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Kommentar Antisemitismus-VorwurfKlamauk mit Michael Müller

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Ist Berlins Bürgermeister einer der „zehn schlimmsten Antisemiten der Welt“? Das Simon-Wiesenthal-Center macht sich mit seiner Liste lächerlich.

Berlins Bürgermeister Michael Müller (r.) mit dem Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal (l.) bei einem Empfang Foto: Jens Kalaen/Reuters

B erlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) darf sich wundern. Das Simon Wiesenthal Center (SWC) in Los Angeles erwägt, ihn auf seine Liste der zehn schlimmsten Antisemiten der Welt zu setzen. Der Grund? Müller hat die Israel-Boykottbewegung BDS noch nicht lautstark kritisiert. Damit steht er nicht allein. Hat sich etwa Jens Spahn schon dazu geäußert? Und, was schwerer wiegen dürfte: Berlin weigert sich, die Boykottbewegung zu kriminalisieren, wie es die Stadt Frankfurt gerade gemacht hat. Damit hat sich Michael Müller in den Augen des SWC schwer verdächtig gemacht.

Erstaunlicherweise gibt es noch Leute, die das Simon Wiesenthal Center ernst nehmen. Auf dessen absurden Top-Ten-des-Antisemitismus-Listen landeten in den vergangenen Jahren neben Terrormilizen wie dem IS und Demagogen wie Mahmud Ahmadinedschad, die man als echte Bedrohung betrachten kann, auch der Journalist Jakob Augstein, die Europäische Union oder die UNO.

Im Grunde läuft jeder, der die israelische Politik zu scharf kritisiert, Gefahr, auf dieser Liste zu landen. Der Antisemitismus-Vorwurf verkommt damit zur billigen Münze im Meinungsstreit. Selbst wohlmeinende Kritiker wie Michael Wolffsohn halten die Aktionen des SWC für geschmacklos und sprechen von „Klamauk“.

Mit dem Namensgeber hat das Wiesenthal Center nicht viel zu tun. Es hat ihm das Recht, seinen großen Namen zu tragen, vor vielen Jahren einmal abgekauft. Seitdem zieht es sein Erbe in den Schmutz. Der 2005 in Wien verstorbene Simon Wiesenthal würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, welcher Unsinn heute in seinem Namen getrieben wird. Er hat noch echte Judenfeinde gejagt: überzeugte Nazis, gesuchte Kriegsverbrecher und Massenmörder. Und nicht irgendwelche Oberbürgermeister deutscher Großstädte, deren einziges Vergehen es ist, dass sie sich nicht zu allem äußern. Was man ja auch als eine Tugend betrachten kann.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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19 Kommentare

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  • Ich weiß nicht, warum das immer falsch wiedergegeben wird. Was das SWC veröffentlicht, ist keine "Liste der zehn schlimmsten Antisemiten der Welt", sondern der Titel lautet:

    "Top Ten Worst Anti-Semitic/Anti-Israel Incidents".

    Das ist, denke ich, ein erheblicher Unterschied.

     

    Hier: http://www.wiesenthal.com/site/apps/s/content.asp?c=lsKWLbPJLnF&b=4442915&ct=14976901

    kann man nachlesen, welche Ereignisse warum auf die Liste 2016 gekommen sind, falls man sich nicht auf die "Informationen" verlassen will, die CURSED WITH A BRAIN gepostet hat.

     

    Und hier: https://lizaswelt.net/2017/09/04/warnschuss-fuer-berlins-buergermeister/

    kann man nachlesen, welche Intention das SWC verfolgt:

    "Das SWC bemüht sich mit dieser alljährlichen Liste, Aufmerksamkeit gegenüber jenem Antisemitismus zu erreichen, der weitgehend unbemerkt die Hirne der Menschen langsam vergiftet. Dazu muss er sich just jene aussuchen, die entweder diese ›Unbemerktheit‹ garantieren, zulassen, sanktionieren, oder jene, die (wie Augstein) nebenbei und wie selbstverständlich Lügen über Juden und Israel verbreiten und gestalten. Die Vordenker, die Zulasser, die Ignorierer. Insofern ist es absolut richtig, Michael Müller auszuwählen: Als Regierender Bürgermeister hätte er die Pflicht, Antisemitismus gegenüber aufmerksam zu sein, ihn stets zu benennen und zu unterbinden."

