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Kolumne MachtMächtige, die sich machtlos geben

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Seit Wochen belagern pöbelnde Demonstranten ein Flüchtlingsheim im sächsischen Freital – und Politiker begegnen ihnen mit Nachsicht.

Protest vor der Flüchtlingsunterkunft in Freital. Foto: dpa

I n einem Nachrichtensender wurde behauptet, Ministerpräsident Stanislaw Tillich habe bei seinem Besuch des Flüchtlingsheims in Freital, das seit Tagen von pöbelnden Demonstranten belagert wird, „beide Seiten zu Toleranz“ aufgerufen. Die seltsame Meldung – wem gegenüber und wie sollen sich die Flüchtlinge tolerant verhalten? – wurde nicht wiederholt und findet sich auch in keiner anderen Quelle.

Es steht also zu hoffen, dass Tillich diese blödsinnige Forderung gar nicht erhoben hat, sondern dass es sich um die Worthülse eines Korrespondenten handelte. Ein Zufall wäre das nicht.

Wieder einmal – wie erst vor einigen Monaten in Tröglitz – wird so getan, als stünden sich bei den Auseinandersetzungen gleichberechtigte Partner gegenüber und es ginge vor allem darum, zwischen zwar entgegengesetzten, aber jeweils durchaus berechtigten Interessen einen Kompromiss zu finden. Stanislaw Tillich erklärte, und das ist nun allerdings verbürgt, „Drohungen, Hetze und Gewalt gegen Bürgermeister und Landräte“ seien „völlig inakzeptabel“.

Damit hat er recht. Nett wäre gewesen, er hätte auch Drohungen, Hetze und Gewalt gegenüber Flüchtlingen für inakzeptabel erklärt. Zu denen fielen ihm andere Worte ein. Er betonte, dass diejenigen, denen die Voraussetzungen für einen dauerhaften Aufenthalt hierzulande fehlten, möglichst schnell wieder abgeschoben werden müssten.

Signal und Mahnung

Da ist es wieder: das Signal, dass Misstrauen gegen Flüchtlinge irgendwie und überhaupt berechtigt ist. Natürlich wird dieses Signal stets verbunden mit der Mahnung an die Demonstranten, sich an das Gesetz zu halten. Aber man lässt eben zugleich durchblicken, dass sich die „Gegenseite“ – also Leute, die vor Gewalt, Krieg und Not geflohen sind – ja angeblich auch nicht daran hält.

taz.am wochenende

In Griechenland hat Syriza die unangefochtene Macht. Sie sind oppositionelle Regierende, oder regierende Oppositionelle. Wie die neue Rolle die Partei prägt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. Juni 2015. Außerdem: Ratten leben in unseren Kellern, Träumen und Büchern. Warum ekeln wir uns vor diesem Tier?. Und: Ausgerechnet in Hoyerswerda fliegt ein Molotowcocktail auf eine Turnhalle voller Flüchtlinge. Diese Stadt hat wohl gar nichts gelernt. Oder doch?. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

In Tröglitz war in einem als Unterkunft für Asylbewerber vorgesehenen Gebäude Feuer gelegt worden. In einer MDR-Chronologie steht im Vorspann: „In Tröglitz stoßen Machtlosigkeit der Politik und Angst der Bürger aufeinander.“ Nein. Das ist einfach nicht wahr. In Tröglitz stießen Kriminelle und Politiker, die sich als machtlos darstellten, aufeinander.

Es ist erstaunlich. Ausgerechnet jene Teile des politischen Spektrums, die bei anderen Gelegenheiten gerne eine „Null-Toleranz-Haltung“ gegenüber Gesetzesbrüchen propagieren, zeigen sich milde und nachsichtig, wenn es um Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte geht.

In Freital sind bisher keine Gesetze gebrochen worden. Schließlich ist es ja erlaubt, in unmittelbarer Umgebung solcher Häuser beleidigende Parolen zu brüllen. Wofür gibt es eigentlich den Strafparagrafen zu Volksverhetzung? In der Berichterstattung wird darauf hingewiesen, dass „linke“ Gegendemonstranten sich „organisiert“ hätten und von weit her angereist seien. Das klingt anrüchig. Aber die meisten Gegendemonstranten wären vermutlich begeistert, wenn die Freitaler sich den Neonazis allein in den Weg stellen könnten. Schade, dass das offenbar nicht der Fall ist.

