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Kommentar Bayerischer DrohbriefVerfassungsklage nützt Merkel

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Kanzlerin muss den Gang der CSU nach Karlsruhe nicht fürchten. Die Richter werden sie wohl eher stützen. Gefahr droht an anderer Stelle.

Was höre ich da? Angela Merkel und Horst Seehofer Anfang Januar in Wildbad Kreuth. Foto: dpa

D as bayerische Kabinett hat am Dienstag einen Brief an die Bundeskanzlerin geschickt. Gefordert werden darin „sofort wirksame Maßnahmen“ zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen, insbesondere eine Obergrenze für die Aufnahme von 200.000 Menschen pro Jahr sowie die Zurückweisung von Flüchtlingen, die über „sichere Drittstaaten“ gekommen sind.

Schon seit Wochen nähert sich Bayern in kleinen Schritten der Verfassungsklage: Erst wurde sie angedroht, dann wurde Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio mit einem Gutachten beauftragt, nach einigen Wochen wurde das Gutachten vorgestellt. Jetzt wird dem Bund die Klage förmlich angekündigt und vermutlich in einigen Wochen tatsächlich eingereicht. Und dann? Dann muss man auf ein Urteil aus Karlsruhe warten, das sicher nicht binnen weniger Wochen ergehen wird. Der Bundesregierung bringt das Vorgehen aus Bayern also erst einmal Zeitgewinn.

Zwar ist die Verfassungsklage ein perfides Mittel zur Dramatisierung der Situation. Indem der Regierung Merkel verfassungswidriges Handeln vorgeworfen wird, distanziert man sich maximal und präsentiert die Kanzlerin als Outlaw. Die Kanzlerin lässt die CSU aber agieren, solange die formal den Kurs einer europäischen Lösung mitträgt und die nationalen Sofortmaßnahmen nur für die Überganszeit fordert – bis Merkels große Lösung greift. Wahrscheinlich akzeptiert Merkel die bayerische Radikalrhetorik längst als Spiel mit verteilten Rollen.

Dass sich die CSU auf die Klage konzentriert, ist für Merkel bequem, weil sie auf diesem Weg wenig zu befürchten hat. Der Bund handelt nicht verfassungswidrig, deshalb wird die Klage am Ende abgewiesen. Wie Deutschland mit der Flüchtlingszuwanderung umgeht, ist eine politische Frage. Die Verfassungsrichter werden sich hier nicht einmischen. Die Drittstaatenregelung, die 1993 ins Grundgesetz eingefügt wurde, ist längst durch EU-Recht, insbesondere die Dublin-III-Verordnung überlagert. Nach dieser Regelung sind überwiegend die EU-Außenstaaten für die Asylverfahren zuständig, es ist aber ausdrücklich zulässig, dass Deutschland freiwillig Asylverfahren übernimmt. Eine politische Entscheidung, für die Karlsruhe allenfalls eine Regelung durch Bundestag und Bundesrat fordern wird.

Merkel muss ihre eigene politische Erfolglosigkeit fürchten

Die apokalyptischen Szenarien, die viele, auch in der CSU, derzeit beschreiben, sind falsch. Deutschland steht nicht vor dem Staatsnotstand. Das Land ist leistungsfähig, der Bundeshaushalt sogar ausgeglichen. Einige tausend kriminelle Flüchtlinge, die man man nicht abschieben kann, sind zwar ein massives Imageproblem. Sie stellen aber nicht in Frage, dass die übergroße Mehrheit der Flüchtlinge hilfsbedürftig und integrationsbereit ist.

Was Merkel wirklich fürchten muss, ist ihre eigene politische Erfolglosigkeit. Statt offensiv eine realistische Aufnahme von etwa 800.000 Flüchtlingen zu vertreten, verspricht sie seit Monaten eine deutliche Senkung der Flüchtlingszahlen. Doch weder bei der Abschottung der Außengrenzen noch bei der innereuropäischen Verteilung der Flüchtlinge kommt sie voran. Diese Hilflosigkeit delegitimiert sie so nachhaltig, dass ernsthaft mit einem innerparteilichen Putsch zu rechnen ist.

Die Verfassungsrichter könnten Merkel in dieser Situation aber stützen, indem sie in ihrem Urteil zur bayerischen Klage deutlich machen, was auf dem Spiel steht: Wenn auch Deutschland in der Flüchtlingspolitik nach dem St. Floriansprinzip agiert, würde der Süden der EU ins Chaos stürzen: Hundertausende verzweifelter Menschen würden hin und hergeschoben, Militär käme zum Einsatz, gegen Flüchtlinge und womöglich auch gegen Nachbarstaaten.

Wie schon bei der Euro-Rettung wird das Verfassungsgericht klar machen, dass es nicht nur auf dem Weg der Regierung Risiken gibt, sondern dass die vermeintlich einfachen Lösungen der Kritiker oft noch viel riskanter sind.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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6 Kommentare

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  • Der Kommentar von Christian Rath trifft den Kern. Was stellen sich denn Seehofer und Konsorten vor, wenn und wie sie die Flüchtlinge vor Bayerns Grenzen abweisen wollen? Sie lösen sich doch dadurch nicht in Luft auf. Soll in Kauf genommen werden, daß sie dort verhungern oder erfrieren? Was ja unsere Leitkultur seit Jahren in Kauf nimmt, ohne mit der Wimper zu zucken, daß die Flüchtlinge im Mittelmeer ersaufen.

     

    Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß. Nach diesem Motto wollen wir uns die Finger nicht schmutzig machen und Unrechtsregimen wie der Türkei die "Obhut" der Flüchtlinge "anvertrauen" und ein Abwehrbollwerk aufbauen.

     

    Wer noch einigermaßen klar bei Verstand ist, wird begreifen, daß so etwas nicht funktionieren kann. Die Flüchtlingsflut wird weiter anwachsen, weil wir als mitverantwortliche Länder die Ursachen weder erkennen noch dagegen angehen wollen.

     

    Es ist nur eine Frage der Zeit, daß die noch so massiven Bollwerke fallen und wir für unsere Ignoranz büßen müssen. Das einzige was dagegen hilft, ist konstruktive Hilfe und ein totales politisches und wirtschaftliches Umdenken. Wenn wir unseren Anspruch an eine christliche Kultur nur im geringsten ernst nehmen, dann ist solidarisches Handeln erforderlich.

  • Ausgezeichnete Analyse.

     

    Mir ist unverständlich, wie man ein verbrieftes Recht akzeptiert (Aufnahme der Flüchtlinge), die Folgen aber abwürgen will! Die öffentliche Meinung ist zickig und irrational.

     

    Wenig Länder haben mit den kriegstreibenden Regimen in Nah-Ost so viel verdient (Wirtschaft und Waffen) wie Deutschland.

     

    Kein Euro-Land kann die Flüchtlinge mit derselben Leichtigkeit akzeptieren und intégrieren wie D. Wir sind der solideste Staat in Europa (wie lange noch?) und geraten in Panik, wenn mal nicht alles nach unsern Plänen abläuft.

     

    Bis vor kurzem waren uns die Flüchtlinge schnuppe: Griechenland und Italien sollten schön allein mit dem Problem fertig werden. Nun können wir uns nicht mehr aus der Verantwortung stehlen.

     

    Die Einen sehen den Untergang des Abendlandes ausbrechen (das war vor Jahrhunderten schon so). Die Arbeitgeber, hört! hört!, jauchzen und frolocken, weil die Einwanderer Geld in die Kassen spülen.

     

    Neubürger sind eine Chance für Deutschland.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Ich finde den Kommentar gut.

