Kolumne Wir retten die Welt: Alles besser als früher? Hmm…
Der Welt geht es so gut wie nie. Es gibt weniger Arme und Kranke als je zuvor. Stimmt. Aber dieser Fortschritt wird mit Öko-Raubbau erkauft.
E s ist gerade leicht, depressiv zu werden. Draußen ist es entweder schwarz oder grau, die AfD leitet den Rechts(haha)ausschuss des Bundestags, überall herrscht Krieg, und Deutschland verpasst jede Woche ein neues Klimaschutzziel.
Als Gegengift empfiehlt sich ein Text von Nicholas Krystof in der New York Times. Der Kollege ist gut informiert, und trotzdem – oder deshalb – war 2017 für ihn „das beste Jahr in der Geschichte der Menschheit“. Denn nie gab es so wenig Armut auf der Welt, schreibt er: Jeden Tag sinkt die Zahl der Menschen, die mit 2 Dollar am Tag auskommen müssen, um 217.000, jeden Tag haben 300.000 Arme mehr Zugang zu sauberem Trinkwasser, können 325.000 Haushalte sich einen Stromanschluss leisten.
Noch in den 1960ern, zitiert Krystof Experten und Datensammlungen, hätte mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Armut gelebt und nicht lesen können. Heute sind das noch 10 bis 15 Prozent. Kurz: Die gute alte Zeit war für die meisten Menschen ziemlich beschissen. An jedem anderen Tag, verspricht Krystof, werde er vor Wut schreien über all das, was schief geht. „Aber lasst uns heute mal nicht verpassen, was gut läuft.“
Doch ein paar Fragezeichen bleiben schon noch. Denn der Fortschritt besteht meistens aus weniger Armut, Hunger, Krankheit, Ungerechtigkeit. Das ist toll. Ganz selten aber gibt es ökologische Erfolge. Im Gegenteil. Regenwälder schrumpfen, ebenso die Fischbestände, Arten sterben in rasantem Tempo aus, Klimagase heizen den Planeten immer schneller auf. Kleine Fortschritte wie beim Energiesparen werden durch das Wachstum wieder aufgefressen.
Fortschritt im Einklang mit dem Planeten
Beide Trends sind verbunden. Armutsbekämpfung wird oft erst möglich durch Raubbau an der Natur. Das gefährdet die Erfolge: Ein leeres Meer lässt Fischer hungern, Dürren bringen Krankheiten. Es sind eben nicht nur die bösen Kapitalisten, für die der Urwald gerodet, die Meere leergefischt und die Kohle verbrannt wird. Es ist ein industrielles System, das bislang nur dann Armut und Krankheiten bekämpft, wenn es mit Naturzerstörung gefüttert wird.
Wir können auch anders, keine Frage. Der Strom, der menschenwürdiges Leben ermöglicht, kann auch von einer Solaranlage kommen. Die Lebensmittel für die Hungernden müssen nicht als Genfood von Monsanto geliefert werden. So kann man den französischen Präsidenten Emmanuel Macron verstehen, wenn er sagt: „Make the planet great again“: Fortschritt im Einklang mit den Grenzen des Planeten. Es geht. Aber es muss jeden Tag erkämpft werden.
An Nicholas Krystof habe ich eine Bitte: Er sollte im nächsten Januar das Jahr 2018 zum „besten Jahr in der Geschichte der Menschheit“ erklären – und uns zeigen, welche dieser Erfolge möglich waren, ohne dafür den Planeten zu plündern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu