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Kolumne HerbstzeitlosGeht doch zurück ins Psycho-Stahlbad

Die AfD will alle Fortschritte beim Schutz homosexueller Jugendlicher wieder kassieren. Damit nimmt sie unglückliche Kinder billigend in Kauf.

Junge küsst Junge und Mädchen knutscht Mädchen? Nix für die AfD Foto: TheGRischun-Rafael Peier/photocase

H omosexuelle Normalbiografie geht traditionell so: Jungem Menschen schwant, dass er irgendwie anders ist als die Anderen. Er versucht krampfhaft, so wie die Anderen zu sein, was in der Regel nicht gelingt. Nach Quälerei von außen (oft merken die Anderen das mit dem Anderssein ja viel schneller) und von innen (Schuld und Scham) kommt das „Coming-out“ oder die Selbsttötung (die Suizidalität homosexueller Jugendlicher ist fünfmal so hoch wie die anderer Jugendlicher). Überlebt der Homosexuelle dieses Psycho-Stahlbad, so ist er – rundum durchtraumatisiert – frei, den Rest seines Lebens zu genießen.

So war das früher und ist es oft heute noch – und so soll es auch bleiben, wenn es nach der AfD geht. Oder wieder werden, schließlich hat es ja seit 1968 durchaus Fortschritte gegeben. In den letzten zehn Jahren auch die verstärkte Bestrebung, Kinder und Jugendliche in der Schule darüber aufzuklären, dass es neben Heterosexualität auch andere Spielarten gibt. Mit dem ausdrücklichen Ziel, die Selbsttötungsrate homosexueller Jugendlicher zu senken.

Die AfD hat da anderes im Sinn. In einem „präventiv“ gemeinten „Positionspapier“ zum Sexualkundeunterricht soll nun „die Ehe zwischen Mann und Frau als primäres Lebensziel“ vermittelt werden – als wäre das je anders gewesen in den Schulzimmern Deutschlands und der Welt. Nun heißt es in der sogenannten Magdeburger Erklärung zu Frühsexualisierung wie folgt: „Wir wenden uns dagegen, dass unsere Kinder in Schule und Kita mit scham- und persönlichkeitsverletzenden Inhalten in Wort, Bild und Ton konfrontiert werden.“ Da ist es wieder, das Horrorszenario der neuen Rechten: Unschuldige Kinder sollen mithilfe von Dildos und Propagandavideos in die Homosexualität gezwungen werden.

Es ist eine wirklich perfide Verdrehung des Anliegens, Kinder schützen zu wollen. Der Versuch, auch der queeren Minderheit der Kinder – pro Klasse sind es vielleicht zwei oder drei – ein gelungenes Leben zu ermöglichen, ihnen schreckliche Verletzungen zu ersparen, wird umgedeutet in den Versuch dieser Minderheit, der Mehrheit einen Schaden zuzufügen beziehungsweise diese „umzuerziehen“.

Die AfD kämpft dafür, dass Kinder, die anders sind, es weiterhin besonders schwer haben

Meine eigenen Sexualerziehung, es begab sich in den Siebzigern in einer ländlich-katholischen Gegend, bestand darin, dass mir eine Schulfreundin unter dem Föhn im Schwimmbad zuschrie, dass der Mann der Frau sein Ding unten reinsteckt. Ähnlich aufklärend waren die Informationen, die man mir über Homosexualität zukommen ließ, und ich kann insgesamt nur sagen, dass dieser Weg, den ich gehen musste, von einer Steinigkeit war, die ich, hätte ich Kinder, diesen unbedingt würde ersparen wollen.

Ich habe es überlebt, aber ich kann allen Eltern nur raten, sich im Interesse ihrer Kinder gegen diese Politik zu stellen. Die AfD kämpft dafür, dass Ihr Kind unglücklich wird, wenn es eine andere sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität hat. Dafür, dass Kinder, die anders sind, es weiterhin besonders schwer haben. Und das von früh bis spät – während Sie vielleicht noch gar nicht wissen, wie es um das Begehren Ihres Kindes bestellt ist.

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Martin Reichert
Redakteur taz.am Wochenende
* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien
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3 Kommentare

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  • „Wir wenden uns dagegen, dass unsere Kinder in Schule und Kita mit scham- und persönlichkeitsverletzenden Inhalten in Wort, Bild und Ton konfrontiert werden.“

     

    Das gilt doch auf für heterosexuelle Inhalte. Dass man mit dem Schamgefühl sehr sorgfältig umgehen sollte, halte ich für selbstverständlich - oder wieso haben wir ein Medienjugendschutzgesetz, wenn Kinder dann in der Grundschule anzügliches Material aufgedrängt bekommen?!

  • Schöner Artikel! Ich fand meine heterosexuelle Jugend schon schwierig genug.

    Und wenn meine Tochter ihren ersten Freund (oder Freundin) mit nach Hause bringt, dann wird sie erleben, dass auch 21. Jahrhundert Eltern die Inquisition der liberalen Jugend sind...

    • @pitpit pat:

      Sie haben Ihre "heterosexuelle Jugend schon schwierig genug" gefunden, werteR PITPIT PAT? Nun, das kann daran liegen, dass die sexuelle Orientierung nicht das einzige Merkmal ist, das Menschen individuell macht.

       

      In der Pubertät sind menschliche Gehirne erstmalig in der Lage, ihre Besitze zugleich als Individuen und als Teil einer Gesellschaft zu begreifen. Pubertäts-Konflikte resultieren daraus, dass die neuerdings bewusst wahrgenommene eigene Individualität nicht immer in Übereinstimmung zu bringen ist mit den neuerdings als solche erfassten gesellschaftlichen Regeln und Normen. Die sind nämlich nicht nur Ausdruck natürlicher mehrheits- sondern auch gewisser Machtverhältnisse.

       

      Gesellschaftliche Konventionen sind nicht zwingend das Ergebnis freier Aushandlungsprozesse. Manche sind den individuellen Vorlieben und Überzeugungen Einzelner geschuldet – und dem Umstand, dass Macht (die Fähigkeit, Einfluss zu nehmen) ungleich verteilt ist in menschlichen Gemeinschaften.

       

      Schon klar, die eigene Sexualität ist für viele Pubertierende das Wichtigste überhaupt. Aber selbst dann, wenn es an dieser Stelle keinerlei Konflikte gibt, bleibt das Erwachsenwerden ein "Psycho-Stahlbad" für uns Menschen. Eins, an dem (zu) viele von uns früher oder später zerbrechen. Aber nicht alle bringen sich dann um. Die meisten "heilen" einfach falsch wieder zusammen – und leiden für den Rest des Lebens an den daraus resultierenden Schmerzen.

       

      Jedem jungem Menschen "schwant" irgendwann, "dass er irgendwie anders ist als die Anderen". Wenn nicht "untenrum", dann halt an anderer Stelle seines Wesens. Wer dann nicht in der Lage (oder willens) ist, sich anzupassen, der wird von seinen besser angepassten Mitmenschen erst mal gequält. Frei nach dem Motto: "Und führe uns nicht in Versuchung!" Überlebt mensch diese Phase, ist er oft "rundum durchtraumatisiert" – und damit für den Rest seines Lebens UNfrei. Genießen? Kann er nicht - und auch nicht gönnen.