Was eben auch daran liegen mag, dass dumpfe Fremdenfeindlichkeit auf so viel Verständnis stößt. Ich warte nur darauf, dass Demonstranten vor Asylbewerberheimen dafür gedankt wird, dass sie auf ein „Problem aufmerksam“ gemacht haben. Lange kann das nicht mehr dauern.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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17 Kommentare

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  • Offensichtlich kommt man ja insbesondere in Sachsen bis heute nicht zurecht damit, dass die Mauer weg ist. Gut, dass jetzt dort mehr und mehr auf dieses Problem aufmerksam gemacht wird.

  • Wenn Leute ihre Stimme Kundtun und nicht daran gehinfert werden, nennt sich das Demokratie.

    • @silvia2015:

      Wenn die eine Stimme alles gesagt hat, sollte sie schweigen und die andere Stimme zu Worte kommen lassen, anstatt das offensichtlich Falsche so oft zu wiederholen, bis dass es garkeine anderen Stimme mehr zu geben scheint! Demokratisch ist das ganz und garnicht!!!

    • @silvia2015:

      Wenn 51 von 100 Leuten den anderen die Stimme verbieten ist das erst Recht Demokratie!?!

  • Deutschland ist und bleibt braun durchseucht. Und m.E. stinkt auch dieser Fisch vom Kopf her.

  • ein spezielles ost-problem?

     

    in der gründungsphase alten brd: welche führungspositionen in politik, kultur und wirtschaft waren in händen von frauen und männern des widerstands, wieviele parlamentssitze des ersten kabinetts adenauer hatten menschen von zuvor verfolgten "minderheiten" inne?

     

    wieviele von uns west-68ern machten sprachlich, nach außen, auf political correct und waren doch innen zutiefst konservativ - intolerant und machthungrig?

  • Teil 2

    Gehen wir mal davon aus, dass es die von uns bewussten Anteile gibt und Anteile, die in uns vor allem über die Gefühle wirken, uns aber gar nicht bewusst sind, dann könnte sich die Aussage, die sich hinter den Demonstranten verbirgt , lauten: Deren (Flüchtlinge, Asylbewerber usw. ) Schmerz wird gesehen, aber was ist mit meinem Schmerz und mit meinem Leid? Dabei würde es sich dann um Projektion handeln. Etwas Inneres wird auf der Außenbühne sichtbar. Das kommt bisweilen so völlig unangemessen und ungerechtfertigt vor, da die realen Umstände aktuell nicht mit denen der Asylbewerber und Flüchtlinge vergleichbar erscheinen, dennoch kann es sich genau so in diesen Menschen anfühlen. Es geht um innere Kind - Anteile, die sich nach Liebe und Akzeptanz sehnen.

     

    Das ist der erste mir vorstellbare Effekt.

     

    Es könnte aber auch darum gehen, dass diese leidenden Flüchtlinge / Opfer , die aktuell vor schlimmsten Situationen geflüchtet sind, von den Demonstranten massiv abgewehrt werden, weil sie zwangsläufig mit Leid und Schmerz verbunden werden und sie dadurch an ihren eigenen Schmerz erinnert (getriggert) werden, den sie bis jetzt noch immer massiv abwehren, weil die Angst, in der sie abgespalten haben eine Todesangst war.

     

    Vielleicht sind sich diese beiden „Gegenseiten“ gar nicht so unähnlich?

