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Kolumne Nullen und EinsenReality Bites

Michael Brake
Kolumne
von Michael Brake

Computerspiele sollen immer wirklichkeitsgetreuer werden. Nur warum? Nach 32 Jahren als Testspieler der Realitäts-Betaversion bin ich schwer enttäuscht.

Tolle Shading- und Lichteffekte, aber das war es dann auch: Gebirgslevel in der Realität Bild: ap

I n Neal Stephensons Roman „Error” wird ein autistisch veranlagter Geologe beschrieben. Er ist so verbittert über das unrealistische Design von Bergen in Computerspielen, dass er eine Engine programmiert, die Milliarden Jahre der Gebirgswerdung simuliert. Vulkanausbrüche, Plattentektonik, Witterung, das ganze Programm. Seine Berge sind also nicht mehr eine Firnisschicht Pixeltextur auf weißen Polygonen, sondern bis ganz unten durchgerechnete Steinhaufen.

Auch in der Realität ist die Realität der heilige Gral der Gamingbranche. Alles soll immer noch natürlicher aussehen, sich immer noch echter anhören und beim Level- und Storydesign sollen es immer noch mehr Freiheitsgrade sein, sollen möglichst alle herumstehenden Gegenstände und Personen nicht nur Pixelrequisite sein, sondern Spielinhalte, mit denen sich interagieren lässt.

So ist die Realität längst zum Selbstzweck geworden. Dabei bin ich nach 32 Jahren als Testspieler der Realitäts-Betaversion schwer enttäuscht. Denn klar, als Open-World-Simulation ist das Spielkonzept State of the Art, das ruckelfreie Echtzeitrendering mit einer scheinbar unbegrenzten Farbpalette in höchster Auflösung ist beeindruckend (Vorsicht: nichts für alte Grafikkarten!), die Physik-Engine sucht ihresgleichen und der Surroundsound ist von ungewohnter Klangtiefe.

Bild: privat
Michael Brake

arbeitet als freier Journalist, Lektor und Redakteur, unter anderem für die taz und zeit.de.

Aber das alles wird kaum ausgespielt, meist bleibt das Leveldesign erschreckend monoton (Sibirien, Sahara, deutsche Fußgängerzonen), und über zwei Drittel der Spielfläche bestehen ohnehin aus langweilig animiertem Wasser. Hier haben die Projektmanager eindeutig am falschen Ende gespart – wie bei so vielen anderen Dingen.

Eine komplette Zumutung ist etwa das Game-Controlling: Gefühlt dauert es Jahre, auch nur die grundlegenden Funktionen zu lernen. Wer hat schon so viel Zeit? Klar, mit der „Hand“ wurde ein vielseitiges Steuerungselement geschaffen, das erstaunliche Kombos hinbekommt – aber das geht auf Kosten fast aller anderen Spielfunktionen. Oder kennen Sie irgendein Spiel, wo man selbst mit Übung kaum höher springen kann als die eigene Körpergröße?

Auch mögen sieben Milliarden Non-Player-Charaktere beeindruckend klingen – doch reden sie fast alle unverständliches Zeug und sind zum größten Teil auch noch langweilig. So verkommt künstliche Intelligenz zur Dutzendware! Ähnlich unausgegoren ist die Editorfunktion: Theoretisch lässt sich zwar alles Denkbare verändern, praktisch haben selbst hochgezüchtete Charaktere nicht genug Stärkepunkte, um auch nur einen kleineren Berg zu versetzen.

Dazu kommen Detailfehler wie die oftmals grausame Menüführung (Steuererklärung), das stark limitierte Inventory, in dem man trotzdem nie was findet (Haustürschlüssel), oder die Unmengen an Zeit, die man für Transport und Regeneration des Charakters aufwenden muss.

Komplett indiskutabel ist schließlich der Verzicht auf eine Speicherfunktion. Hat man sich in eine Sackgasse gespielt, bleibt nur der Reset-Knopf – was besonders ärgerlich ist, wenn man nach rund 25 Jahren erstmals substanzielle Fortschritte gemacht hat. Die Risikofreude geht so deutlich zurück.

Immerhin haben die Programmierer unzählige Quests und Missionen eingebaut, von denen viele auch im Multiplayermodus spielbar sind. Das komplett instransparente Erfahrungspunktesystem macht ein gezieltes Hochleveln des eigenen Charakters aber unmöglich. Und das Spielkonzept ist so undurchsichtig, dass man sich irgendwann fragt, welchen Sinn das alles hat.

