Kolumne Gott und die Welt: Die abstraktere Gestalt der Tapferkeit
Sie ermöglichen die gezielte Hinrichtung einzelner Personen. Kampfdrohnen sind Symptom einer neuen Weltordnung, die noch nicht begriffen worden ist.
G rundsätzlich betrachtet, unterscheiden sich die Drohnen, über die der Verteidigungsausschuss des Bundestages gestern debattierte, nicht von jener Schleuder, mit der der biblische David den Riesen Goliath zu Fall brachte. Und zwar einfach deshalb, weil beides – Schleuder und Drohnen – Waffen sind; Waffen wiederum nichts anderes als „Organverlängerungen“.
Wo Tiere Zähne, Klauen und Schnäbel nutzen, um sich im Kampf ums Überleben einen Vorteil zu sichern, haben die Angehörigen der Gattung Mensch Faustkeile, Keulen und Dolche erfunden. Schnell auch hat sich erwiesen, dass im Vorteil ist, wer den Feind verletzen und töten kann, ohne ihm nahe bzw. schneller als er zu sein: Schleudern, Speere, Pfeil und Bogen. Wem es dann noch gelingt, die eigene Verletzlichkeit durch künstliche Felle, also Schilde etc. zu mindern, hat einen mehrfachen Vorteil.
Kurz: Anthropologisch gesehen, sind Waffen nichts anderes als durch Distanz und Geschwindigkeit optimierte Organe. Und dennoch führt die Steigerung der Komponenten Distanz, Schnelligkeit und Panzerung zu radikal neuen Formen wechselseitigen Tötens und damit neuer, erweiterter Herrschafts- und Ausbeutungsformen: Ohne die Erfindung des Maschinengewehrs kein Kolonialismus, ohne fahrbare Panzer keine Entscheidung im Ersten Weltkrieg, ohne die Atombombe kein schnelles Ende des Krieges im Pazifik.
Mit der Atombombe freilich scheint die Evolution der künstlich verlängerten Organe an ihr Ende gekommen zu sein: mit ihr schlug Quantität endgültig in Qualität um, verkehrten sich Zweck und Mittel bis zur Möglichkeit des tödlichen Endes der ganzen Menschheit, des Endes all jener, die diese Waffe auch nur vorhielten. Freilich: Mit Nuklearwaffen sind Drohnen nicht zu vergleichen, stellen sie doch kaum anderes als eine stark modernisierte Variante von Schleudern oder von Pfeil und Bogen dar: hocheffiziente Distanzwaffen, denen jede Ritterlichkeit, das heißt jede Selbstgefährdung der Kämpfenden fehlt und die daher zu Recht im Verdacht stehen, die Schwelle zu mörderischer Gewalt zu senken.
Moderne und Distanzwaffen
Es war Hegel, der den inneren Zusammenhang von Moderne und effizienten Distanzwaffen – zu seiner Zeit das Zündnadelgewehr – in seiner „Rechtsphilosophie“ analysiert hat: „Das Prinzip der modernen Welt, der Gedanke und das Allgemeine, hat der Tapferkeit die höhere Gestalt gegeben, dass ihre Äußerung mechanischer zu sein scheint und nicht als Tun dieser besonderen Person – ebenso dass sie als nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen ein feindseliges Ganzes überhaupt gekehrt, somit der persönliche Mut als ein nicht persönlicher erscheint. Jenes Prinzip hat darum das Feuergewehr erfunden, und nicht eine zufällige Erfindung dieser Waffe hat die bloß persönliche Gestalt der Tapferkeit in die abstraktere verwandelt.“
Drohnen und ihr Einsatz scheinen demgegenüber einen Rückschritt in vormoderne Zeiten darzustellen: zwar spielt der persönliche Mut des Angreifers, der an seinem Bildschirm sitzt, erst recht keine Rolle mehr, wohl aber geht es nicht mehr um ein „feindseliges Ganzes“, also nicht mehr um die Tötung anonymer Soldaten, sondern um gezielte Hinrichtungen einzelner, bestens bekannter Personen.
So widersinnig es auch scheinen mag: „Krieg“ ist neben vielem anderen auch ein definierter „Rechtszustand“, in dem genau festgelegt ist, wer wem was antun darf. Lässt sich der Einsatz von Drohnen rechtlich regeln? Ist der Mann am Bildschirm „Kombattant“ im Sinne der Genfer Konvention? Ist der Kämpfer einer Truppe, die nicht als staatliche oder doch nicht einmal als Bürgerkriegsarmee gelten kann, „Kombattant“?
In den Drohnen kommt wie vor zweihundert Jahren beim Zündnadelgewehr vor allem zum Ausdruck, wie radikal sich die politische Gestalt der jetzt globalisierten Welt verändert hat. Auf das Problem der Drohnen dürfte sich erst dann eine Antwort finden lassen, wenn diese Form des Politischen theoretisch begriffen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“