  • Teil 1

    Manchmal ist den Menschen nicht bewusst, warum sie so handeln wie sie handeln. Es könnte nämlich auch um unbewusste Anteile der demonstrierenden Menschen gehen. Was auffallend ist, dass diese demonstrierenden Menschen immer sehr emotional wirken und auch sehr emotional reden. Deshalb könnten auch alte und tiefe Verletzungen eine Rolle spielen, in meinen Augen, die schon viel weiter zurückliegen. Nicht von diesen selbst angenommener und gesehener Schmerz könnte sich dahinter verbergen. Der Mensch ist nicht so einfach gestrickt, wie wir es immer gerne hätten, entweder böse oder gut, schwarz oder weiß. Oft geht es auch darum, dass diese Menschen selbst ihren Schmerz und ihre Verletzungen erst annehmen und sehen lernen müssen. Eigenen tiefen Schmerz anzunehmen ist das schwerste was Menschen leisten müssen bisweilen, vor allem wenn es um Gewalt und Missbrauch geht. Abspaltung von Schmerz zum Beispiel, passiert vor allem deshalb, weil der Menschen in der Situation in der es passiert überfordert ist. Die Integration des Erlebten erfolgt dann nach und nach, bei erwachsenen Menschen. Handelt es sich aber um traumatische Erfahrungen aus einer Zeit einer Abhängigkeitssituation, während der Kindheit zum Beispiel, dann sind die Folgen um ein Vielfaches dramatischer. Bei der Abspaltung von Erlebnissen und Erinnerungen in der Kindheit werden die Erlebnisse eigentlich, zur Verarbeitung, mit in die Erwachsenenzeit hineingenommen, um es dann irgendwann, mit den erwachsenen Anteilen dann zusammen, zu integrieren, weil es eben Teil der Biografie ist. Haben wir es noch nicht angenommen, was gleichzusetzen ist mit eigenem Liebesentzug, hat es Auswirkungen in den Beziehungen zu anderen Menschen und der Gesellschaft und diese Menschen reagieren auf ganz bestimmte Sachen heftiger und abwehrender.

    • 6G
      628 (Profil gelöscht)
      @Irene Klar:

      Ihre Psychologie in allen Ehren (kann man übrigens alles wunderbar in Arno Gruens 'Der Fremde in uns' nachlesen).

      Allein, die Erkenntnis über die Ursprünge der menschlichen Destruktivität macht diese Destruktivität nicht harmloser. Was sie anzurichten vermag, hat die Geschichte oft genug bewiesen. Deshalb gilt es, sich ihr entschlossen entgegenzustellen. Und die Politik versagt hier völlig, was definitiv angeprangert werden muss.

      • @628 (Profil gelöscht):

        wo ich immer mit hardere ist, dass die Bekämpfer der rechten Demonstranten eigentlich ja auch nichts anderes machen als die, die sie bekämpfen wollen. Sie nämlich vor allem, zum Teil auch gewaltsam, bekämpfen. Das kann in meinen Augen nicht die Lösung sein. Wegzuschauen auf gar keinen Fall auch nicht. Die Auseinandersetzung damit ist sehr wichtig, auch der Dialog sollte gesucht werden. Anders geht es doch gar nicht. Mein Anliegen ist, tiefer einzudringen in die menschliche Seele. Ein dumpfes Bekämpfen wird sicher nicht die Lösung bringen. Da treffen oft zum Teil sehr agressive Meinungen aufeinander. Ich habe auch ein Problem damit wenn es immer noch zusätzlich so aufgepuscht wird, von beiden Seiten. Aber mehr enttäuscht bin ich immer von den Linken manchmal, was damit zu tun hat, dass ich mehr von ihnen erwarte bzgl Gewaltfreiheit. Ich kann zwar die Wut verstehen, die sich da entwickelt, aber dennoch.

      • @628 (Profil gelöscht):

        Ministerpräsident Tillich, Stanislaw, sollte doch eigentlich höchst alarmiert und sensibel sein, nachdem auch Sorben angegriffen wurden, Menschen seiner Herkunft...

  • "„beide Seiten zu Toleranz“ aufgerufen. Die seltsame Meldung – wem gegenüber und wie sollen sich die Flüchtlinge tolerant verhalten?"

     

    Bisher sind dort keine Flüchtlinge, wie der Eindruck erweckt wird. "In Freital sollen 280 Asylbewerber ein Heim beziehen." http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-06/freital-fluechtlingsheim-proteste-stellungskrieg

     

    Es stehen sich dort 2 Seiten: Befürworter und Gegner gegenüber, Demonstranten, keine Flüchtlinge.

     

    "Wieder einmal – wie erst vor einigen Monaten in Tröglitz – wird so getan, als stünden sich bei den Auseinandersetzungen gleichberechtigte Partner gegenüber"

     

    In Tröglitz standen sich einige Zeit nach dem Brand einzig und allein alle Bewohner anklagende pöbelnde Linksextremisten und Tröglitzer gegenüber. Wobei die Brandursache nicht einmal geklärt war.

