Kommentar #Aufstehen: Die frech-naive Alternative
Natürlich verfolgen Einzelpersonen bei „Aufstehen“ ihre eigenen Interessen. Doch wichtig ist, dass das Projekt den anderen Parteien Beine macht.
Kaum gegründet, ist die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ bereits ein Erfolg! Nicht wegen der 100.000, die sich online als UnterstützerInnen angemeldet haben sollen. Nicht, weil Aufstehen ein hippes Open-Source-Tool für Debatten nutzen will. Nicht, weil so viele JournalistInnen zur Gründungspressekonferenz von Sahra Wagenknecht und GefährtInnen kamen.
Ein Erfolg wegen der harschen Reaktionen aus den Parteien, denen die Politpromis von Aufstehen angehören. Statt Internetseiten ohne Konsequenz brauche man ernsthafte Gespräche über ein rot-rot-grünes Bündnis, wetterte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Und sobald das Stichwort Aufstehen fällt, wirbt Linken-Chefin Katja Kipping nun in Interviews für Mehrheiten links der CDU. Na endlich, sind sie aufgewacht!
Wurde auch Zeit. Die AfD liegt in Umfragen gleichauf mit der SPD. Die linken Parteien müssen sich dringend klar machen: Eine Politik für die Mieterinnen, die RentnerInnen, die ArbeitnehmerInnen dieses Landes, für all jene, die ihre Kinder auf öffentliche Schulen schicken und gesetzlich versichert sind – kurz für die Mehrheit der Menschen – ist möglich. Und es gibt eine Machtoption dafür.
Es ist diese Leerstelle, die „Aufstehen“ für sich entdeckt hat. Insofern kann man der Bewegung dankbar sein, dass sie Rot-Rot-Grün aus der Retro-Kiste geholt und erneut als Thema gesetzt hat.
Chance auf eine Regierung verpasst
Natürlich ist es bigott, wenn Wagenknecht, die einst als Spitzenkandidatin der Linkspartei zur Bundestagswahl gegen neoliberale Grüne und Sozialdemokraten Stimmung machte und strikt gegen einen Lagerwahlkampf mit ihnen war, nun beklagt, dass die Chance auf eine gemeinsame Regierung verpasst wurde. Oder wenn der einstige Außenpolitiker Ludger Volmer, der den Grünen deutsche Kriegseinsätze predigte, nun Pazifismus fordert.
Die einzelnen Akteure mögen mit „Aufstehen“ eigene Interessen verfolgen. Die mit Simone Lange und Marco Bülow für „Aufstehen“ angetretenen SPD-Linken wollen die Parteispitze unter Druck setzen. Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine einen Resonanzraum für ihre in der Linken derzeit marginalisierten Positionen, einer national orientierten Sozial- und Einwanderungspolitik, schaffen und AfD-Wähler zurückholen. Wagenknechts lahme Äußerungen zu Chemnitz passen dazu. Statt Rassismus als solchen zu benennen, führt sie Ohnmacht und aufgestaute Wut als Nährboden für Hass und Intoleranz an.
Aber geschenkt. Wichtig ist, dass die frech-naive Konkurrentin namens Sammlungsbewegung den anderen Parteien Beine macht. Und das ist ja schon mal was.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz