Kommentar Ausnahmen vom Mindestlohn: Kein Ausdruck von Gerechtigkeit
Die Versuche, das Mindestlohngesetz aufzuweichen, sind Ausdruck von purem Lobbyismus. Und sie zeigen, wie breit der Billiglohnsektor geworden ist.

E s wird ein historischer Akt sein, wenn am Donnerstag eine gesetzliche Lohnuntergrenze verabschiedet wird von 8,50 Euro brutto in der Stunde. Jetzt, im Vorfeld der Abstimmung, in den Versuchen der Lobbyisten, noch diese und jene Ausnahme in das Gesetz hineinzuschmuggeln, zeigt sich, welche Panik herrscht. Die Debatte enthüllt schlaglichtartig, wie breit der Billiglohnsektor in einem der reichsten Länder der Erde geworden ist, mit ApfelpflückerInnen, Aushilfskellnern, FilmpraktikantInnen, ZeitungsausträgerInnen und Hühnchenentbeinern.
Die Ausnahmen, die jetzt verhandelt werden, sind dabei Ausdruck von purem Lobbyismus und nicht etwa von Gerechtigkeit. So sollen Zeitungsvertriebe den Mindestlohn von 8,50 Euro für ihre ZustellerInnen erst mit zeitlicher Verzögerung zahlen müssen, da werden sich die Arbeitgeber im Gastgewerbe fragen, warum sie das nicht auch dürfen nach der verfassungsrechtlich garantierten Gleichbehandlung.
Die Lohnuntergrenze wird zudem Nebenwirkungen haben. So vermindert ein Mindestlohn die Entgeltunterschiede im Betrieb, wenn etwa der Spüler in der Küche dann genauso viel bekommt wie die qualifizierte Servicekraft im Restaurant. MinijobberInnen stehen mit der allgemeinen Lohnuntergrenze vergleichsweise gut da, denn ihr Brutto von 8,50 Euro bringt ihnen die gleiche Summe im Netto – sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hingegen müssen hohe Abgaben zahlen. Manche Effekte sind nicht wünschenswert, aber man wird sie hinnehmen müssen.
Jede vierte erwerbstätige Frau wird vom Mindestlohn profitieren, erklärt der Deutsche Frauenrat mit Verweis auf entsprechende Rechnungen. Der Mindestlohn in Deutschland hat eine Tragweite, die er bei der Einführung in Großbritannien vor vielen Jahren nicht hatte. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Doch die Wirtschaftslage ist gut. Ein besserer Zeitpunkt für die Einführung einer Lohnuntergrenze wäre nicht gekommen.
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