    • @kdw59:

      soso, lügen über Israel....

      dann wird wohl Gideon Levy mit http://www.haaretz.com/opinion/1.809867?v=C9E22F334884C87B8A892826433BB5C6

      die ehre haben, auf der 2017-liste des SWC zu erscheinen.

      • @christine rölke-sommer:

        Soso, Gideon Levy verbreitet Lügen über Israel? Na, wenn Sie das sagen, wird's wohl so sein.

        • @kdw59:

          funktionaler analphabet?

          • @christine rölke-sommer:

            Ein absichtsvolles Missverständnis meinerseits, für das Sie eine Steilvorlage geliefert haben, der ich einfach nicht widerstehen konnte.

  • "Und nicht irgendwelche Oberbürgermeister deutscher Großstädte, deren einziges Vergehen es ist, dass sie sich nicht zu allem äußern. Was man ja auch als eine Tugend betrachten kann."

     

    Berlin ist nicht "eine deutsche Großstadt" - es ist die Hauptstadt.

     

    Zum anderen ist der RB bei einer Veranstaltung einer Gruppe hardcore Islamisten auf den Leim gegangen, was den Berliner SPD Abgeordneten Özkaraca zum Austritt aus der SPD bewogen hat: http://www.berliner-zeitung.de/berlin/protest-gegen-mueller-ex-abgeordneter-erol-oezkaraca-tritt-aus-der-spd-aus-26227118

  • Klare und nachvollziehbare Worte von Daniel Bax; gerne mehr davon in der Taz!

    • @Christopher Ben Kushka:

      Überraschung: Ein obsessiver "Israelkritiker" und hardcore BDS Aktivist findet Daniel Bax gut.

  • Wer war denn letztes Jahr auf der Liste? Im Countdown:

     

    - Polen (als Nation, ein antisemitisches Graffiti an einer Synagoge dient dazu als "Beweis")

     

    - Sport (allgemein, weil ein paar Sportler über diesen "antisemitische Inhalte" transportierten)

     

    - Schweden (als Nation)

     

    - Niederlande (als Nation)

     

    - Palästinenser (haben zwar keinen Staat, dürfen aber trotzdem natürlich in so einer Liste nicht fehlen)

     

    - Richard Spencer (Begründer der "Alt-Right"-Bewegung in den USA, beschmutzte das Ansehen des neu gewählten Präsidenten durch Hitlergruß und unflätige "Hail Trump"-Rufe, mit denen er versuchte, diesen in die "rechte Ecke" zu stellen. Vergeblich, wie wir alle wissen, oder?)

     

    - BDS und die Vereinigte Kirche Christi (sind natürlich schlimmer, als der vorgenannte)

     

    - Frankreich (als Nation, "Beweis" ist eine mutmaßliche BDS-Gruppe vor einem Supermarkt einer deutschen Kette)

     

    - Labour (englische Partei) / Jenny Tonge (Ex-Abgeordnete der Liberal Democrats) Letztere zitierte unter anderem aus "The Israel Lobby and U.S. Foreign Policies" des renommierten amerikanischen Politikwissenschaftlers John J. Mearsheimer. Der Neorealist Mearsheimer kritisiert regelmäßig die israelischen Militäroperationen gegen seine Nachbarn und vertritt die Auffassung, sollte es nicht zur Gründung eines Palästinenserstaates kommen, würde sich Israel zwangsläufig in einen Apartheidstaat verwandeln.

     

    - United Nations (Platz eins für die "ganz großen Tiere"), die UN müssen hier genannt werden, weil sie schon wieder die illegalen Siedlungen im Westjordanland als "illegal" bezeichnet haben. Frech. Und setzten in einer Resolution gleich noch eins drauf, mit der Behauptung, der Tempelberg und Klagemauer in Jerusalem seien "von den Israelis besetztes Gebiet" der Palästinenser. Außerdem erging an UN-Angehörige die Aufforderung, zwischen dem Territorium Israels bis zum Sechstagekrieg 1967 und den besetzten Gebieten danach zu unterscheiden. Unerhört. Und voll "BDS-like". Da darf man schon mal schmollen.

  • Nun, man kann sich gegen solche Verleumdungen auch juristisch zur Wehr setzen.

