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Kommentar Anschläge in der TürkeiDie perfekten Schuldigen

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Erdoğan braucht kaum zwölf Stunden, um maximales politisches Kapital aus dem Attentat in Ankara zu schlagen. Die Zeichen stehen auf Krieg.

Für Erdoğan soll das Attentat die Legitimation für verstärkte türkische Angriffe auf die Kurden in Syrien liefern. Foto: dpa

F ür den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sind am Tag nach dem Anschlag von Ankara bereits Schuld und Schuldige klar. Schuldig sei Syriens Regime, das bei seinen Handlangern von der syrisch-kurdischen Miliz YPG den Anschlag in Auftrag gegeben habe. Und schuld seien die Staaten, die sich weigern, die syrische Kurdenpartei DYP mit ihrem bewaffneten Arm YPG als terroristische Organisation einzustufen. Man werde der UNO Dokumente zukommen lassen, die die Verantwortung der YPG sowie der türkisch-kurdischen PKK belegen.

Erdoğan braucht kaum zwölf Stunden, um die Schuldfrage zu klären und entsprechende Dokumente erstellen zu lassen, um sogleich maximales politisches Kapital aus dem Attentat zu schlagen. Es soll die Legitimation für verstärkte türkische Angriffe auf die Kurden in Syrien liefern – und die USA dazu bringen, ihre Zusammenarbeit mit der YPG einzustellen.

Seit Wochen wütet Erdoğan gegen die US-Strategie, den IS mithilfe kurdischer Bodentruppen der YPG zu bekämpfen. Das sei Verrat an einem Nato-Verbündeten, die YPG sei ein Ableger der PKK, die gegen den türkischen Staat Krieg im Südosten des Landes führt. Wütend rief Erdoğan Barack Obama öffentlich dazu auf, sich entweder für seinen Alliierten Türkei oder für die „Terroristen“ von der YPG zu entscheiden. Die USA lehnen dies ab. Nach dem Anschlag von Ankara hofft Erdoğan, mehr Druck auf Obama ausüben zu können.

Der zweite Adressat des türkischen Präsidenten ist seine eigene Armee. Die lehnt es nach Informationen türkischer Medien ab, ohne Beschluss des Sicherheitsrats, der aber gegen Russland nicht kommen wird, in Syrien einzumarschieren. Nach dem Anschlag im Herzen der Militärbürokratie, nur wenige 100 Meter vom Gebäude des Generalstabs entfernt, denken die Offiziere nun vielleicht um.

Die syrisch-kurdische DYP-YPG und die PKK können noch so oft beschwören, sie hätten mit dem Attentat nichts zu tun. Für Erdoğan ist der politische Gewinn einer Täterschaft der syrischen Kurden viel zu groß, als dass er sich davon beirren ließe. Die Zeichen stehen auf Krieg.

Dass die Türkei in diesem Zustand ein brauchbarer Partner für Merkels Flüchtlingspolitik ist, ist stark zu bezweifeln.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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29 Kommentare

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  • "... sollte einer 20er-Packung Diazepam den Vorzug geben..."

     

    Auch keine gute Lösung. Wach sollte man schon bleiben...

  • "Der zweite Adressat des türkischen Präsidenten ist seine eigene Armee."

     

    Die könnte die Nachricht aber auch anders verstehen und den (wenn ich richtig gezählt habe) fünften Putsch vorbereiten. Mal abwarten, ob Erdogans "Säuberungen" gründlich genug waren, um das zu verhindern.

    • @jhwh:

      Ich finde es selbst nicht gut, aber in diesem Fall könnte ich einen Putsch nicht völlig verurteilen.

  • hmm..kein Reisepass gefunden?

  • Die Kurden sind sich nicht einig, entgegen dem allgemeinen Glauben. Erdogan hat solange freies Spiel, wie die Kurden nicht geschlossen auftreten. Barzani will kein syrisches Kurdistan, will nordirakisch autonom bleiben und ist somit Wasserträger der AKP. PYD und PKK sind im Grunde Widersacher Barzanis und der Peschmerga. That´s the problem.

    Diesen Keil müssten Kurden Erdogan verwehren.

    • 3G
      30226 (Profil gelöscht)
      @lions:

      Weil die völkische Kategorie "Kurden" ja als Beschreibung politischer Gruppen völlig hinreichend ist, wie es die deutsche Presse im Karl-May-Duktus vorexerziert. Ob Sozialismus, Islamismus, demokratischer Konföderalismus oder Barzanis nepotistischer Quasifeudalismus - is ja egal, sind halt alles Kurden

      • @30226 (Profil gelöscht):

        Gute Beschreibung.

