piwik no script img

Kolumne Minority ReportAußer es geht um Kartoffeln

Die „NZZ“ buddelt mal wieder den sogenannten umgekehrten Rassismus aus. Dabei interessiert sie sich gar nicht für politische Korrektheit.

Es mag den Marc und den Johannes kränken, Kartoffel genannt zu werden. Aber führt es dazu, dass sie strukturell benachteiligt werden? Foto: dpa

V ielleicht ist es die deutsche Verlässlichkeit, die dafür sorgt, dass sie alle Jahre wiederkehrt: die Kritik am sogenannten umgekehrten Rassismus. Diesmal wird er vom Schweizer Qualitätsblatt NZZ angeprangert, das in den Worten „Kartoffel“, „Alman“ und „herkunftsdeutsch“ bzw. „biodeutsch“ eine Diskriminierung von Mitgliedern der deutschen Mehrheitsgesellschaft ausmacht (Oxymoron?).

Unter der Überschrift „Rassismus – nein danke! Es sei denn, es geht gegen Deutsche“ nennt der Autor und Leiter des NZZ-Berlin-Büros u.a. Spiegel-Journalistin Özlem Gezer eine Rassistin, aufgrund der Art und Weise, wie sie den Ausdruck „herkunftsdeutsches Kollektiv“ verwendet. Denn: „Es unterstellt Menschen aufgrund ihrer Herkunft pauschal negative Eigenschaften.“

Hm, interessant. Nun könnte man sich fragen, warum sich ausgerechnet die Schweizer für solch eine durch und durch deutsche Debatte interessieren sollen. Mag daran liegen, dass die international sehr angesehene NZZ seit vergangenem Jahr nach neuen Leser*innen aus Deutschland geiert und dafür eigens ein E-Paper und einen Newsletter mit in Deutschland „relevanten“ Themen kuratiert. NZZ Perspektive soll Deutschland quasi durch einen unaufgeregten, neutralen Blick von außen zeigen. In der Praxis heißt das: neo-konservativen Quatsch objektivieren.

Dabei ist die Behauptung eines „umgekehrten Rassismus“ ungefähr so sinnvoll wie eine Armamputation zu befürchten, weil man sich beim Käsefondue den kleinen Finger verbrannt hat. Ich beispielsweise liebe das Wort Kartoffel, ich verwende es mit oder ohne Anlass, mal beleidigend, manchmal gar anerkennend („du bist pünktlich wie eine Kartoffel!“). Ich bin sogar mit Kartoffeln befreundet, ich kaufe bei ihnen ein, im Notfall lasse ich mir auch mal die Haare von ihnen schneiden.

Trotzdem mag es den Marc und den Johannes kränken, wenn ich sie Kartoffel nenne. Okay. Aber führt es dazu, dass sie strukturell benachteiligt werden? Dass die Polizei sie häufiger kontrolliert? Dass sie keine Wohnung bekommen? Weniger Karriereperspektiven haben? Dass sie abgeschoben werden? Angezündet?

Noch lächerlicher aber ist die Kritik an der Bezeichnung „herkunftsdeutsch“ – ein Wort, das doch komplementär zu „Menschen mit Migrationshintergrund“ gilt und von „Herkunftsdeutschen“ selbst erfunden wurde. Warum nun also die Aufregung? Wie bei allem im Leben ist es wohl eine Kontextsache. Wenn von „Überfremdung“ in Schulklassen gesprochen wird, kann durchaus die Rede von „nur zwei Prozent herkunftsdeutschen Kindern“ sein. Wenn Frau Gezer den deutschen Mediendiskurs kritisiert, ist „herkunftsdeutsch“ plötzlich eine rassistische Zuschreibung.

