Kolumne Gott und die Welt: Verdamp lang her
Die Epochen- und Generationenporträts der 68er füllen den Schreibtisch unseres Autors. Was könnte man diesen Narrativen noch hinzufügen?
D ie Zeit und ihre Erfahrung sind ein Rätsel. Man muss sich nur klarmachen, dass 1968 das Ende des Ersten Weltkrieges 50 Jahre zurücklag. Für damals 20-Jährige war das graue Vorzeit. Derzeit jedenfalls ist das Altern unserer, meiner Generation zu beobachten – was man auch an den vielen zum Thema erscheinenden Erinnerungsbüchern bemerkt.
So hat Heinz Bude einen elegant-pointillistischen Langessay unter dem Titel „Adorno für Ruinenkinder“ vorgelegt: eine konzise, der eigenen biografischen Verortung des 1954 geborenen Autors durchaus bewusste Erzählung.
Radikal ehrlich dann die Autobiografie meiner Frankfurter Schulkameradin Ulrike Heider, die unter dem Titel „Keine Ruhe nach dem Sturm“ ihre Frankfurter Zeit, den SDS, das Sektierertum der K-Gruppen, aber auch ihre späteren Versuche, in den USA der Last einer mörderischen deutschen Vergangenheit im Kontakt mit jüdischen Familien und Freunden Herrin zu werden, rückhaltlos und fesselnd offenbart.
Karin Wetterau wiederum hat eine panoramaartige Darstellung unter dem Titel „68. Täterkinder und Rebellen. Familienroman einer Revolte“ vorgelegt. Ihre bestens zu lesende Darstellung endet in dem Resümee, es sei die Leistung von 68 gewesen, „Scham und Schrecken ausgehalten zu haben, die Täter ermittelt und angeprangert und auch eine Sprache für das Leid der Opfer gefunden zu haben …“.
Claus Koch schließlich, lange Jahre Verlagsleiter bei Beltz, radikalisiert die Frage nach dem Erbe von 68, indem er eine Mehrgenerationenperspektive einnimmt. Sein Buch „1968. Drei Generationen. Eine Geschichte“ handelt von den Eltern, der eigenen 68er-Generation und schließlich – das ist neu – von den Kindern und Kindeskindern der 68er.
Echter demokratischer Fortschritt
Am Ende hofft Koch auf ebendiese Kinder, muss aber auch feststellen: „Danach [nach der Revolte] haben wir uns in alle Winde zerstreut, kaum noch gemeinsame Feste gefeiert, die meisten von uns blieben in ihrer Erinnerung an eine Zeit, die uns als Generation doch so stark verbunden und geprägt hat, allein.“ Wie es so ist mit dem Erwachsenwerden … Jedenfalls spielen immer wieder die Väter und die Last der NS-Zeit eine entscheidende Rolle.
Hätte ich ein Buch zu 68 zu schreiben, so würde ich es in literarisch vergleichender Perspektive tun und die Generation der gescheiterten 1848er – die statt der demokratischen Republik resigniert den Bismarckschen Obrigkeitsstaat bekamen – mit den letztlich doch erfolgreichen 1968ern vergleichen; mit einer Generation, die diesem Land trotz des Keifens der Meuthens, Dobrindts und Spahns einen echten demokratischen Fortschritt beschert hat.
Wilhelm Raabe (1831–1910) kann neben Theodor Storm und Theodor Fontane als einer der großen realistischen Autoren der deutschen Literatur gelten. Seine Romane und Erzählungen – von der „Chronik der Sperlingsgasse“ bis zum leider doch antisemitischen „Hungerpastor“ – geben ein genaues Porträt der deutschen Gesellschaft nach der gescheiterten Märzrevolution von 1848.
Nach 1848 aber wurden Revolutionäre verfolgt, in der „Chronik der Sperlingsgasse“ assoziiert ein Doktor Wimmer die oktroyierte Verfassung anspielungsreich: „Das Volk hat sich erkältet oder erhitzt; einerlei! Schwitzen! Schwitzen.“ Eben diese Misere kann man den 68ern nicht nachsagen.
Bei alledem: Immer wieder die Väter! Am besten hat die Kölschrock Gruppe BAP Lage und Lebensgefühl dieser, unserer Generation getroffen: mit ihrem Song „Verdamp lang her“ aus dem Jahr 1982, in dem es heißt: „Nit resigniert, nur reichlich desillusioniert …“ Keine schlechte Voraussetzung, um weiterhin gute Politik zu betreiben beziehungsweise sie an nachrückende Generationen weiterzugeben.
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