächten aufgeteilt wurde – mit destruktiven Folgen bis heute.

Bis auf eine Gedenktafel auf dem Garnisonsfriedhof vor einem Findling, der die deutsche Kolonialverbrechen beschönigen und heroisieren soll, finden sich jedoch keine Gedenkorte in der Bundeshauptstadt. Zivilgesellschaftliche Initiativen, die für ein öffentliches Denkmal für die Opfer von Kolonialismus und Versklavung eintreten, finden politisch bisher kaum Gehör.

Kurz vor seiner Eröffnung lancieren nun Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und eine Initiativgruppe, bestehend aus mehreren Wissenschaftler*innen, die Idee für einen „Gedenkort für die Opfer des deutschen Kolonialismus im Humboldt Forum“. Dieser Gedenkort soll als „Raum der Besinnung und Stille“ konzipiert werden und die Besucher*innen zur Reflexion anregen.

Das Humboldt Forum ist selbstverständlich in seinen konzeptionellen Entscheidungen autonom und braucht von der Politik keine kuratorischen Ratschläge. Verkannt wird jedoch, dass Form und Inhalt des Gedenkens so einseitig gesetzt werden. Als hätte es die Debatte um den kolonialen Kern und die Kritik am Humboldt Forum in den letzten Jahren nicht gegeben, übergehen Stiftung und Initiativgruppe die diasporischen Communitys sowie die große postmigrantische Szene der Republik.

Dialog wird zum Monolog

Der mit dem Bau des Humboldt Forums avisierte „Dialog der Kulturen“ wird so zu einem Monolog. Dieser Monolog jedoch wird der Komplexität einer Erweiterung der bundesrepublikanischen Erinnerungslandschaft um das Thema Kolonialismus nicht gerecht. Eine lebendige Erinnerungskultur lässt sich nicht top-down verordnen. Keine Frage: Die Debatte zum Umgang mit unserem (post-)kolonialen Erbe gehört überall hin, in die Zivilgesellschaft, die Bildung, die Künste, die Museen und eben auch ins Zentrum der Republik, ins Zentrum der deutschen Erinnerungs- und Gedenkpolitik.

Eine lebendige Erinnerungskultur lässt sich nicht top-down verordnen

Für diesen gesamtgesellschaftlichen Diskurs brauchen wir eine zentrale Stätte des Erinnerns und Lernens, um die Suche nach einem verantwortungsvollen Umgang mit diesem Erbe zu fördern. Entscheidende Werkzeuge dafür sind Demut und der Diskurs gemeinsam mit den Nachfahren der Kolonisierten und zivilgesellschaftlichen Initiativen über angemessene zentrale und dezentrale Formen des Erinnerns.

Kirsten Kappert-Gonther und Ottmar von Holtz

Kirsten Kappert-Gonther ist stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien mit Zuständigkeit für Erinnerungskultur/Aufarbeitung des kolonialen Erbes. Ottmar von Holtz ist Deutschnamibier und Obmann im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Eine zentrale Stätte des Erinnerns und Lernens als ein Element postkolonialer Erinnerungslandschaften kann die Thematik in ihren unterschiedlichen Facetten angemessen aufarbeiten und dieses Kapitel der deutschen Geschichte multi­perspektivisch betrachten. Ein solcher Ort in Berlin kann zum einen an die vertriebenen, unterworfenen und ermordeten Opfer der deutschen Kolonialherrschaft erinnern und ein beständiges Zeichen gegen Rassismus, Ausbeutung und Fremdherrschaft setzen.

Auskunft über den Status quo der Gesellschaft

Zum anderen könnte der Ort Möglichkeiten der kulturellen und politischen Bildung und Auseinandersetzung mit dieser Epoche deutscher Geschichte schaffen – in der Hoffnung, die Bitte um Versöhnung und die Entwicklung gemeinsamer Zukunftsper­spek­tiven zu unterstützen und somit eine gemeinsame Erinnerungskultur Deutschlands und der Nachfolgestaaten der damaligen Kolonien zu etablieren.

Die Aufarbeitung des kolonialen Erbes und die proaktive Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialherrschaft können Auskunft geben über den Status quo der deutschen Gesellschaft und den Prozess der Globalisierung, zu dessen Geschichte der Kolonialismus gehört. Die Beschäftigung mit unserem (post-)kolonialen Erbe stellt die Frage nach fortbestehenden Machtverhältnissen. Aus ihr lassen sich nicht zuletzt Veränderungsimpulse für Gegenwart und Zukunft gewinnen.

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Kirsten Kappert-Gonther
MdB, B'90/Die Grünen
Jahrgang 1966, ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 2017 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen. In ihrer Fraktion ist sie zuständig für Drogenpolitik und Gesundheitsförderung. Außerdem ist sie Berichterstatterin für die Aufarbeitung des kolonialen Erbes.
Ottmar von Holtz
MdB, Bündnis 90/Die Grünen
Sprecher für Zivile Krisenprävention Obmann im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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11 Kommentare

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  • Was dort geschehen ist darf sich nicht wiederholen, trotzdem gehört darunter ein Schlussstrich, ich habe keine verantwortung für das handeln meiner Eltern. Noch weniger für das handeln meiner Großeltern. Wenn wir noch weiter zurück gehen ... ihr seht wohin das führt.



    Aufarbeiten muss diese Generation in Deutschland schon lange nichts mehr.



    Ich unterstütze Hilfsorganisationen die Weltweit Ärmeren helfen, aber das hat nichts mit igendwelchen Dingen zu tun die irgendwann irgendwer begangen hat.