     

    Auch hier wird also dramaturgisch der falsche Eindruck erweckt, Flüchtlinge und Demonstranten (hier als Neonazis tituliert) stünden sich gegenüber.

     

    Die Frage sei erlaubt, ob diese Dramaturgie von linksextremistischer Seite erwünscht ist.

     

    Tillichs Äußerung unberechtigte Asylbewerber möglichst schnell wieder abzuschieben ist eine völlig legitime Forderung. Dafür gibt´s Asylgesetzgebung.

    • @Andreas Molzer:

      Ach, ist der Herr mit Russlandfahne und Stinkefinger gar ein pöbelnder Linksextremist? Muss uns Wessis ja mal erklärt werden.

  • Sehr guter artikel, danke!

  • Nein..... die Politik ist nicht maßlos... bzw. sie wäre nicht machtlos, wenn sie sich auf ihre Grundaufgaben besinnen würde: Das ist das Erklären der Politik und das Mitnehmen der Menschen in die Richtung die er als Poltiker vertritt.

    Es genügt nicht, den politischen Entwicklungen hinterher zu laufen; gar vielleicht nur weil die BILD-Zeitung mal wieder eine Totschlag-Schlagzeile gebracht hat.

    Der Politiker muss zum Erklär-Bär werden, er muss Visionen haben und er darf vor allem nicht mit Hass aus eigennützigen Gründen (die bei jeder Wahl wieder in den Vordergrund treten) taktieren.

    So was das unheilvollste Verhalten eines Politkers in den letzten Jahren in Bezug auf die Fremdenfeindlichkeit das proletenhafte Vorgehen von Seehofer, u.a. mit der Forderung, dass Ausländer im ihrem Wohnzimmer auch deutsch zu sprechen hätten. Solche Schlagworte prägen sich in einer depolitisieren BILDungsschicht ein und animieren dazu gesellschaftlich humanitäre Schwellen des Zusammenlebens zu übertreten. Genauso gut könnten die Politiker mit wenigen Schlagworten das Gegenteil erreichen, sie könnten mit wenigen Worten für Humanität, Gemeinschaft... oder wie im Falle Griechenland die euopäische Solidarität hochhalten.

  • Wäre es eine sogenannte linke Demo gewesen, würde die CDU bereits nach einer Verschärfung des Demonstrationsrechts laut schreien. So aber bleibt es tatsächlich völlig ruhig. Und Tillich deutet wohl öfter mal an, reden zu wollen udn schweigt dann doch lieber. Das nenne ich nahezu 100 % Toelranz gegenüber rechtslastigen Demos. Es findet sich ein brauner Faden vom Umgang mit der NSU bis zu Freital bei Dresden.

     

    Der gemeinsame Nenner ist es in meinen Augen, keien Lücke nach rechts zu lassen und immer weiter nach rechts zu rücken, wenn irgendwas noch Rechteres auftaucht. Die Frage, wo das enden soll ist dann doch all zu berechtigt.

     

    Auffällig ist zudem, dass die Junge Union demletzt noch forderte, Kidnerlose mögen doch höhere Rentenversicherungsbeiträge zahlen. Schließlich braucht es ja Volk, dass die Beiträge erarbeitet. Aber kaum kommen Menschen aus anderen Ländern, werden die nicht freudig begrüßt, weil sie genau das gleiche bewirken können. Da wird dann auf einmal der Vergleich mit Naturkatastrophen wie ÜBerschwemmungen gesucht.

     

    Nach meinem Eindruck muss in der Gesellschaft mal ganz offen über das Menschenbild gerade auch der etablierten Parteien gesucht werden. Ist das nicht ein Rassismus hinter vorgehaltener Hand? Ich halte den für gefährlicher als einen Rassismus, über den offen diskutiert wird.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Celsus:

      "Der gemeinsame Nenner ist es in meinen Augen, keien Lücke nach rechts zu lassen und immer weiter nach rechts zu rücken, wenn irgendwas noch Rechteres auftaucht. Die Frage, wo das enden soll ist dann doch all zu berechtigt."

       

      Mehr Platz für die Rechtsverschiebung der SPD! Den Gabriel freut's.