Kommentar CDU-Klausur: Live gestreamte CDU
Kramp-Karrenbauer erweist sich als gewiefte Strategin. Sie geht auf Distanz zu Merkel, ohne illoyal zu sein. Die Merz-Fans werden einfach umarmt

D ie neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer erweist sich als gewiefte Strategin. Bei der zweitägigen Klausur ihres Parteivorstands im brandenburgischen Potsdam lässt sie sich kein Quäntchen Triumph über ihre knapp gewonnene Wahl zur Parteivorsitzenden anmerken. Stattdessen geht sie umstandslos zur Sacharbeit über.
Indem sie die Anliegen der Anhängerschaft des unterlegenen Friedrich Merz, wie Migrationspolitik, Abschaffung des Soli und steuerliche Entlastungen für Unternehmen, auf den Tisch des Hauses packt, kapert sie nicht nur deren Themen, sondern zwingt ihre Wortführer quasi in den Dialog. Auf diese Weise baut sie den Abstand zwischen sich und ihrer Vorgängerin aus, ohne Bundeskanzlerin Angela Merkel gegenüber als allzu illoyal zu erscheinen.
Neu ist auch Kramp-Karrenbauers Kommunikationsstrategie. Waren mit der Vorsitzenden Merkel Vorstandsklausuren eine Art Fort Knox, hinter dessen dicken Mauern nur spärlich Informationen hervorgesickert waren, wird nun gar live gestreamt. Ganz offensichtlich möchte die Kanzlerin in spe hier deutlich bessere Standards setzen.
Ihr Versuch hingegen, Merz als Person in die Parteiarbeit einzubinden, darf vorerst als gescheitert angesehen werden. Da mögen die beiden in noch so vielen Interviews zu Protokoll geben, wie sehr sich über den und die jeweils andere „freuen“ – so schnell lässt sich ein Friedrich Merz nicht in irgendwelchen unsichtbaren Arbeitsgruppen domestizieren.
Ausgesprochen durchsichtig ist auch der Versuch der neuen Parteivorsitzenden, die Ostdeutschen mit einer Grundrente zu CDU-WählerInnen zu formen. Die Idee einer Rente, die zehn Prozent über der Hartz-IV-Grundsicherung liegt, mag konservativen FinanzpolitikerInnen als Husarenstück erscheinen. Auf die zu nicht unbeträchtlichen Teilen altersarmen Sachsen, Thüringer und Brandenburger wirkt das Konzept wie ein Almosen. Sie hatten nach der Wende nicht die Möglichkeit, in Betriebsrenten einzuzahlen oder privat vorzubeugen.
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