Regeln für einen politischen Umsturz: Wie man richtig putscht

Bitte nicht im Berufsverkehr! Staatsfernsehen reicht nicht! Ein Staatsstreich will gut vorbereitet sein. Zehn goldene Regeln, die zum Erfolg führen.

Der türkische Präsident Erdogan spricht über die Facetime-Funktion zur Bevölkerung. Eine Moderatorin von CNN Türk hält das Handy mit seinem Bild in die Kamera

Per FaceTime-Anruf rief Staatschef Erdoğan zum aktiven Widerstand gegen den Putsch auf. Ergänzung zu Regel 4: Putschisten müssen auch Internetprovider und Online-Medien kontrollieren Foto: reuters

1. Für einen Militärputsch brauchen Sie zunächst einmal: Militär. Wer nicht die besten Einheiten der Streitkräfte kommandiert oder deren Kommandeure auf seine Seite gezogen hat, braucht gar nicht erst anzufangen. Man nehme Präsidialgardisten und Fallschirmjägereinheiten, also die Elitetruppen. Von Vorteil ist auch, auf das Stillhalten anderer Waffengattungen und Freunde im Generalstab zählen zu können. Wer einen Bürgerkrieg anzetteln muss, um zu putschen, steht schlecht da.

2. Sammeln Sie vorher Unterstützung im Volk. Sind die Leute alle zufrieden, werden sie einen Umsturz nicht gutheißen. Die bisherige Regierung muss sich selbst so unbeliebt gemacht haben, dass die Massen – oder zumindest Gruppen von Menschen, die wie Masse aussehen – über ihren Sturz jubeln. Am besten präsentieren sich die Putschisten als Spitze einer Volksbewegung, die vom Vorgängerregime blutig unterdrückt wird. Die Opfer sollen den Putsch dann als Rettung bejubeln, mit den putschenden Soldaten fraternisieren, Blumen werfen und Fahnen schwingen. Leider lässt sich das meist nicht vorher einüben. Jubelnde Mengen ersetzen nicht das eigene gezielte Vorgehen gegen die bestehenden Institutionen.

3. Putschen Sie nicht im Berufsverkehr. Wer mit Waffengewalt Straßen blockiert, auf denen die Leute nach Hause oder zur Arbeit wollen, macht sich nur Feinde. Man putscht besser im Morgengrauen oder kurz davor; dann hat man auch Zeit, Tatsachen zu schaffen, bevor die Leute alle aufwachen.

4. Erringen Sie sofort die Kon­trolle über die Medien. Staats-TV und -Rundfunk zu besetzen ist unerlässlich, aber man braucht auch die privaten Medien sowie die sozialen Netzwerke, in denen Unterstützer des Putschs rechtzeitig aktiv werden und bleiben. Im Staatsfernsehen sollte der Putschführer sofort selbst auftreten.

5. Geben Sie sich zu erkennen. Wenn nur irgendwelche Panzer herumfahren und ahnungslose Wehrpflichtige mit Gewehren herumlaufen, erzeugt das ein Gefühl diffuser Bedrohung. Eine identifizierbare Führungspersönlichkeit muss so schnell wie möglich in der Öffentlichkeit auftreten und etwas sagen, womit das Volk sich identifizieren kann.

6. Achten Sie aufs Image: Sie putschen nicht für sich selbst, sondern Sie opfern sich für die Nation. Erfolgreiche Putschisten agieren im Namen von Demokratie und Freiheit, Recht und Ordnung, und zwar auch dann, wenn sie in Wirklichkeit demokratische Institutionen hinwegfegen. Man verspricht freie Wahlen, eine neue Verfassung, die Aufnahme von bisher Verfolgten in eine Übergangsregierung und andere populäre Dinge. Immer gilt: Man verkündet, nur schweren Herzens zur Tat zu schreiten und die Macht zum frühestmöglichen Zeitpunkt an einen verfassungsgemäßen Nachfolger abgeben zu wollen. Dieser kann man auch selber sein, aber das geht erst später.

7. Schießen Sie nur wenn nötig. Der erfolgreiche Putschist schützt das Volk vor schießwütigen Schergen des bisherigen Diktators und eröffnet höchstens zur Verteidigung der Zivilbevölkerung das Feuer. Er agiert, um Gewalt zu beenden, nicht um sie zu eskalieren. Bombenwerfen auf Gebäude, Raketenfeuer aus Hubschraubern, Plünderungen und Übergriffe oder wildes Maschinengewehrknattern in den Straßen bringt in der Regel wenig und regt die Leute unnötig auf.

8. Denken Sie sich einen schönen Namen aus. „Militärjunta“ heißt niemand freiwillig. Wer sich „Staatsrat für Gesetz und Ordnung“ nennt, wird immer autoritär aussehen. „Nationalrat für die Gesundung der Demokratie und die Wiederherstellung des Staates“ ist schon besser. „Nationalkomitee für das öffentliche Wohl und die Förderung der guten Laune“ hebt sofort die Stimmung.

9. Vergessen Sie Ihren Vorgänger nicht. Der gestürzte Machthaber ist in der Regel mit dem Putsch nicht einverstanden und wird alles tun, um ihn zu stoppen. Er muss als Allererstes verhaftet oder getötet werden, oder er darf von einer Auslands- oder Urlaubsreise nicht in die Hauptstadt zurückkehren. Noch besser: Er wird vom Putsch überrascht und ergreift öffentlich die Flucht, per Autokolonne ins Nachbarland oder Sonderflug in die Nähe seines Bankkontos. Seine Kommunikation mit der Außenwelt muss unterbunden werden. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Putschisten das vergessen und daran letztendlich scheitern.

10. Gehen Sie rechtzeitig wieder. Wer mit einem populären, unblutigen Putsch eine Diktatur beendet, nur kurz an der Macht bleibt, bleibende demokratische Institutionen gründet, sich aus der Politik zurückzieht und dann als Elder Statesman Weisheiten verbreitet, wird für den Rest seines Lebens verehrt und bekommt sogar den Friedensnobelpreis. Theoretisch jedenfalls.

Die Ausnahmeregel: Sie sind schon an der Macht und kriegen nicht genug. Dann inszenieren Sie einen Putsch einfach selbst. Ermutigen Sie über Provokateure Ihre Gegner zum Putschversuch, oder tun Sie so, als putsche jemand. Sorgen Sie dabei dafür, dass die angeblichen oder angestifteten Putschisten mindestens drei der genannten Regeln nicht einhalten können. Dann siegen nicht die Putschisten, sondern Sie. Sie können dann selbst als Retter der Nation auftreten, Ihre Gegner als Terroristen verfolgen und haben Ihre Ruhe. Jedenfalls solange niemand sonst auf die Idee kommt.

Die Anleitung „Richtig putschen“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 23./24. Juli. Sie ist Teil eines Dossiers über die Lage in der Türkei nach dem Putschversuch. Darin finden Sie, unter anderem, auch ein Erdoğan-Porträt der ehemaligen taz-Redakteurin Çiğdem Akyol, die gerade ein Buch über den türkischen Präsidenten veröffentlicht hat.

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