Mal ehrlich, am Ende geht es immer um das Gleiche: das weiße Subjekt markiert tagtäglich die Anderen und schreit auf, sobald es mit dem Horror der eigenen Markierung konfrontiert wird – als „weiß“ oder „biodeutsch“ oder „Alman“. Und letztlich interessiert politische Korrektheit die NZZ so sehr wie eine gerechte Asylpolitik. Es sei denn, es geht um Kartoffeln.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Meine Hypothese ist, dass das was hinter dieser Gleichsetzung steht ziemlich unehrlich ist. Es geht letztlich nicht darum Rassismus zu benennen und damit gegen (strukturelle) Unterdrückung vorzugehen sondern es geht darum zu relativieren. However bin ich nicht der Meinung, dass es okay ist Menschen z.B. "Kartoffel" und andere Dinge zu nennen.

  • Rassismus ist doch nicht nur "struktureller" Rassismus...Wenn eine Person andere wegen ihrer ethnischen Herkunft für minderwertig hält, dann ist das eben "individueller" Rassismus...Wenn diese Person dann auch noch "Macht" hat über die anderen (...als Lehrer, Polizist, Richter, Journalist...), dann kann dieser "individuelle" Rassismus natürlich zu "strukturellem" Rassismus beitragen.

  • "Die (meisten) Türken sind ..... " An dieser Stelle schreien dann schon viele, daß Rassismus im Spiel wäre. Wenn wir den Satz aber vervollständigen mit ".... sind Türken", sollte sich das Ganze schon mal nivellieren. Die Haarspalter, die sich dann jetzt noch melden, kann man getrost vergessen. Und wenn mir mal rein aussagenlogisch vorgehen wollen, können wir die Parameter verändern und die Aussage bleibt trotzdem richtig. Wer also beim aussagenlogischen Rückwärtsgang glaubt, da würden sich die Regeln ändern, liegt schon mal rein wissenschaftlich betrachtet, falsch. Capito ?

  • Ich könnte Schwarz sein, und behaupten, die Deutschen seien Arschlöcher, und es wäre trotzdem kein Rassismus. Der funktioniert nämlich nur von "oben" nach "unten". Deutsche erleben keine Repressionen aufgrund ihres Deutschsseins. Sie können also aufhören mit Ihrem Mimimi

    • @Oma gegen Rechts:

      Aha. Und was "oben" oder "unten" ist, wird dann von wem und wie bestimmt ? Oder so gefühlt, oder wie ?

    • @Oma gegen Rechts:

      Wie würde man eine solche Aussage denn sonst benennen können? Weshalb würde die Person im angenommenen Fall sich so äußern, was sind ihre Motive und Anschauungen? Wer sind "sie"?

  • Also wenn ich in Japan lebe und Japaner als hässliche Schlitzaugen bezeichne, dann ist das kein Rassismus, weil ich als deutscher Expat gar nicht in der Lage bin, Japaner strukturell zu benachteiligen?

    Sorry, aber das ist Blödsinn und widerspricht jeder sinnvollen Definition von Rassismus. Im Fall der Japaner würde Frau Aydemir außerdem sofort von ihrer kruden Logik abspringen, weil Japaner als PoCs natürlich bestens als Opfer von Rassismus geeignet sind.

    Ich glaube nicht, dass diese Art "Antirassismus" irgendjemanden überzeugt. Genauso wenig wie ein Feminismus, der ausschließt, dass Männer Opfer von Sexismus sein können.

    Zur Gleichheit gehört auch die Anwendung gleicher Maßstäbe und der Verzicht auf Doppelmoral.

  • Am witzigsten ist der Artikel bei der Frage "Warum nun also die Aufregung?"

    Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es NZZ-Redakteure oder sonstjemanden in der Schweiz aufregt, wenn Durchschnittsdeutsche beschimpft werden.

    Viele Schweizer legen sich dann entspannt zurück und grinsen sich eins.

    Ich befürchte, der Einzige, der sich aufregt, ist Frau Aydedmir.

    Spannend ist, dass Frau Aydemir der NZZ die Sachlichkeit der Kritik gleich erst mal abspricht.

