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Kolumne Gott und die WeltAufklärung erbeten

Kolumne
von Micha Brumlik

Der Dresdner Kirchentag war im Hinblick auf den grünen Zeitgeist up to date. Aber weiß man, wohin der Geist der Kirchensteuerzahler weht?

W enn es um den Kampf gegen Fehlentwicklungen in Staat und Gesellschaft geht, will sich der Deutsche Evangelische Kirchentag von niemandem übertreffen lassen. Nach dem Dresdner Kirchentag hatte die Direktorin der Amadeu Antonio Stiftung, Annetta Kahane, in einer bitter klingenden Kolumne der Berliner Zeitung moniert, dass zu einer Kirchentagsveranstaltung zum deutschen Rechtsextremismus noch nicht einmal genug Menschen gekommen waren, um eine entsprechende Resolution zu verabschieden. Auf der Veranstaltung selbst hatte Kahane religionssoziologische Forschungen präsentiert, nach denen rechtsextreme Haltungen unter Mitgliedern religiöser Gemeinschaften häufiger verbreitet seien als unter Konfessionslosen. Ihre weitere Bemerkung, dass in den Dresdner Kirchen eine Gleichsetzung des "Opferstolzes" der Dresdner Bevölkerung mit dem Opferbewusstsein Überlebender der Schoah vorgenommen werde, brachte das Fass zum Überlaufen.

Nicht nur wandten sich die Präsidentin des DEKT, die grüne Bundestagsabgeordnete Katrin Göring-Eckhardt, und ihre Generalsekretärin, Ellen Überschär, in einem geharnischten Leserbrief an die Berliner Zeitung, nein, dem Vernehmen nach - es handelt sich nur um ein unbestätigtes Gerücht ! - soll sich der zwar nicht evangelische, aber dem Kirchentag verbundene Bundestagsvizepräsident Thierse bitter über Kahanes Kolumne beschwert und behauptet haben, sie hätte mit ihrer Behauptung unzählige Christenmenschen beleidigt. Si non e vero, e bene trovato!

Nun ist es gegenüber einem übermäßig protestantischen Schuldkomplex immer richtig, darauf zu beharren, dass ein wenig Selbstgerechtigkeit besser ist als Ungerechtigkeit. Gleichwohl wirkt es übertrieben, wenn das Gespann von Kirchentagspräsidentin und Generalsekretärin in seinen Briefen darauf hinweist, dass eine Kollekte des Kirchentages in Höhe von 132.000 Euro an einen kirchlichen Arbeitskreis ging, der sich dem Kampf gegen den zumal in Sachsen grassierenden Rechtsextremismus widmet. Diesen Einsatz wird niemand schmälern wollen; gleichwohl geht der Hinweis auf ihn am Kern der Sache vorbei.

Irrende Schafe vom falschen Weg abbringen

Trifft es - wider Erwarten - zu, dass - in Deutschland - rechtskonservative bis rechtsextreme Haltungen unter Mitgliedern der Kirchen deutlich stärker ausgeprägt sind als unter Konfessionslosen? Und wenn es so wäre, hätte dann Kahane nicht recht, wenn sie die politisch verantwortlichen Christen auffordert, sich vor allgemeinen Stellungnahmen zu Gott und der Welt - von Fukushima bis nach Kabul - zunächst um die irrenden Schafe, die Brüder und Schwestern im Glauben zu wenden und vom falschen Weg abzubringen?

Bild: imago/Horst Galuschka
MICHA BRUMLIK

ist Professor für Erziehungswissenschaft in Frankfurt am Main und Publizist.

Die Antwort darauf ist keinesfalls eindeutig zu geben, ebenso wenig, wie die behaupteten religionssoziologischen Aussagen widerspruchsfrei hinzunehmen sind. Sie hätten es aber verdient, vor der Äußerung beleidigter Abwehrreflexe und selbstgerechter Hinweise ernst genommen und überprüft zu werden.

