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Kommentar Boykott eines Pop-FestivalsWas Chuzpe hat und was nicht

Juri Sternburg
Kommentar von Juri Sternburg

Mit dem Boykott des Berliner Festivals „Pop-Kultur“ wollen Bands Kritik an Israel ausdrücken. Das geht nach hinten los. Konsequent ist es auch nicht.

Israel wolle sich durch die Unterstützung des Festivals weißwaschen, fauchen die Kritiker Foto: reuters

M anchmal müssen Künstler entscheiden, ob sie Aufmerksamkeit oder Geld über Moral stellen. Man kann es halten wie Vivienne Westwood und auf einem Zalando-Podest zum generellen Konsum-Boykott aufrufen. Das hat Chuzpe.

Wenn man tatsächlich etwas mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, dann sollte man der Veranstaltung einfach fern bleiben. Laut einigen Bands aus Syrien und Ägypten ist dies nun geschehen.

Das Berliner Popkultur-Festival musste die Absagen diverser Gruppen hinnehmen, da diese durch die Israel-Boykott-Kampagne BDS („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“) über die Unterstützung des Festivals durch die Israelische Botschaft unterrichtet wurden.

Eine der Bands verkündete nun, dass sie „stolz auf den Boykott“ sei: „Trotz unserer Bemühungen, sicherzustellen, dass die Events keine Partnerschaft mit oder Anerkennung von Institutionen, Staaten oder Organisationen haben, die gegen unsere politischen oder sozialen Überzeugungen handeln, war die Band nun einer Situation ausgesetzt, in der wir boykottieren mussten.“

Laut dem BDS handelt es sich um einen eindeutigen Versuch Israels „sich als hippen, multikulturellen und fortschrittlichen Staat darzustellen“.

Die deutsche Linke freut sich: Sie kann endlich mal wieder Partei ergreifen

Potzblitz! Der israelische Staat versucht sich also durch Reisekostenzuschüsse weißzuwaschen. Wie hinterhältig! Ob ohne die Kampagne irgendjemand von dieser Unterstützung erfahren hätte, sei dahin gestellt. Der BDS sollte eventuell mal den „Streisand-Effekt“ googeln.

Die deutsche Linke freut sich: Sie kann endlich mal wieder Partei ergreifen. Ist doch längst bekannt, dass es für die Beteiligten im Gaza-Konflikt nichts Wichtigeres gibt als die weltbewegende Meinung irgendwelcher Kartoffel-Studenten und Freizeit-Guerilleros.

Doch das Problem liegt ganz woanders. Was die Bands leider übersehen haben: Das Festival wird nicht nur von Israel, sondern auch vom Berliner Senat, der Bundesregierung und der EU unterstützt. Deren politische Haltungen und alltäglichen Menschenrechtsverletzungen sind allseits bekannt und kollidieren ganz offensichtlich mit der politischen Überzeugung der Künstler. Einige der boykottierenden Acts wollten sich ganz bewusst in Deutschland kritisch damit auseinandersetzen. Im Falle Israels ist das offenbar aber nicht möglich. Warum nicht, bleibt ihr Geheimnis.

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Juri Sternburg
Juri Sternburg, geboren in Berlin-Kreuzberg, ist Autor und Dramatiker. Seine Stücke wurden unter anderem am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Seine Novelle "Das Nirvana Baby" ist im Korbinian Verlag erschienen. Neben der TAZ schreibt er für VICE und das JUICE Magazin.  
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5 Kommentare

 / 
  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    So sieht das in der Morgenpost aus, wenn "die (deutsche) Linke" sich freut:

     

    'Am Dienstagnachmittag hat sich Berlins Kultursenator Klaus Lederer zu der Angelegenheit geäußert. In einer Mitteilung, die der Morgenpost exklusiv vorliegt, teilt der Linken-Politiker mit: "Ich bin maßlos enttäuscht, wenn nun Boykottaufrufe, Unwahrheiten und – anders kann ich es nicht nennen – Hass die Vorbereitungen auf das Festival beeinträchtigen." Mit der Übernahme der Reisekosten für die Künstler trage die israelische Botschaft zum Gelingen des Festivals bei.'

     

    Beim Tagesspiegel liest es sich so, wenn Künstler "durch die Israel-Boykott-Kampagne BDS („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“) über die Unterstützung des Festivals durch die Israelische Botschaft unterrichtet" werden:

     

    'Den Stein zum Rollen brachte der Rapper Abu Hajar, der letzte Woche in einem Statement der „kolonialen Regierung Israels“ vorwarf, ihre „anti-arabischen, anti-muslimischen und anti-schwarzen“ Ansichten durch ihre Festivalbeteiligung „weißzuwaschen“. Die 2005 gegründete internationale Kampagne BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) übernahm den Boykottaufruf.'