    • @lions:

      Auch eine Fraktionierung der Kurden rechtfertigt nicht den türkischen Staatsterror. Man kann nicht die Schuld an der staatlichen Aggression gegen Minderheiten auf die Minderheiten abwälzen. Und wenn jeder einzelne Kurde für eine einzelne Überzeugung steht: Erdogan muß in die Pflicht genommen werden. Dass Merkel jetzt in der Flüchtlingsthematik ausgerechnet mit diesem gewaltbereiten Despoten rumschäkert, spricht wieder mal Bände über ihre politische Skrupellosigkeit.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Haben Sie das als Entschuldigung für Erdogan verstanden ? Erdogan ist hier der Keiltreiber und solange er einzelne Kurdenfraktionen herauspicken und als Terroristen beschimpfen kann, geht seine Rechnung auf. Erdogan bemüht dabei die Mär vom guten( Türkei-freundlichen) Kurden und vom schlechten. Er spielt dabei die schlechteste Rolle und Barzani den Opportunisten. Werden die Kurden nicht zu einer Einheit finden, die wie wo anders große Kompromisse erfordert, wird es kein freies Kurdistan geben.

        • @lions:

          Offenbar ist Ihnen nicht bewußt, daß sie hier die verschidenen kurdischen minderheiten für Erdogans verbrecherische Politik verantwortlich machen. Ihre Forderung nach einer Einigung aller Kurden ist praktisch eine Unterlassungsanklage. So geht es nicht. Hat man etwa von den DDR-Bewohnern 40 Jahre lang gefordert, sich zu einigen oder hat man statt dessen Lenin und Marx verteufelt?

          • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

            Ich fordere gar nicht, ich stelle fest. Hineininterpretationen sind beliebt, fussen aber leider nur auf Erwartungshaltung, die man anderen unterstellt; das nennt man Projektion.

  • Die Angst des Verlustes der Südosttürkei an die kurdischen Rebellen bestimmt die türkische Politik. Eine autonome Kurdenregion im Nordirak gibt es bereits, die YPG versucht dasselbe in Syrien, die Türkei fürchtet damit letztendlich ihre Souveränität in den türkischen Kurdengebieten ebenfalls zu verlieren. Nato Partner ist die Türkei und nicht die YPG - die wiederum gegen den IS kämpfen, dem erklärten Feind der Nato. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Die Türkei ist ein erklärter Partner der EU in der Flüchtlingskrise, ein Partner, der gegen die Minderheit im Land mit Vergeltung vorgeht. es ist alles sehr schwierig.

    • @Blingbling:

      "Der Feind meines Feindes ist mein Freund."

       

      Dies ist die Grundlage jeder politischen Selbstverleugnung.

  • Ich frage mich ernsthaft, ob ich die Anschläge der letzten Monate noch für Koinzidenzen halten darf, oder ob ich schon Kausalitäten vermuten muss dahinter.

     

    Im zweiten Fall hat Recep Tayyip Erdoğan entweder wirklich einen ziemlich heißen Draht "nach oben" (fromm genug, immerhin, tut er öffentlich), oder aber er hat einen richtig guten Lieferanten an der Hand. Dann wüsste ich ganz gerne, wie der heißt.

     

    Wäre ich Angela Merkel, würde ich jedenfalls mehrfach gründlich nachdenken über die eventuellen Zusammenhänge, bevor ich diesem Mann tatsächlich so viel Geld in seine bodenlose Kasse stopfe, wie für eine "türkische Lösung" der angeblichen Flüchtlingskrise erforderlich sein soll. Richtig gute Lieferanten wollen schließlich (fast) immer richtig gut bezahlt werden.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Bald werden wir nicht nur riesige Flüchtlingsströme aus Syrien haben, es werden noch viel mehr verzweifelte Menschen aus der Türkei und den Kurdengebieten dazukommen. Wie bereiten wir uns darauf vor?

    • @1714 (Profil gelöscht):

      "Wie bereiten wir uns darauf vor?"

       

      Mit einer Tasse türkischem Tee?

       

      Wer nun aber Weltkrieg 3 oder den Untergang des "Abendlandes christlich-humanistischer Prägung" sieht, sollte einer 20er-Packung Diazepam den Vorzug geben...

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    Das war abzusehen. Und Erdogan wird weiter Öl ins Feuer gießen. Der arbeitet selbst an einem Gottesstaat und auf dem Weg dahin ist ihm jedes Mittel recht.

     

    „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ - Recep Tayyip Erdoğan

    • @32795 (Profil gelöscht):

      Diese Zeilen sind nicht Erdogans Worte, sondern ein wörtliches Zitat aus einem religiösen Gedicht von Ziya Gölalp, seinerzeit Essayist und ideeller Mitbegründer der modernen Türkei als säkularer Staat - allerdings mit starken, nationalistischen Tendenzen.

       

      Hierzu sollte man aber den historischen Kontext beachten: Ziya Gölalp lebte von 1876 bis 1924 und seine Zeilen galten den damals imerialistisch-nationalistisch ausgerichteten europäischen Großmächten, allen voran England, unter dessen Authorität er für einige Jahre ins Exil verbannt wurde.

       

      Für das Zitat dieses Gedichtes 1998 im Rahmen seiner politischen Arbeit, erging eine zehnmonatige Haftstrafe wegen "religiöser Hetze" gegen Erdogan, von der er 4 Monate absitzen musste.

       

      Alles weitere klärt Google, Wikipedia & Co gerne auf ...

    • @32795 (Profil gelöscht):

      Mein Gott, wann und wo hat er denn das gesagt? Würd ja passen.

  • es ist alles furchtbar.

  • Sehr gute Einschätzung. Ich finde es auch immer wieder beachtenswert, wie der türkische Geheimdienst arbeitet. Vorher nicht die geringste Ahnung, aber am nächsten Tag kann man schon 10 Täter aus dem Hut ziehen...

  • Wenn die Türkei in Syrien einmaschiert, führt sie automatisch Krieg gegen Russland.

     

    Dann hat es Devatogulu -oder wie er sich schreibt- endlich geschafft , und brauchte dafür anscheinend keine false flag mission, oder doch?

     

    Wenn ein Nato Member gegen Russland Krieg führt, lassen sich die USA nicht lange bitte.

    So fängt der 3. Weltkrieg also an, shit fuck, ich hab Angst.

    • @Pleb:

      "Wenn ein Nato Member gegen Russland Krieg führt, lassen sich die USA nicht lange bitte."

       

      Die Amerikaner wissen sehr wohl, dass sie bei den strategischen Atomwaffen hinter Russland herhinken. Und wenn es um die Zerstörung amerikanischer Städte geht, ist der Kriegseifer dann doch eingeschränkt.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Mal immer schön langsam-. Davor, müsste es auch erst einmal, zur "Zerstörung" russischer "Städte" gekommen sein. Bis dahin, würde es wohl doch nicht so schnell kommen!

         

        - - Obwohl, wenn man mal so bedenkt, dass die USA (MacArthur) während des so bitteren Verlierens des Koreakrieges, für eine ganze Reihe größerer chinesischer Städte eine Namensliste für die atomare Zerstörung angefertigt hatten- dann aber doch einen "Zweitschlag" fürchteten; dann wird Einem klar, was es dort in den USA für eine Mentalitätsgattung hervor gebracht hat. Denkt man an so bezeichnend US-pathologische Typen wie z.B. Dabbelyou, schwant es einem: irgendwie zum fürchten sind die wohl doch. Zumal es nicht ausgeschlossen werden kann, dass es im Hintergrund die USA selber sind, welche die Erdogan- Clique anstiftet. Wäre schließlich nicht das erste Mal, dass die sowas von der Art inszenieren.

        • @H.G.S.:

          "Mal immer schön langsam-."

           

          Warum langsam. Jeder militärische Konflikt zwischen der NATO und Russland wird sich letztlich zum Atomkrieg ausweiten. Keine der beiden Seiten ist in der Lage, den Gegner mit konventionellen Mitteln vollständig zu besiegen, so dass letztlich einer zur Atombombe greifen wird. Leider scheint das vielen Menschen nicht klar zu sein. Sonst würde man dem Hilfssultan stärker auf die Füße treten.

          • 2G
            2422 (Profil gelöscht)
            @warum_denkt_keiner_nach?:

            Doch mal schön langsam. So Situationen hat´s schon öfter gegeben, zB in Vietnam. Und wenn´s auch viel an Obama zu kritisieren gibt, ein gedankenloser Haudrauf ist er nun mal nicht. Putin schon eher. Bedenklich wird´s, wenn die Wahlen in den USA die Fundamentalisten von den Republikanern an die Macht kommen. Dann kann man wirklich das Fracksausen kriegen.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Natürlich gebe ich Ihnen darin recht!-

            Leider bleibt numal unsereinem frustierenderweise nichts, als ab und zu mal zynische Polemik aufzustellen. Und stellt dann etwas tröstlich, manchmal fest, es gibt nicht nur Bekloppte auf der Welt.

  • Kommt darauf an, wie Merkel selber, ihre opportunistischen Kriterien für "Brauchbarkeit", ansetzen wird.