Da trifft es sich gut, dass die SPDnahe Friedrich-Ebert-Stiftung - sie hat beste Beziehungen zu unterschiedlichen christlichen Kreisen - am 2. 8. zu einem hochrangig besetzten Seminar (Margot Käßmann, Wolfgang Huber, Wolfgang Thierse u. a.) zum Thema "Kirche und Rechtsextremismus" einlädt, zu dem auch die Kritikerin des Kirchentages, Annetta Kahane, eingeladen ist - man würde sich wünschen, an prominenter Stelle!

Das janusköpfige Antlitz der evanglischen Kirche

Bei alledem geht es nicht nur um eine Petitesse am Rande eines religiösen Festivals. Nach wie vor werden die Reformation und zumal die Gestalt Martin Luthers als religiöses, als theologisches Phänomen wahrgenommen, während sie doch vor allem ein politisch-revolutionäres Ereignis waren und Martin Luther deshalb - im Guten wie im Schlechten - endlich als einer der bedeutendsten politischen Denker der Neuzeit wahrzunehmen wäre: Das deutsche Luthertum jedenfalls war aufgrund der inneren Modernität dieser Religion dem jeweiligen Zeitgeist gegenüber stets übermäßig aufgeschlossen. Als Ausdruck einer frühbürgerlichen Revolution, als "bekennende Kirche", die in ihrer Masse während des Nationalsozialismus weniger für verfolgte Juden tat, als immer gemeint wird; als nationalkonservative Ideologie, die erst in den 1960er Jahren ein positives Verhältnis zu Demokratie und Parlamentarismus fand, als schmiegsame "Kirche im Sozialismus" und schließlich als Forum außerparlamentarischer, zivilgesellschaftlicher Bewegungen zeigt die evangelische Kirche allemal ein janusköpfiges Antlitz.

Daher: Dass der Dresdner Kirchentag im Hinblick auf den grünen Zeitgeist up to date war, kann und soll gar nicht bestritten werden. Indes: Weiß man denn wirklich, welcher Geist über einer möglicherweise schweigenden Mehrheit von Gemeindemitgliedern und Kirchensteuerzahlern weht?

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Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“

3 Kommentare

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  • FW
    F Wenck

    Luther etc: eine Frage von Form und Inhalt - in vielen Punkten gleicht der Umgang der evangelischen Kirchen in meinen Augen mit dem Umgang der katholischen Kirche mit Heiligen. Dogmatisch mag es Unterschiede geben - die Frage, ob die Unterschiede unter den Gläubigen auch rezipiert werden und bewusst sind, wäre aber in der Tat detailierter zu untersuchen.

    Die Grenzen der Verkündigung sind von den Kirchen selbst weitgefasst worden, so dass an kirchlichen Krankenhäusern die christliche Konfession von Krankenschwestern Pflicht sein (kann), da ihre Arbeit Verkündigung ist. Und über die Rolle von Filmen bei Meinungsmache und Propaganda brauchen wir doch nicht wirklich zu streiten, oder? Das Sponsoring eines sehr unkritischen Lutherbildes durch die EKD bleibt in jedem Fall bestehen.

     

    Was die Aufgabe der Kirchen in der Gesellschaft angeht: wäre auch zu diskutieren und zu klären.

     

    Was das Mitspracherecht von Nichtkirchenmitgliedern betrifft:

    Wenn kirchliche Einrichtungen zum Teil bis zu 100% vom Staat finanziert werden (bspw KiTas in Hamburg und Bayern, ansonsten liegt der Schnitt ungefähr bei 80-90% Finanzierung durch den Staat), dann hat der Staat (oberster Souverän: das Volk) meiner Ansicht nach durchaus das Recht, sich einzumischen. Die Kritik Frau Kayanes bezieht sich ja auf den Vorschub rechtsradikaler Tendenzen. Die Kritik richtet sich nicht so sehr gegen eine politische Tendenz, sondern gegen ein intolerante und unsoziale (weil gegen den Mitmenschen gerichtete) Lebenseinstellung. Und diese hat im Protestantismus eine lange Tradition - gleich durch Calvin und Luther massiv eingeführt.