  • Kommentar entfernt wegen Pauschalisierungen. Die Moderation

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...ich denke, es geht in der Hauptsache nicht darum, dass heute viele Menschen in diesem Lande nicht mehr wissen, dass es deutsche Kolonien in Afrika gab und was genau dort geschah. Wichtiger ist es meiner Meinung nach, dass unser Staat, allen voran die Bundesregierung, das Bundesparlament, ihrer Informations- und Aufklärungspflicht nachkommen.



    Ausserdem ist es ein Unding, dass 'unsere' Bundesregierung sich weigert, mit den eigentlich betroffenen Bevölkerungsgruppen zu verhandeln.



    Die eigentlich betroffenen Bevölkerungsgruppen bleiben aussen vor, die Bundesregierung weigert sich, den Völkermord an diesen Gruppen anzuerkennen.

  • Ich halte das für eine Sache, die unbedingt aufgearbeitet werden sollte.

    Nur ist das gesamtgesellschaftlich eine sehr schwierige Sache, denn wie viele Leute wissen denn überhaupt von den Kolonien des Kaiserreich, geschweige denn was da passiert ist?

    Bei mir am Gymnasium war das damals eine Doppelstunde, Berliner Konferenz, Aufteilung Afrikas und Deutscher Kolonialverein. Das war es, was in den jeweiligen Kolonien passiert ist, wurde nie angesprochen.

    Ich habe gerade mal im hessischen Lehrplan nachgelesen, für "Der Erste Weltkrieg – eine Folge von



    Nationalismus und Imperialismus" unter den Punkt fällt auch die Kolonialgeschichte, sind 14 Schulstunden angesetzt, da wird das Thema Kolonien sicher ähnlich behandelt wie bei mir.

    Aber um ein Problem anzugehen, muss den Leuten erstmal klar werden, daß es ein Problem ist und dafür muss es den Leuten vermittelt werden.

    • @Sven Günther:

      Ich bin halte es für unbedingt notwendig, dass auch die Gräueltaten und Zerstörungen fremder Nationen wie Spanien, Frankreich, Sweden, Österreich, Holland, Dänemark und nicht zu vergessen die slawischen Söldner während des Dreißigjährigen Krieges auf deutschem Boden aufgearbeitet werden und Kompensation verlangt wird.

      • @Lara Crofti:

        Das ist ein ganz billiges Argument.

        Die BRD hat 2016 die Angriffe gegen die Armenier im damaligen Osmanischen Reich als Völkermord bezeichnet. Diese Ereignisse haben größtenteils 1915 und 1916 stattgefunden.

        Die Schlacht am Waterberg des Deutschen Kaiserreichs gegen die Herero und der im Oktober anschließende Vernichtungsbefehl war 1904.

        Bitte klären Sie mich auf, wo liegt da der Unterschied?

    • @Sven Günther:

      Es gibt ein Buch darüber "Deutsch Südwestafrika", das habe ich von meinen Eltern geerbt und gelesen. Ist halt aus der damaligen Sicht geschrieben, gibt aber viel Erkenntnisse über das, was man damals so als Kolonialmacht verbrochen hat. Man kann es ja kritisch lesen. In den Schulen, besonders den weiterführenden, sollte das Thema durchaus mal genauer behandelt werden.

      • 9G
        96177 (Profil gelöscht)
        @DVO:

        es gibt hervorragende neuere Literatur zum Thema, z.b. Zimmerer/Zeller: Völkermord in Deutsch-Südwestafrika oder Baer/Schröter: Eine Kopfjagd. Deutsche in Ostafrika.



        Meines Erachtens eines der Themen, deren Kontinuitäten weit darüber hinaus weisen. Ohne die Greuel und Menschenverachtung der Kolonialgeschichte ist der Vernichtungskrieg Hitlers , der Kolonialkrieg im Osten nicht zu verstehen.... bis in die Familiengeschichte Görings hinein zu verfolgen, dessen Vater in Deutsch-Südwestafrika als Reichskommissar tätig war.

    • @Sven Günther:

      Aus der praktischen Arbeit weiß ich zu berichten, dass das Wissen darüber das kleinste Problem ist. Über den Nationalsozialismus wird bildungstechnisch ja ganz anders aufgefahren, aber die Folge ist jetzt nicht, dass das umfassend aufgearbeitet würde.



      Leute tatsächlich zu überzeugen, dass das alles nicht so supercool war und auch nicht als Geschichte einfach so stehen bleiben kann, finde ich das Aufreibendste.

      • @emanuel goldstein:

        Also ich habe heute morgen mal die dualen Studenten auf der Arbeit bei der Wochenrunde gefragt, ob jemand wüsste ob Deutschland Kolonien hatte und wenn ja wo die denn liegen.

        Daraufhin wurde reflexartig zum Smartphone gegriffen, "nein, ohne nachzuschauen." Von 6 Leuten wusste genau 1 wo die deutschen Kolonien in Afrika lagen und der ist Bure aus Südafrika und hat das deutsche Bildungssystem nicht durchlaufen, ansonsten war das Wissen bei 4 Deutschen, "ich glaube wir hatten welchen."

        Kolonien in Asien und im Pazifik waren komplett unbekannt.

        • 8G
          83492 (Profil gelöscht)
          @Sven Günther:

          "Also ich habe heute morgen mal die dualen Studenten auf der Arbeit bei der Wochenrunde gefragt, ob jemand wüsste ob Deutschland Kolonien hatte und wenn ja wo die denn liegen."

          Was mich nicht verwundert. Das liegt mehr als 100 Jahre zurück und hat für das Leben in Deutschland keine praktische Bedeutung. Zumindest fällt mir spontan nichts ein, welche Folgen der Kolonialzeit den Alltag prägen (außer ein paar Straßennamen).