    Sowohl Henryk M. Broder als auch Charlotte Knobloch haben sich z.B. vor Gericht gegen den Publizisten Abraham Melzer (Herausgeber der Zeitschift "Der Semit") in ähnlichen Fällen eine blutige Nase geholt. http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2016-N-20531?hl=true&AspxAutoDetectCookieSupport=1 http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/urteil-broder-darf-verleger-keine-judenfeindlichkeit-unterstellen-1302166.html

  • "Das Simon-Wiesenthal-Center macht sich mit seiner Liste lächerlich."

     

    Aber nur dann, wenn sie nicht dem taz-Verständnis von Antisemitismus/Antizionismus entspricht.

    Denn trifft es die "Richtigen", dann heißt es auch "renommiertes SWC":

    http://www.taz.de/!5076389/

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Wie titelte einst die titanic: "Schlimmer Verdacht ! War Hitler Antisemit ?"

  • 3G
    36387 (Profil gelöscht)

    Ergänzung:

     

    Es wird erwogen, es könnte sein, ... mehr als "einen Schuss vor den Bug" gibt es gar nicht, aber diverse Zeitungen berichten geifernd darüber.

     

    Ja, die Deutschen werden den Juden Auschwitz niemals verzeihen.

  • 3G
    36387 (Profil gelöscht)

    Wenn Jakob Augstein kein Antisemit ist, dann ist es niemand in diesem Land.

     

    Also, es mag sein, dass nicht jede Entscheidung des Simon-Wiesenthal-Centers politisch oder auch einfach mal so klug und vernünftig ist ...

     

    Aber spannend, dass mal wieder in einem Text über Juden betont werden muss, dass Geld geflossen ist, um sich SWC nennen zu dürfen ;-)

     

    Und wer wirklich meint, angesichts der Weltlage, dass die bekannte "Israelkritik", "Kauft-nicht-beim-Juden"-BDS richtig, angemessen und nicht antisemitisch ist, der sollte von Politik wohl besser schweigen.

     

    Zuletzt: M. E. ist der RBM von Germania ;-) noch gar nicht in der Liste ...

    • @36387 (Profil gelöscht):

      Also mal ehrlich, Herr Stolzenberger. Tragen Sie dieses rosa T-Shirt jeden Tag oder vielleicht nur heute zu Ehren von Lady Di ?

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @36387 (Profil gelöscht):

      "Wenn Jakob Augstein kein Antisemit ist, dann ist es niemand in diesem Land."

       

      Das sehe ich genauso. Viele tun sich schwer mit dem modernen Antisemitismus. So lange einer kein KZ geleitet hat, oder den Wunsch danach verspürt, kann es in den Augen dieser Zeitgenossen kein Antisemit sein.

       

      Wie diese Israelkritik betrieben wird, das muss man schon als verdächtig manisch beschreiben, gerade auch hier im Forum.

       

      Man kann praktisch runterzählen und dann geht es los:

       

      Fünf, vier drei zwei eins....

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @88181 (Profil gelöscht):

        "So lange einer kein KZ geleitet hat, oder den Wunsch danach verspürt, kann es in den Augen dieser Zeitgenossen kein Antisemit sein."

        Damit haben Sie sich aber schwer verhoben. Der Sache dienen Sie damit sicher nicht...

  • Mir fiele es leichter mit der Israel--Kritik umzugehen, wenn man im gleichen Atemzug die Hamas und die Fatah kritisiert. Dieser Konflikt ist dermaßen aufgeladen, dass eine Konzentration auf eine Seite nicht hilfreich ist. Als Schwuler werde ich im Gaza-Streifen und im Westjordanland abgeschlachtet. Israel bietet mir im gesamten Nahen Osten die einzige Möglichkeit in Freiheit und in Frieden zu leben. Die Hamas erlaubt seit 2007 keine demokratische Wahlen, keine Opposition, keine Gegenmeinung. Ein Boykott-Aufruf Israels greift mir hier zu kurz.

    • @casio:

      möchte mal gern sehen, wenn du dich in den orthodoxen vierteln Jerusalems als "schwuler" outest, welch sicheren Hafen israel für dich dann darstellt.. (keine Relativierung des eingeschränkten Weltbildes von hamas und fatah)