    Und ich fürchte, daß viele Leute einfach nicht verstehen wollen, daß es bei 'Obergrenze' nicht um was Geschmackliches geht, oder um Pegelstände von Flüssen oder Geschwindigkeitsbeschränkung auf Straßen, sondern um die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen, die nach dem Asylrecht aufgenommen werden müssen, zumal in den betreffenden Kriegen auch immer schön urdeutsche Waffen aus deutscher Qualitätsfertigung beteiligt sind, und natürlich die Freundschaft zu USA, Frankreich und den Saudis und vielen anderen. Die Diskussion über die Fluchtursachen wird ja immer sofort abgewürgt, sobald sie zur Sprache kommt. Da wird es immer gleich ganz heikel, da es den Kapitalismus und die Wirtschaft berührt. Da wird Menschlichkeit sofort zum Problem. Das ist warscheinlich das häufig erwähnte 'deutsche Wesen'!

  • Warum sollte eine Obergrenze idiotisch sein? Man muss sie nur konsequent durchsetzen. Naja, sie werden sehen, das klappt schon..wenn Merkel erstmal weg ist. Wir schaffen das! ;)

  • "Dass sich die CSU auf die Klage konzentriert, ist für Merkel bequem, weil sie auf diesem Weg wenig zu befürchten hat. Der Bund handelt nicht verfassungswidrig, deshalb wird die Klage am Ende abgewiesen."

    -> das ist eher Wunschdenken von so vielen Journalisten, die in den letzten Monaten erschreckend treuherzig und fern jeglicher Kritik an der Brust der Königin Merkels hängen, aber gleichzeitig - wie etwa gestern - den russischen Medien (zweifelsohne wahr) Propaganda unterstellen. In folgendem Artikel sieht die Sache nicht ganz so supertoll rosig aus: http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/gutachten-udo-di-fabios-zur-grenzsicherung-14010809.html

     

    "Die Kanzlerin lässt die CSU aber agieren, solange die formal den Kurs einer europäischen Lösung mitträgt und die nationalen Sofortmaßnahmen nur für die Überganszeit fordert – bis Merkels große Lösung greift. "

    -> welche große Lösung? Die anderen europäischen Länder von Spanien, Italien, über Frankreich, Dänemarkt, Österreich bis Skandinavien und Osteuropa lehnen alle Merkels Irrflug ab. Die Reaktionen reichen von Mitleid (Frankreich), Vorwurf der Naivität (Großbritannien) bis völligem Unverständnis (Osteuropa). Wir hier in Merkeldeutschland sind die Geisterfahrer in Europa und wer allen Ernstes glaubt wir sollten oder könnten die anderen Staaten diesbezüglich zwingen, der will und wird nur erreichen, dass die rechten Parteien in Europa noch mehr Zulauf als bisher bekommen. "Am deutschen Wesen" soll die Welt genesen haben sich jetzt zu viele Leute in unserem Land auf die Fahne geschrieben.

  • Tatsache ist zwar, dass keine Rechtsgrundlage für die Merkelsche Flüchtlingspolitik existiert und nach Artikel 16a GG sie gänzlich im Zustand des Verfassungsnotstands operiert. Das macht sie aber nicht menschlich und pragmatisch falsch, das Problem ist die Verfassung selbst. Ich vermute, dass das Verfassungsgericht diesen Umstand heraus streichen wird.

     

    Obergrenzen sind reiner Populismus, weil niemand eine Obergrenze durchsetzen kann. Es geht um reine Signal- und Symbolpolitik. Hut ab vor Merkel, dass sie damit nicht mitmacht. Es gibt aber auch noch eine taktische Überlegung für Symbolpolitik, die redlich wäre ohne das Tara des lauten Streites. Denn wir wissen bereits, dass sie AfD im März bei der Landtagswahl zweistellige Ergebnisse einfahren wird, es wird eher noch schlimmer wenn die Politik gegenüber den BürgerInnen Handlungsunfähigkeit suggeriert statt symbolpolitische Marker wie eine Obergrenze zu setzen. Im übrigen hat der Parteitag der CSU eine Obergrenze gefordert und im Sinne der parteiinternen Demokratie muss natürlich die CSU das zur Geltung bringen. Dass die Obergrenze praktisch idiotisch ist, steht auf einem anderen Stern. Vielleicht ist sie ja auch gut als Valium für die Bierzelte.