Kolumne Psycho: Korso im Kopf

Deniz, ich hoffe, dass Du an deinem Geburtstag nur allein bist und – trotz der Einzelhaft – nicht einsam. Das ist ein großer Unterschied.

Deniz Yücel

Deniz Yücel. Leider ein Archivbild Foto: privat/Deniz Yücel/dpa

Lieber Deniz,

eine Freundin, die vor kurzem in Indien war, hat erzählt, dass dort kaum jemand zum Psychologen geht. Wenn irgendwas ist, zieht man sich drei Wochen lang ins Schweigekloster zurück und meditiert. Anstatt seine Probleme nach außen zu tragen, geht man tief in sich rein und guckt, was da so los ist. Danach ist alles wieder super.

Ich musste daran denken, dass du immer noch in Einzelhaft bist. Das ist ein sehr großer Unterschied zu einem Schweigekloster, vor allem, weil du nicht freiwillig dort bist. Auf dich selbst zurückgeworfen bist du trotzdem. Wie hält man das aus, über 200 Tage lang? Hier draußen gehen manche zu Kuschelpartys, weil sie zu wenig Körperkontakt haben. Und bei einer Studie vor ein paar Jahren gaben sich die Probanden sogar lieber Elektroschocks, als 15 Minuten allein und untätig in einem Zimmer zu sitzen.

Ich bin sehr froh, dass du momentan keinen Elektroschocker zur Verfügung hast. Und kein Internet. Ich habe die Seite schnell wieder zugemacht, auf der steht, welche Langzeitwirkungen Einzelhaft haben kann. Nicht, weil ich es nicht ertrage, das zu lesen, sondern weil es mich wahnsinnig wütend macht. Wie kalt muss ein Mensch sein, dass er einen anderen vorsätzlich psychisch foltert? Wann hinterlässt eine Einzelhaft Spuren? Ich bin dennoch optimistisch. Logisch. Du ja auch, bist du immer gewesen.

Der seit Februar in der Türkei inhaftierte Journalist Deniz Yücel erhält inzwischen Post im Gefängnis. „Man hat angefangen, Deniz meine Briefe zu übergeben“, sagte seine Ehefrau Dilek Mayatürk-Yücel. Briefe würden Yücel aber nur ausgehändigt, wenn sie auf Türkisch verfasst seien. „Meine Bitte: Schreiben Sie Deniz!“, sagte Mayatürk-Yücel. Die Post-Adresse: İlker Deniz Yücel, 9 Nolu Kapalı Ceza İnfaz Kurumu, B Blok 54 Nolu Koğuş, Silivri/Türkei. (dpa/taz)

In einem der Texte, die du im Gefängnis deinen Anwälten diktierst, steht, dass du mittlerweile täglich Zeitungen bekommst. Ich stelle mir vor, dass diese Zeitungen deine Elektroschocker sind, dass du dich über Texte ärgerst, über andere lachst, einige neu schreibst, wenn auch nur im Kopf. Und dann sind da ja auch noch die Besuche deiner Frau (oft hinter einer Trennscheibe) und die Gespräche mit dem Richter nebenan (den du nicht sehen kannst). Die Einschränkungen stehen absichtlich in Klammern, weil ich dem Pessimismus nicht so viel Raum geben möchte. Ich zitiere lieber das alte Sprichwort: Besser ein Spatzenpaar im Hof als eine einzelne Taube auf dem Dach.

Deniz, ich hoffe, du bist nur allein, nicht einsam. Das ist ein großer Unterschied. Vor allem am Sonntag, an deinem Geburtstag. Weißt du noch, wie du vor einem Jahr an meinem Geburtstag einfach aufgetaucht bist? Ich dachte, du seist in Istanbul. Aber du kamst um Mitternacht plötzlich reinspaziert, in eine Berliner Bar, grinsend. Überraschung! Ich wünschte, wir könnten heute auch einfach so bei dir reinspazieren und dich mitnehmen. Dann Autokorso Richtung Flughafen. Tröööt!

Stattdessen gibt es einen Autokorso in Berlin, zum Kanzleramt. Ich wünsche mir, dass du ihn hörst, hinter den Mauern und dem Stacheldraht, über Ländergrenzen hinweg. Ich wünsche mir, dass der echte Korso den Korso in deinem Kopf übertönt, das echte Tröööten das Tröööten deiner Gedanken. Denn sie haben zwar deinen Köper eingesperrt, aber nicht deinen Geist. Ersteres muss sich dringend ändern, letzteres darf es bitte nie.

Fühl dich umarmt,

Franziska

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Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

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