Kommentar Anschlag in Ansbach: Schweigen ist Gold
Kaum war etwas über den Anschlag in Ansbach bekannt, äußerte sich der bayerische Innenminister Herrmann dazu. Mit Mutmaßungen.
E in Bombe explodiert in der Nähe einer größeren Menschenmenge, mitten in der fränkischen Provinz. Der mutmaßliche Täter, ein syrischer Flüchtling, stirbt, mehrere Verletzte sind zu beklagen. Die Stadt Ansbach erlebt einen Ausnahmezustand, so wie München nur wenige Tage davor, als ein Amokläufer neun Menschen ermordete.
Was also ist in Ansbach geschehen? „Meine persönliche Einschätzung ist, dass ich es leider für sehr naheliegend halte, dass hier ein echter islamistischer Selbstmordanschlag stattgefunden hat“. Dieser Gedanke ist durchaus nachvollziehbar, vielleicht wird er im Verlauf der Ermittlungen Bestätigung finden. Jedoch ist dieser Satz, in dem Moment, da er vom bayerischen Innenminister Joachim Herrmann zu Protokoll gegeben wird, nicht mehr als das: eine persönliche Einschätzung eben. Eine Mutmaßung.
Nach allem was wir wissen, gibt es zu dem Zeitpunkt da Herrmann „islamistischer Selbstmordanschlag“ sagt, keinen konkreten Anhaltspunkt der diese Aussage untermauern würde. Ganz nüchtern gesehen, lässt sich da nur eines mit Sicherheit sagen: Ein Mann, dessen Motive völlig im Dunkeln liegen, hat in Ansbach eine Bombe gezündet.
Joachim Herrmann darf natürlich „persönliche Einschätzungen“ haben, nur ist er eben kein zufällig der Nachrichtenagentur dpa vor den Notizblock gelaufener Passant, der mal seine Meinung sagt. Er ist bayerischer Innenminister, der in seiner offiziellen Funktion den Stand der Ermittlungen kommuniziert. Er muss wissen, dass seine Mutmaßung gutes Schlagzeilenfutter ist, das ohne Not eine aufgeheizte, panische Stimmung verschärfen kann. Ohne Not unter anderem deshalb, weil diverse Medien auch ohne seine Schützenhilfe mit „islamistischem Terror“ titeln würden, gleichgültig, ob diese Bewertung durch mehr als ein bloßes Bauchgefühl gestützt ist.
Und es ist auch so einfach: Ein Syrer und eine Bombe – eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht schon, dass es sich um einen Anschlag islamistischer Provenienz handelt. Nur ist das Wahrscheinliche eben nicht das einzig Mögliche, wie uns nicht zuletzt die Nacht von München lehrt. Genau zu trennen, was bekannt, was möglich oder wahrscheinlich ist und was völlig im Reich der Spekulation liegt, das ist Aufgabe von Behörden und verantwortungsvollen Medien. Leisten wir diese Trennung nicht, können wir unsere „Informationen“ auch gleich ungefiltert aus den Twitterfeeds rechtspopulistischer Hassprediger und dschihadistischer Mörderbanden beziehen.
Wünsche und Realitäten
Der Bundesinnenminister, Thomas de Maizère, beklagt mit Blick auf München die vorsätzliche Verbreitung von Falschmeldungen. Das behindere unter anderem die Arbeit der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden. Das Internet habe einen „Beschleunigungseffekt für Gerüchte und Falschmeldungen“. Mag sein. Wenn die zu beschleunigenden Gerüchte jedoch vom Dienstherren der Ermittlungsbehörden gleich selber eingespeist werden, braucht niemand sich wundern über all die von Fehlinformationen hervorgerufene Unsicherheit und die geringe mediale Kompetenz des Publikums, das immer weniger zwischen Fakten und Fiktion unterscheiden kann oder will.
Wer Angst nicht zu politischem Kapital umwerten und Hysterie für Klickhypes ausbeuten will, wer also auch nur irgendein berufliches Interesse daran hat, dass Bekanntes von Märchen, Wünsche von Realitäten und Vernunft von irrationaler Verwirrtheit getrennt wird, hat eine hohe Verantwortung. Dinge müssen selbstverständlich beim Namen genannt werden – ob Amok oder Terror, Unfall oder Wahnsinn.
Solange aber keine Klarheit darüber herrscht was wirklich geschehen ist, gilt, dass Schweigen mit Gold kaum aufgewogen werden kann. „Persönliche Einschätzungen“ der Verantwortungsträger gehören dann vielleicht in die interne Lagebesprechung, aber nicht in die Welt hinausposaunt.
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