    Und das es in den evangelischen Kirchen keine Inquistion seit dem 30jährigen Krieg gab: habe ich 1.) nicht behauptet und 2.) wäre näher zu belegen, inwieweit das landesherrliche Kirchenregiment nicht inquisitorische, mit der Reinhaltung der Lehre begründete Maßnahmen ergriffen hat... Nur wenn das Etikett Inquisition nicht draufsteht, heisst das noch lange nicht, dass nicht sehr ähnliche Mechanismen drin sind...

  • T
    Thomsen

    Luther ist kein "Heiliger" und gilt auch nicht als solcher, genausowenig wie Bonhoeffer. Und ein Film über "Luther" ist keine religiöse Verkündigung, sondern eben ein Film.

     

    Was die evangelische Kirche angeht, so sollte sie sich etwas weniger um Dinge kümmern, mit denen Bürgerbewegungen und Parteien professioneller umgehen können, und sich ein wenig mehr um die Auslegung der heiligen Schrift und deren Konsequenzen für das tägliche Leben kümmern.

     

    Dass die evangelische Kirche einer bestimmten politischen Richtung folgen sollte, ist nicht einzusehen, und dass sie dazu ermahnt werden soll durch Leute, die ihr nicht angehören, erst recht nicht.

     

    Eine Inquisition hat es bei den Lutheranern nicht gegeben, und sie spielt auch sonst in Deutschland seit dem 30jährigen Krieg keine Rolle mehr.

  • FW
    F Wenck

    "Die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit" - es ist so eine Sache mit dem Aussageverweigerungsrecht. Das deutsche Rechtssystem duldet Derartiges nur unter Auflagen. Eine Diskussion über ein bestehendes "Aussageverweigerungsrecht" von seiten der Kirchen sollte also geführt werden.

    Die Janusköpfigkeit der evangelischen Kirche zeigt sich besonders schön an dem Lutherfilm von 2003, den die EKD mitfinanziert hat:

    der neben Dietrich Bonhöffer wohl einzige protestantische Heilige wird hier als lauteres Vorbild gezeichnet, sein Abwenden von den Bauern nicht innerhalb der politischen Zwickmühle dargestellt, die Differenzen mit den "Schwärmern" als deren Verschulden gezeigt - ja der ganz bodenständige Antisemitismus des Reformators völlig verschwiegen. Man lese nur die Tiraden, die der Reformator an Erasmus von Rotterdam schrieb.

    Das alles schmälert sein Verdienst nicht, aber dies alles wegzulassen in der Darstellung schmälert die Wahrheitstreue der bestehenden Kirche, die ohnehin zentrale Sätze wie "das Priestertum aller Gläubigen" nur als Worthülsen nutzt (dies in direkter Nachfolge Luthers).

    Auch die Reaktion auf Kritik zeigt immer wieder den Impuls, das Christen scheinbar per se immer Opfer sind, niemals Täter - in diesem Zusammenhang ist das Wegschauen von rechtsradikalen Tendenzen innerhalb der Kirche (so es sie gibt und sie nachweisbar sind) kaum verwunderlich.

    In einem Punkt ist Herrn Brumlik jedoch vehement zu widersprechen:

    der Geist, der über Gemeindemitglieder und Kirchensteuerzahler weht, weht über uns alle. Die staatlichen Transferleistungen jedes Einzelnen sind nur teilweise an Mitgliedschaft gebunden. Sollte sich also erweisen, dass das kirchliche Milieu rechtsradikalem Gedankengut Vorschub leistet, stehen wir wiederum nicht allein da: die Opfer der Inquisition durften ihre eigenen Hinrichtungen ebenso bezahlen wie die heutigen Leidtragenden des Rechtsradikalismus. Es wäre nur ein "nichts neues unter dem Kreuz"