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Kommentar Abtreibungsparagraf219a ist erst der Anfang

Dinah Riese
Kommentar von Dinah Riese

Die Union sträubt sich gegen die Abschaffung der strittigen Regelung – und eröffnet unfreiwillig die Debatte um das gesamte Abtreibungsrecht.

Der Paragraf 218 steht nun auch zur Debatte Foto: dpa

K ommt er weg? Wird er nur geändert? Oder bleibt am Ende alles, wie es ist? Die Zukunft des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs, der das „Werben“ für Schwangerschaftsabbrüche verbietet, hängt nicht zuletzt an der SPD und der ausstehenden Regierungsbildung. Am Mittwoch trafen sich Vertreter*innen verschiedener Fraktionen, um über die Regelung zu diskutieren.

Unabhängig davon ist die gesellschaftliche Debatte um den Paragrafen längst in vollem Gange. Und die kann für die Union nur nach hinten losgehen. Denn es gibt schlicht keine sinnvollen Argumente dafür, dass Ärzt*innen auf ihrer Webseite nicht schreiben dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.

Eine Frau gehe womöglich mit einer vorgefertigten Entscheidung für den Eingriff in die gesetzlich vorgeschriebene Beratung, wenn sie zuvor mit einem Arzt oder einer Ärztin rede, sagt Elisabeth Winkelmeier-Becker, rechtspolitische Sprecherin der Union.

Als würden Ärzt*innen geradezu darauf warten, Frauen eine Abtreibung aufzuquatschen. Mehr noch: Als ob Frauen nicht in der Lage wären, eigenständig zu entscheiden; je nachdem, wer der ungewollt Schwangeren zuerst etwas sagen darf, bestimmt ihre Entscheidung? Ein wenig plausibles Szenario.

Das ungelenke Verhalten der Union zeigt vor allem eins: Ihr geht es nicht um Paragraf 219a. Vermutlich könnten viele Konservative auch ohne diesen Paragrafen nachts noch schlafen. Die eigentliche Gefahr aus Unionssicht: eine Diskussion um das gesamte Gesetzespaket zum Schwangerschaftsabbruch, also auch um Paragraf 218, der Abtreibungen als eine Straftat gegen das Leben definiert.

Union riskiert den Burgfrieden

„Eine gesetzliche Änderung würde als Parteinahme zugunsten derer verstanden, die hier bloß von ‚Schwangerschaftsgewebe‘ sprechen“, sagt Winkelmeier-Becker. Das mag sein – doch ironischerweise beschwört die Union diese Debatte um so stärker herauf, je länger sie sich sträubt.

Der bestehende gesetzliche Kompromiss ist in harten Auseinandersetzungen errungen worden. Und aus feministischer Sicht ist er nicht gut; denn Abtreibungen sind in Deutschland eine Straftat, die unter bestimmten Bedingungen straffrei bleibt. Trotzdem haben viele Feminist*innen sich mit der Lösung arrangiert; in der Praxis ließ es sich damit ja irgendwie leben. Genau diesen Burgfrieden riskiert die Union nun.

Die Union verteidigt den Paragrafen, indem sie Frauen wie Ärzt*innen vor den Kopf stößt, sie entmündigt und ihnen Unterstellungen macht

Nach dem Urteil gegen die Ärztin Kristina Hänel bleibt die Frage, warum das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ auf einer Webseite mit einer Geldstrafe von 6.000 Euro geahndet werden sollte. Hätte die Union gleich zu Beginn der Debatte eingelenkt – die Diskussion wäre längst erledigt. Doch sie verteidigt den Paragrafen, indem sie Frauen wie Ärzt*innen vor den Kopf stößt, sie entmündigt und ihnen Unterstellungen macht.

Diese Strategie des Aussitzens aus ideologischen Gründen beweist nur, dass man die Union beim gesamten Thema Abtreibung niemals mit sachlichen Argumenten wird überzeugen können. Warum soll man dann nicht auch gleich Paragraf 218 angehen?

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Dinah Riese
Ressortleiterin Inland
leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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10 Kommentare

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  • Paragraf 219a kann man beruhigt abschaffen, nicht zuletzt weil es Frauen damit erleichtert wird eine einmal getroffene Entscheidung auch umsetzen zu können. Der emotionale Belastung für Frauen ist in dieser Phase schon hoch genug sein, man muss das ganze dann nicht noch unnötig verschärfen.

     

    Paragraf 218 muss aber bestehen bleiben, denn es gibt selbstverständlich einen Punkt an dem eine Abtreibung moralische nicht mehr zu rechtfertigen ist und das sollte sich auch im Gesetz wiederfinden.

  • Jeder Abtreibung geht eine bewusste Entscheidung für die Tötung ungeborenen Lebens voraus. Diese sollte nicht von kommerziellen Interessen beinflusst werden.