Fazit: die Realität – eine Sackgasse!

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Michael Brake
wochentaz
Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.
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8 Kommentare

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  • Y
    Yadgar

    Wartet, wenn erst der Khyberspace in X3D-Version online geht... im Afghatopia-Modus geht dann so richtig der Attan ab!

  • D
    dasbertl

    @ Kopfschüttler

    Das könnte man über das Kommentieren von Onlineartikeln auch schreiben. Ebenso wie Musik machen, ins Kino/Oper/Theater/Konzert etc gehen, Sport treiben, selbst Kochen etc.

     

    Also Ihr "hohlen" Menschen mit Hobby, ihr habt kein kostbares Leben weil ihr es mit einem Hobby verschwendet. Geht Arbeiten! Macht Kinder! Aber ein Hobby und womöglich noch Spaß am Leben haben, das geht gar nicht. /ironie off

     

    Vielleicht sollte man andere Menschen nicht nach ihrem Hobby beurteilen, schon gar nicht, in dem man ihnen hirninhaltliche Leere unterstellt, bloß weil sie einem Hobby nachgehen, mit dem man selbst nichts anfangen kann.

    Das kann schnell ein Schuss nach hinten werden, weil andere Leser davon ausgehen könnten, dass Ihnen Ihr Leben schon ziemlich hohl und sinnlos vorkommen muss, wenn Sie nichts besseres zu tun haben, als Menschen mit diesem Hobby quasi als niedere Lebensform darzustellen.

     

    In diesem Sinne

  • O
    opacity

    @Steffen:

     

    Ich fand's noch nicht mal witzig!

  • M
    Mirko

    Ganz nette Idee, das eigentlich schon etwas angestaubte "I went outside once...The graphics were awesome, but the gameplay sucked" (o.ä.) mal etwas auszuarbeiten. Ob Realitätstreue allerdings tatsächlich der "heilige Gral" ist, finde ich disputabel (Stichwort Graphics vs. Aesthetics, immerhin wird nicht zu Unrecht darauf gepocht, dass Spielemachen eine Kunstform ist bzw. sein kann). Auch sind die Farben in der Realität nicht unbegrenzt (schließlich sehen wir nur einen Teilspektrum der elektromagnetischen Wellen), sondern bestenfalls nicht quantisiert ;) (wobei... selbst da bin ich nicht ganz sicher... ;) Insgesamt jedoch ganz lustig :)

  • A
    anke

    @Steffen:

    Was hast du erwartet? Und was ist von Leuten wie Dir zu erwarten?

     

    Da hält sich mal einer an die eigene Realität und zum Dank lässt ein selbsternannter Kritiker ihn lediglich wissen, dass er sich damit in eine Sackgasse manövriert hat ("mehr aber auch nicht"). Warum, wieso, weshalb? Da schweigt des Sängers Höflichkeit. Fest steht nur, dass das "komplett intransparente Erfahrungspunktesystem [...] ein gezieltes Hochleveln [auch hier] unmöglich [macht]". Viel intransparenter, als die Realität ist, kann ein schlampig programmiertes Computerspiel offenbar auch nicht sein. Welchen Sinn das alles hat, frage ich mich schon lange. Aber immerhin fühle ich mich ja noch immer einigermaßen unterhalten. Vielleicht darf man mehr ja einfach nicht erwarten...

  • T
    T.V.

    Ja so Gedanken hatte ich als Teenager auch mal. Seitdem bin ich zu der Erkenntnis gekommen, daß die EP-Vergabe alles andere als undurchsichtig ist. Das wurde erreicht, indem sie an die Variable Zeit gekoppelt und jegliche Bonus-EP eliminiert wurden. Jetzt verfluch ich die Programmierer, weil die so viele Ausgebmöglichkeiten eingebaut haben, daß ich mich nicht entscheiden kann, welche ich zuerst nutze. Crux diabolis.

  • K
    Kopfschüttler

    ComputerspielerInnen verschwenden ihr Leben!!!

     

    Wollte eigentlich schreiben:

    "...ihr kostbares Leben"...

    Aber hier kann man von kostbar nicht schreiben, denn ComputerspielerInnen sind so hohl, wie das Computerspiel selbst...

     

    Kopfschüttel!

  • S
    Steffen

    Witzig - mehr aber auch nicht ;)