Kommentar Bürgerwehr in Arnsdorf: Einschlägige Tendenz

Die Täter von Arnsdorf berufen sich auf Zivilcourage. Doch das brutale Vorgehen gegen einen Iraker war eine Inszenierung rechter Selbstjustiz.

Männer in Trachten ziehen durch eine Fußgängerzone

In einem Rechtsstaat sind Bürgerwehren ein Anachronismus, der nur auf dem Deutschen Trachtenfest gut aufgehoben ist. Im Bild: Mitglieder einer historischen Bürgerwehr Foto: dpa

Man habe doch nur Zivilcourage gezeigt, verteidigte sich einer der vier Männer, die im sächsischen Arnsdorf einen Iraker aus einem Supermarkt gezerrt und mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt haben.

Zivilcourage, zu Deutsch Bürgermut, ist ein Verhalten, das sich eine demokratische Gesellschaft nur wünschen kann. Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die beherzt eingreifen, wenn sie andere in Not sehen – und nicht erst warten, bis irgendwelche Experten vor Ort sind. Aber rechtfertigt es auch, dass Bürger, die die Polizei als ineffektiv erleben, das Vertreiben von Störenfrieden in die eigene Hand nehmen? Die Grenze zur Selbstjustiz ist fließend, das zeigen schon allein die Kabelbinder in den Taschen der zivilcouragierten Nachbarn.

Es mag durchaus frustrierend sein, wenn eine Supermarktmitarbeiterin zweimal an einem Tag die Polizei rufen muss, weil ein Kunde Ärger macht. Und wenn der Mann jedes Mal wieder im Laden steht. Trotzdem hätte es die Bürgerwehr nicht gebraucht, denn der Rechtsstaat hat durchaus eine Antwort auf solche Fälle: Beim dritten Mal hätte die Polizei den Störer festsetzen müssen.

Aus dem kurzen Video von dem Supermarkt-Vorfall, das im Internet kursiert, ist jedenfalls keine Bedrohung erkenntlich, die den Einsatz von vier Männern mit starken Armen und Kabelbindern erforderlich macht.

Dafür ist aus dem Video, das mit dem gewaltsamen Abführen des Irakers endet, etwas anderes erkenntlich: Es handelt sich hier um eine bewusste Medieninszenierung von rechtsaußen. Eine vielfach geteilte Version des Handyvideos ist überschrieben mit „Fachkraft beim Diebstahl erwischt! Bürgerwehr Arnsdorf/Sachsen hilft!“. Die Clips, die danach automatisch auf dem Bildschirm erscheinen, tragen den Titel: „Tipps zum Überleben“ und „Kriminelle Flüchtlinge“.

Die Tendenz ist eindeutig. Hoffentlich findet der Rechtsstaat auch darauf eine eindeutige Antwort.

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Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.

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