  • Im Gegensatz zu den meisten Säugetieren gibt es beim Menschen keine spezielle Zeit der Brunft, die für den sexuellen Verkehr vorgesehen ist. Die natürliche Lebensweise des Menschen sieht vor, dass fruchtbare weibliche Personen, ca. alle 4,5 Jahre ein neues Kind gebären, also selten schwanger werden. Vor etwas über 10 000 Jahren begannen Menschen sesshaft zu werden. Was bekanntlich die Geburtenrate nach oben schnellen ließ. Da Schwangerschaft, Geburt und Aufzucht von Kindern für Frauen ein großes Risiko darstellen, zahlen sie den Preis dafür, dass sexuell ausreichend reife Menschen im Grunde allzeit bereit sind.

    Natürlich ist das nicht.

     

    Sollte die Debatte über Schwangerschaftsunterbrechungen wieder aufflammen, rechne ich damit, dass sich eine Diskussion darüber anschließt, was Frauen eigentlich vom Sex mit Männern haben. Die verstörende Wirkung dessen, was dabei so alles ausgesprochen werden könnte, würde weit über #metoo hinaus gehen.

    • @Angelika Oetken:

      Ich weiß nicht, ob es interessant genug ist, zu debattieren muss, 'was Frauen eigentlich vom Sex mit Männern haben'. Mag sein.

       

      Tatsache ist, dass sich in unserer Gesellschaft doch schon ein beachtlicher Prozentsatz, sowohl auf weiblicher, wie auch auf männlicher Seite, gegen Sex mit dem anderen Geschlecht entschieden hat.

      • @Nikolai Nikitin:

        Bei Heterosexuellen ist die Beteiligung an Verhütung von Schwangerschaften verhalten, um es diplomatisch auszudrücken. Das Risiko tragen die Mädchen und Frauen. Auch in den USA hat Trump die Debatte um das Recht auf Schwangerschaftsunterbrechung wieder eröffnet. Metoo hat gezeigt, dass Diskussionen um die negativen Seiten der menschlichen Sexualität anders verlaufen als früher. Das Recht, über ihren Körper selbst bestimmen zu können, haben sich Frauen hart erkämpft. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit Diejenigen, die es ihnen wieder nehmen wollen, in der Lage sind abzuschätzen, was dies auslösen könnte.

         

        Traditionell ist es die Aufgabe von Mädchen und Frauen, die Sexualität von Männern zu kontrollieren und sie darin zu bestätigen. Zusätzlich wird weiblichen Personen auch noch aufgebürdet, das Risiko schwanger zu werden, allein zu tragen. Sollten ihnen das Recht abgesprochen werden, eine Schwangerschaft ggf. unterbrechen zu können, halte ich es für möglich, dass größere Gruppen weiblicher Personen, Männern endgültig ihre Solidarität aufkündigen. Schon jetzt werden Männer in einigen Bereichen vor Allem als Problembären wahrgenommen.

        • @Angelika Oetken:

          Es geht nicht um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Dies ist gesetzlich klar geregelt. Daran rüttelt in Deutschland m.W. auch niemand. Es geht vielmehr um die Frage, ob Schwangerschaftsabbrüche beworben, also kommerzialisiert werden dürfen.

  • Bei dem Thema gibt's nicht wirklich "sachliche Argumente", da die Positionen des "Team Schwangerschaftsgewebe" und die des "Team Leben" in so unterschiedlichen Grundsätzen verankert sind, daß man sich auf keine wie auch immer gearteten Fakten wird einigen können.

    • @Wurstprofessor:

      Es geht beim Thema Schwangerschaftsunterbrechungen weniger um Fakten, als um Haltungen.

    • @Wurstprofessor:

      Right, Herr Professor. So ist es.

  • Danke für diesen Artikel, dessen Aussage ich begrüße bzw. unterstütze, dass die Paragraphen 2018 u. 2019a geändert bzw. abgeschafft gehören. Ein Unding, wie schwach bis völlig unzureichend die Argumentation vonseiten der Union ist, und das als Regierung! Auch wenn das jetzt vielleicht das Thema nur streift, möchte ich noch das kommentieren, was im Text (zurecht) angedeutet wird: ich finde, dass der Artikel gelungenermaßen aufzeigt, dass eine wirkliche Trennung zwischen Religion/ Kirche/ Staat in Deutschland nicht vorhanden ist. Aus eben solchen ideologischen-religiösen Gründen wird es immer schwierig bleiben, wenn die Unionsparteien CDU/CSU (aber auch andere eindeutig religiöse Parteien) an der Macht bleiben. Ich hoffe und wünsche, dass der Schwangerschaftsabbruch in Zukunft aus dem Strafgesetzbuch verschwindet. Und dass es weiterhin solche Artikel gibt, in denen hin und wieder auf solche perfiden Aspekte der Nichttrennung von Religion/ Kirche/ Staat eingegangen wird. Denn es geht hier ja nur um einen Aspekt, es gibt zahlreiche andere. Ich verstehe nicht, warum es völlig in Ordnung ist, Parteien regieren zu lassen, die eindeutig religiös sind. Allein die Namen CDU und CSU...und alle Welt spricht weiterhin von einer Trennung von Kirche und Staat (so zumindest mein Eindruck)! Schließlich musste ich nach dem Lesen des Artikels schmunzeln, weil der Text meiner Meinung nach einen leichten Nachgeschmack von "Haha, so wie ihr (CDU/CSU) mit dem Thema umgeht, schießt ihr euch sooderso ein Eigentor" aufweist.