    Es kann der NZZ natürlich nur um eine opportunistische Strategie gehen, um neue Kunden zu werben.

  • Wie so oft - die NZZ als intelligenter Zwischenrufer. Warum ist Journalismus im Ausland nur so viel besser als die Sosse, die uns Deutschen aufgetischt wird?

  • Ja wie? Wat höbt wie geiert!:)))

    “Hm, interessant. Nun könnte man sich fragen, warum sich ausgerechnet die Schweizer für solch eine durch und durch deutsche Debatte interessieren sollen. Mag daran liegen, dass die international sehr angesehene NZZ seit vergangenem Jahr nach neuen Leser*innen aus Deutschland geiert und dafür eigens ein E-Paper und einen Newsletter mit in Deutschland „relevanten“ Themen kuratiert. NZZ Perspektive soll Deutschland quasi durch einen unaufgeregten, neutralen Blick von außen zeigen. In der Praxis heißt das: neo-konservativen Quatsch objektivieren.“

    Jau. Gegeier Sturzflug - entschwand!



    Gegiert - zunah der Sonne - die Flünken Verbrannt!;)(



    &



    Oh je - Beim Fondue sinnlos den Kaas verlor - Ab in den See! Jodelt‘s taziChor!



    Nö. Keine Armamputation! Dess waa‘s.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      "Oh je - Beim Fondue sinnlos den Kaas verlor - Ab in den See! Jodelt‘s taziChor!"

      Aber erst beim dritten mal. Erst gibt es den Stock, dann die Peitsche und dann geht es in den See. :-)

      Und es geht um das Brot, dass man im Käse verliert.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        Sorry - für Brot fiel mir auf die Schnelle



        Kein Reim - ein!;)( Gellewelle.



        Dess waa‘s!;))

        • @Lowandorder:

          Ob die NZZ geiert, kann ich nicht beurteilen.

          Ich selbst habe die Druckversion seit 2015 abonniert. Es lohnt sich.

          Das ist eine Zeitung, die man such nach zwei Tagen noch gerne liest. Auch wenn es Artikel über Politik im Aargau gibt, die von null Interesse sind.

          • @Huck :

            kl. Tipp

            Lesen hilft - 'geiert' statt 'giert'

            Ein Text für die Wahrheitsseite!



            Normal

  • Die NZZ ist ein konservatives Qualitätsblatt. Umso erschreckender ist, dass sie den selbst ernannten Hütern des Antirassismus in Deutschland den Spiegel vorhalten kann. Aber wir Deutsche haben sowieso immer Recht. Deshalb kann es nur Unsinn sein, was die NZZ schreibt. Ist doch klar.

  • Auch ich informiere mich zunehmend per "Schweizer Qualitätsblatt NZZ", denn -- richtig beobachtet Fatma Aydemir -- "letztlich interessiert politische Korrektheit die NZZ" wenig, im Vergleich zur hiesigen Lückenpresse.

  • Es bleibt trotzdem eine "rassistische" Aussage. Kategorien können nicht einmal Gültigkeit besitzen und einmal nicht. Entweder kann man Menschen aufgrund ihrer Abstammung, ihres Geschlechts usw. mit kollektiv gültigen Attributen belegen oder man kann es nicht. In Rumänien gab es Aussiedler, diese nannten die Rumäner Walachen. Hatten die Rumäner etwas durch diese Titulierung zu befürchten? War es trotzdem eine rassistische Aussage?



    Etwas weniger Widersprüchlichkeit im Weltbild ist sinnvoll. Zu viele Ausnahmeregelungen untergraben die Glaubwürdigkeit.

    Minderheiten können rechts sein, darin liegt kein Widerspruch. Dass die NZZ so etwas feststellt ist sicher heuchlerisch, gleichzeitig ist es traurig, dass ein linkes Blatt die eigene Idee nicht beachtet.