     

    Auf den Künstlerseiten mit den Boycottmeldungen ist nicht vom BDS zu lesen, sondern von "fans", "fellow artists" oder "activists". Woher weiß alle Welt (Veranstalter, Journalisten und Aktivisten), dass von ihnen irgendjemand vom BDS unter Druck gesetzt werden musste? Auf den Facebookseiten bedanken sich die Künstler bei den Hinweisgebern für den Hinweis mit der israelischen Botschaft (auf der Pop-Kultur-Homepage beim Runterscrollen unter "Partner").

    Sympatisch macht die plötzliche Erkenntnis der Unredlichkeit des eigenen Tuns jedenfalls nicht. Bis dahin war es ja auch ok, sich für Kapital und Staat im Namen der Freiheit und der Kultur zu prostituieren. Das wird wohl auch zukünftig kein Problem sein - außer eben der Staat heißt Israel.

     

    Problem erkannt, lieber Verfasser, aber beim nächsten Mal doch mit weniger Schmiere und Staatstheater.

  • "Sag mir, wer dich unterstützt, und ich sage Dir, was ich von dir halte", scheinen die Boykotteure zu denken. Sie könnten auch – frei nach einem uralten Gebot – sprechen: "Du sollst keine Unterstützer haben außer mir und den von mir für koscher angesehenen."

     

    Man kann so etwas selbstverständlich sagen. Es hat ja immerhin schon länger Tradition. Und auch das mit dem Stolz verstehe ich. Ein Boykott ist schließlich laut Lexikon ein "organisiertes [...] Zwangs- oder Druckmittel". Wer also boykottieren kann, der darf gleich doppelt stolz sein auf sich selbst. Er hat 1.) nicht nur sich organisiert, sondern auch eine gewisse Anhängerschaft und 2.) eine Möglichkeit Zwang bzw. Druck auszuüben, zu strafen oder doch zu drohen. Er hat also die Macht in einem Sinn, in dem sie schon der Gott des alten Testamentes hatte.

     

    Bereits in grauer Vorzeit waren Ehre und Macht an die (erkennbare) Möglichkeit gekoppelt, Gewalt bzw. Zwang auszuüben. Das hat die Ehre und den Stolz zu Domänen muskelbepackter, Waffen tragender, mit reichlich Gefolgschaft gesegneter und/oder schlauer Männer gemacht. Die einzig überlieferte Frau, die Macht im Sinne der traditionellen Auslegung hatte, hieß – glaubt man Aristophanes – Lysistrata. Die Dame hätte, hört man, die Kerle bei der Angst gepackt, ihre Gier nicht mehr ganz nach Belieben befriedigen zu können.

     

    Wie dem auch sei. Wenn diese Bands tatsächlich „stolz“ sind auf ihren Boykott, dann ist das jedenfalls ein ziemlich altmodisches Gefühl. Eins, das so vermutlich schon die Höhlenmenschen hatten – und eins, das sie mit wichtigen Entscheidungsträgern in der israelischen Regierung teilen. Nur, dass das eigene altmodische Gefühl für die Boykotteure völlig in Ordnung geht, während das der Israelis sie angeblich beinah kotzen lässt.

     

    Ich nenne so was Bigotterie. Dass es die Machtverhältnisse verändert, glaube ich im Übrigen nicht. Dazu ist das Phänomen zu alt zu verbreitet. Wäre es hilfreich, hätten wir schon ziemlich lange keinerlei Probleme mehr.

  • Huch..da kritisiert jemand Israel, das geht ja mal gar nicht. Da muss selbstverständlich sofort was gegen unternommen werden. Und wenn man schon dabei ist, gibt es auch gleich mal wieder einen Seitenhieb gegen die Partei die Linke, die ja eh total von Israelkritikern und damit Antisemiten durchsetzt ist, so wird es impliziert. Auch wenn der Link zu einem Artikel führt, der mit der Partei gar nichts zu tun hat, aber das spielt ja keine Rolle. Oder meinte der Autor die deutschen Linken? Also die unglaublich homogene Gruppe, die alle exakt die gleich Meinung haben?

     

    Auch egal, eines steht jedenfalls fest: Israel zu kritisieren geht gar nicht!

  • Emotionaler Artikel.

    Beim Thema Israel sind die hiesigen Gegner chronisch im Rotkäppchen und der Wolf Schema steckengeblieben, und die orientalische Fraktion spricht ihr jahrhundertealtes Mantra der verteuflungswürdigen Juden . Das macht auch vor Pop nicht halt.

    Schnöde alte Welt.

  • "Potzblitz! Der israelische Staat versucht sich also durch Reisekostenzuschüsse weißzuwaschen."

     

    Nix Potzblitz. Es geht nicht um "Reisekostenzuschüsse" sondern überhaupt um die Teilnahme der von Israel gesponserten Gruppen. Denn solange Israel den Palästinenser die gleiche Reisefreiheit einräumt, im Ausland zu studieren, an künstlerischen Veranstaltung oder Sport-Veranstaltungen teil zu nehmen, ist es berechtigt, eben diesen oppressiven Staat zu boykottieren.

     

    Siehe: https://www.hrw.org/news/2007/11/19/gaza-israel-blocks-670-students-studies-abroad

    ODER http://www.haaretz.com/israel-news/sports/.premium-1.734065